
Nach tropischem Dauerregen wusste Johannes Gress sofort, wo er sich mittlerweile befindet – in Uganda. Bilder aus Afrika…
Uganda! Da ist sie also, die Perle Afrikas! Ebola-Check, Visum ausfüllen – und dann Afrika! Einfach nur Afrika! Von Milano nach Entebbe – von der Großstadt in den Dschungel sozusagen. Größer konnte der Kontrast nicht sein. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wo ich anfangen und aufhören soll. Als ich vom Flughafen Entebbe mit dem Taxi in die Hauptstadt Kampala gefahren bin, wurde mir schon nach wenigen Minuten klar, dass das hier etwas völlig anderes ist. Ein anderes Land. Ein anderer Kontinent. Ja, ein anderer Planet. Die geringste Umstellung war der hier noch herrschende Linksverkehr. Obwohl das auch nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Hier herrscht überall da Verkehr, wo es Schlaglöcher, Schlammgruben und Menschen zulassen. Kurzum: Ich war überwältigt.
Leichte Verunsicherung gepaart mit sattem Kulturschock
Hier, auf diesem Planeten, schien es keine Regeln zu geben – und nichts schien zu funktionieren. Aber irgendwie funktionierte dann doch alles. Ich war geschockt von der Armut, die in diesem Land herrscht. Menschen mit Lumpen bekleidet säumen die Straßen, leben in kleinen Lehmhütten ohne Strom und Wasser auf engsten Raum. Wie würde meine Bleibe wohl aussehen? Eine leichte Verunsicherung, gepaart mit einem satten Kulturschock, machte sich in mir breit, als ich in Kampala ankam. Die schwer bewaffnete Security vorm Supermarkt tat ihr Übriges. Zudem hatte ich seit mittlerweile 33 Stunden nicht geschlafen – und mir stand noch eine fünfstündige Busfahrt in meine neue Heimat Mbale bevor. Abgefahren wird dabei nicht nach Zeitplan, sondern dann, wenn der Bus voll ist. Das dauerte ungefähr eine weitere Stunde, während diese abertausenden Händler versuchten, ihren Ramsch loszuwerden.
Das Verkehrsspektakel, das ich währenddessen in der Innenstadt Kampalas bestaunen konnte: unbeschreiblich. Beim Gedanken an den Mailänder Verkehr musste ich leicht schmunzeln… Irgendwann ging’s dann doch los und unser „YY Coach“ (Bus mit fünf Sitzen pro Reihe) machte sich auf die 200 Kilometer lange Reise Richtung Mbale. Über Sandstraßen, die mit unzähligen Schlaglöchern „gesegnet“ waren, polterten wir in die Nacht hinein. Während der Fahrt sprangen immer wieder Leute mit an Board – Türen gab’s nämlich keine. Auch ans Schlafen war so rein gar nicht zu denken – viel zu holprig und laut war das ganze Unterfangen. Also starrte ich die ganze Fahrt über gebannt aus dem Fenster. Doch ich konnte während der siebenstündigen Reis von Entebbe nach Mbale unter den unzähligen Menschen keinen einzigen Weißen ausfindig machen. Immer wieder beobachtete ich, wie Leute mich erst etwas verdutzt anstarrten – und mir dann freundlich zuwinkten.
Jeden Morgen um 5 Uhr ruft der Muezzin zum Gebet
Wie geplant, wurde ich von Nathan, Leiter und Gründer der NGO „ACTS“ und zugleich mein neuer „Chef“, vom Bus abgeholt. Er brachte mich dann zu meiner neuen Wohnung und stellte mich meinen Mitbewohnern, zwei weiteren Volontären aus Deutschland und Schweden, vor. Meine leise Hoffnung, endlich mal ein Land zu bereisen, in dem ich keine Deutschen treffe, wurde also sofort zunichtegemacht. Aber egal, ich wollte nur noch eins: schlafen! Das erste Mal in meinem Leben unter einem Moskitonetz. Für ugandische Verhältnisse ist die Wohnung wirklich fein. Mit im Haus leben eine einheimische Familie sowie zwei somalische Flüchtlinge. Auch an den Umstand, dass Strom und Wasser vor allem gegen Abend regelmäßig ausfallen, hab ich mich schnell gewöhnt. Im Gegensatz zu vielen Häusern hier, genießen wir den Luxus überhaupt Wasser und Strom zu haben. Sogar einen persönlichen Weckservice kann ich mein Eigen nennen: Jeden Morgen um 5 Uhr ruft nämlich der Muezzin der gegenüberliegenden Moschee unüberhörbar zum Gebet auf. An meinem ersten Tag wurde ich von meiner Mitbewohnerin durch die Stadt geführt – und bereits hier durfte ich tausende Hände schütteln. Auf 75.000 Einwohner kommen in etwa zehn Weiße, dazu noch ein paar Touristen. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, all die Eindrücke hier zu Papier zu bringen. Es ist einfach unbeschreiblich… (sagte ich das schon?)
Nathan, der Projektleiter, ist einer der beeindruckendsten Menschen, die ich bisher in meinem Leben getroffen habe. Ihm möchte ich hier gerne ein paar Zeilen widmen. Geboren in einem Dorf in der Nähe von Mbale, wuchs er gemeinsam mit sechs anderen Geschwistern unter ärmsten Verhältnissen auf. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr hatte die Familie kein Geld, sich Kleidung zu kaufen – und kam gerade so um die Runden. Als sich seine Eltern dann das Leben nahmen (er war damals gerade einmal neun Jahre alt), brachte er sich selbst Lesen und Schreiben bei, um in der Lage zu sein, die Schule zu besuchen. Zu Fuß legte er die rund elf bis zwölf Kilometer Schulweg zweimal täglich zurück. „Ich wusste: Bildung war das einzige, was mich aus dieser Situation befreien kann“, wie er heute erzählt.
Nathan, der Projektleiter – ein sehr beeindruckender Mensch
Als einer der Besten seines Jahrgangs absolvierte er seinen Highschool-Abschluss und erhielt somit das so wichtige Stipendium für sein Psychologie Studium. Auch das absolvierte er mit Bravour, weshalb er nun die Möglichkeit hatte, mithilfe eines weiteren Stipendiums an der renommierten Cambridge University seinen Master in Kriminalogie zu machen. Nathan graduierte als einer der Topabsolventen und ging daraufhin an die Hochschule nach Freiburg, um sich nach nur zweieinhalb Jahren seinen Doktortitel dort abzuholen. Er hatte es also geschafft, ihm standen alle Wege offen, richtig Geld zu verdienen und groß Karriere zu machen. Wie sein Leben jetzt aussieht? Er lebt in einem bescheidenen Haus am Stadtrand, ohne fließend Wasser und Strom. Er ermöglicht gemeinsam mit unserem Team den Kindern aus der Region einen Zugang zu Bildung zu finden, betreut HIV-Patienten und unterstützt Farmprojekte. Dabei verzichtet er auf all die großen Möglichkeiten, die ihm eigentlich offen stehen würden. Hut ab, meinen allergrößten Respekt!
An meinem ersten Abend hier sollte ich auch gleich noch ein paar weitere Mitglieder der ACTS-Gruppe kennenlernen. Gemeinsam bereiteten wir ein leckeres Dinner zu und düsten dann mit einem der so typisch afrikanischen Bodabodas (eine Art Motorradtaxi) durch die warme, sternenklare Nacht, um das Nachtleben zu testen. Ich schüttelte weitere tausend Hände – und bereits da wusste ich, dass die Zeit hier eine unvergessliche werden wird. Eine amerikanische Kollegin sagte zu mir: „Just look at his smile, he’s gonna stay here forever!“ Ich fühlte mich wie zu Hause. Auch der Umstand, dass der Muezzin, nachdem ich gerade einmal eineinhalb Stunden im Bett war, sein Ständchen aufsagte, konnte mir die Stimmung nicht vermiesen.
Tagsdarauf gleich das nächste etwas merkwürdige Ereignis: Wir waren auf eine Beerdigung „eingeladen“. Ich fühlte mich ehrlich gesagt etwas unwohl bei dem Gedanken, als Tourist die Bestattung eines Menschen zu besuchen, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Aber wie so oft funktioniert Uganda etwas anders. Nach der Tradition kehrt der Leichnam eines jeden immer an den Geburtsort zurück – und die eigentliche Beerdigung gleicht eher einem Fest. Je mehr Leute kommen, desto besser!
Lachen und Pfurzgeräusche kommen weltweit gut an
Auf dem Weg dorthin kam ich das erste mal in den Genuss eines „Großraumtaxis“. Gemeinsam mit viel zu vielen anderen steigt man dabei in einen Achtsitzer. Und selbst wenn du glaubst, jetzt sind wir platztechnisch aber echt voll – denkste! Irgendwo ist immer noch Raum für einen weiteren Mitfahrer. Bei angenehmen 30 Grad bewegt man sich dann durch ein Meer aus Schlaglöchern. Und wenn man mal einen etwas zweifelnderen Blick aufsetzt, bekommt man meistens sogleich nur ein kurzes „T.I.A“ (This is Africa) als Antwort. Herrlich! Kaum hatten wir am Rande der Zeremonie Platz genommen, gesellte sich auch schon ein Kind nach dem anderen zu uns – und schon bald waren wir umringt von einer ganzen Horde. Jedes von ihnen ganz scharf darauf, mich an der Hand oder im Gesicht anzufassen. Auch wenn wir keine gemeinsame Sprache hatten: Lächeln und Pfurzgeräusche kommen bei jedem Kind auf dieser Welt gut an.
Dass ich als Europäer hier eine kleine Attraktion bin, ist mir schnell bewusst geworden. Vor allem, wenn man etwas abgelegenere Dörfer besucht, sind es überwiegend kleine Kinder, die dich mit „Mzungu, Mzungu!“-Rufen (ungefähr: weißer Mann) durchs Dorf begleiten. Meist läuft es dann so ab, dass ein kleines Mädchen oder Bub vorgeschickt wird und erst einmal testet, ob man diesen Mzungu denn auch anfassen kann. War dieser Versuch erfolgreich, folgt der Rest der Horde. Mittlerweile kann ich morgens kaum mehr das Haus verlassen, ohne dass ich alle der im Haus wohnenden Kinder mindestens einmal hochgehoben oder durch die Luft gewirbelt hab. Allgemein werde ich, egal wohin ich gehe, herzlich empfangen und zum Tee beziehungsweise Essen eingeladen.
Leider bekomme ich häufig mit, dass viele Afrikaner meinen, sie seien aufgrund ihrer Hautfarbe weniger wert. Dabei können wir doch so unendlich viel von diesem Kontinent, der Kultur und den Menschen hier lernen. Manchmal frage ich mich, was auf dieser Welt in der Vergangenheit vorgefallen sein muss, dass ein ganzer Kontinent der Meinung ist, er sei nur aufgrund seiner Hautfarbe nichts wert. Gerade wir Europäer haben uns in dieser Beziehung wahrscheinlich nicht gerade mit Rum bekleckert…
Die Schule besteht aus einem Raum und ist Teil eines Wohnhauses
Etwas später machten wir eine kleine Wanderung zu den Sipi Falls. Kaum setzten wir uns in Bewegung, begann es auch schon zu regnen. Aber à la Uganda! Ich hab in meinem Leben schon heftige Regengüsse erlebt, unter anderem Taifune. Aber sowas habe ich bisher nicht gekannt. Tropfen so groß wie Haselnüsse schlugen auf uns ein. Auch der „local umbrella“ (ein Bananenblatt, das als Regenschirm dient) half hier nicht viel…
Am Montag ging’s für mich dann das erste mal zur Arbeit. Um mich etwas einzuarbeiten, begleitete ich meine deutsche Kollegin zur Schule, um dort etwas Papierkram zu erledigen. Die „Schule“ besteht aus einem Raum, der Teil eines Wohnhauses ist. Öffnet man die Tür vom „Klassenzimmer“ ins Nebenzimmer, steht man im Flur einer ugandischen Familie…
Als wir nach Hause kamen, waren mal wieder Strom und Wasser weg. Also saßen wir alle gemeinsam im Wohnzimmer, zündeten eine Kerze an und lauschten zu den Klängen von Bob Dylan und Neil Young. Die kommenden Tage verbrachte ich vormittags auf verschiedenen Farmen, wobei ich mehr mit Essen beschäftigt war als mit Arbeiten – es gilt nämlich als unhöflich in Uganda, einen Gast zu verabschieden ohne ihn verköstigt zu haben. Die Nachmittage verbrachte ich mit HIV-Patienten und abends setzten wir uns dann meistens raus und bestaunen den Sonnenuntergang. Auch, dass die afrikanischen Uhren etwas anders ticken (manchmal bezweifle ich, dass sie überhaupt ticken), wurde mir sehr schnell klar: Der Boda-Fahrer, der mich um 8 Uhr abholen sollte, wirkte kaum gestresst, als er mich um 20 nach 9 dann endlich auflud.
Da braucht’s weder Baupläne noch Genehmigungen
Für die nächsten Wochen steht nun ein etwas größeres Projekt an. Da leider für das kommende Schuljahr kein Gebäude mehr zur Verfügung steht, haben ein paar andere Freiwilligenarbeiter und ich beschlossen, in ein paar Säcke Zement zu investieren und den Bau eines neuen Schulgebäudes zu starten. Grundstück, Ziegel und Sand sind bereits vorhanden und ein paar Mütter der Schulkinder haben sich dazu bereit erklärt, uns regelmäßig mit Tee und etwas Essen zu versorgen. In der Nachbarschaft konnten wir ein paar Schaufeln und Spaten ergattern. Mit sehr begrenzten Mitteln, aber mit umso Schweiß haben wir bereits begonnen, eine Grube auszuheben. Unter der afrikanischen Sonne fühlt sich das ungefähr so an, als würde man zum Fahrrad fahren in die Sauna gehen. Das neue Schuljahr beginnt Ende Januar, bis dahin sollen in der Schule bis zu 100 Kinder unterkommen (in Europa würde man in diesem Gebäude vielleicht maximal 20 Kinder unterrichten, aber naja… T.I.A!). Dass hier weder Baupläne noch Genehmigungen vorliegen müssen, beschleunigt den Prozess ungemein…
Soweit so gut. Ich denke, es ist relativ schwierig, das hier Erlebte in Worten oder Bildern wiederzugeben. Ich hoffe, ich konnte Euch trotzdem einen ersten kleinen Einblick ins afrikanische Leben geben und einen kleinen Gegenpol zur sonst ziemlich einseitig negativen Berichterstattung über Afrika, die meist nicht weit über Krieg, Terror und Hungersnot hinausreicht, bieten. Natürlich sollte man diese Themen nicht kleinreden, denn vor allem die Armut ist hier allgegenwärtig.
Aber trotz all der widrigen Umstände wird hier mehr gelacht und freundlicher miteinander umgegangen, als ich das von zu Hause gewohnt bin. Der Zusammenhalt der hier lebenden Menschen haut mich immer wieder von den Socken. Auch höre ich hier nie irgendjemanden, der sich über irgendetwas beschwert oder lautstark aufregt. Obwohl sie doch eigentlich allen Grund dazu hätten, weil hier wirklich wenig bis gar nichts funktioniert. Manchmal stelle ich mir vor, was bei mir zu Hause wohl los wäre, wenn regelmäßig abends der Strom ausfällt. Hier sind die meisten Menschen zufrieden mit dem, was sie haben. Etwas zu Essen und ein Dach über den Kopf. Alles andere ist nur Zugabe…
Liebe Grüße aus Mbale wünscht Hannes! HAKUNAMATATA!
P.S.: Falls irgendjemand Fragen oder ein Thema hat, auf das ich etwas genauer eingehen sollte, einfach in die Kommentarleiste schreiben!
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Johannes Gress aus Röhrnbach möchte an einer Schule für Waisen und sozial benachteiligte Kinder in Uganda rund drei Monate die dortigen Lehrer unterstützen. Um dorthin zu kommen, hat er nicht den herkömmlichen Weg – per Auto, Bahn, Flugzeug – gewählt. Nein: Der 21-Jährige versucht per Anhalter nach Afrika zu kommen. Von seiner Reise und seiner Zeit in Ostafrika berichtet er auf hogn.de.
–> (1) Ist das Materielle Voraussetzung für ein glückliches Leben? Johannes Gress’ Reise nach Uganda
–> (2) “It’s like an angel pisses in your mouth” – Johannes Gress’ Umwege nach Uganda
–> (3) Uganda calling, oder: Johannes Gress kurz vor seinem großen Ziel
–> (5) Der gesunde Mix aus Planlosigkeit, Gleichgültigkeit und Chaos – der Alltag in Uganda
–> (6) Alltag in Ostafrika: Uganda – das Land der unnormalen Normalität
–> (7) Kinder mit trockenen Lippen und leerem Blick – die andere Seite Ugandas
–> (8) Unterhaltung á la Uganda: “You whites, you got the watches, but we Ugandans, we got the time”
–> (9) Johannes Gress: “Manchmal macht mich dieses Land einfach unglaublich wütend”
–> (10) Soll Afrika mal so aussehen wie Europa? Ist das das Ziel für alle Entwicklungsländer?
–> (11) Johannes Gress und sein ganz persönliches Osterwunder in Uganda
Kannst mal was über die Ugandische Küche schreiben und über das Wetter im Allgemeinen? Dinge die man sich auf jedenfall anschauen sollte oder Safaris die man machen kann, falls du da was weißt?
Ansonsten bitte immer weiter schreiben, hab glaub ich noch nie so nen interessanten und vor allem sehr gut geschriebenen Reisebericht gelesen, ich hoffe eines Tages in diese großen Fußstapfen treten zu können ;)
lG aus Bayern