Grafenau. 24.250 Hektar Fläche misst der Nationalpark Bayerischer Wald – und man möchte meinen, genauso oft ist das Naturschutzgebiet rund um Lusen und Rachel bisher in Frage gestellt – oder dessen Ausrichtung kritisiert worden. Borkenkäfer-Plage, Naturzonenausweisung – immer wieder kommt es zu heftigen Diskussionen um den ersten Park dieser Art in Deutschland. Gleichzeitig ist das Naturschutzgebiet mit seiner weitestgehend unberührten Landschaft, seinem Wanderwegenetz und seinen Attraktionen wie Baumwipfelpfad oder den beiden Tierfreigeländen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Bayerischen Wald. Keine leichte Aufgabe also für die Verantwortlichen um Dr. Franz Leibl (57) – denn auch nach mehr als 40 Jahren seines Bestehens wird der Nationalpark immer noch kritisch beäugt. Ein Hog’n-Interview über die jüngsten Kontroversen hinsichtlich der Naturzonenausweisung, über die Bedeutung des Schutzgebietes und über die deutsch-tschechische Zusammenarbeit.

Natur Natur sein lassen: Dr. Franz Leibl hat – mehr als 40 Jahre nach der Gründung – noch immer mit heftigen Diskussionen rund um den Nationalpark Bayerischer Wald zu kämpfen. Zum Hogn-Interview begleitete ihn die Nationalpark-Pressesprecherin Dr. Kristin Beck.
Herr Dr. Leibl, wo befindet sich Ihr Lieblingsort im Nationalpark Bayerischer Wald?
Da gibt es nicht einen speziellen, sondern mehrere Lieblingsorte. Der Nationalpark ist extrem abwechslungsreich, was die Waldbilder und die landschaftlichen Höhepunkte betrifft. Markante Punkte sind die Schachten und Filze im Zwieseler Bereich, der Lusen, die Wälder in der Nähe des Lerchenberges und der Mittelsteighütte. Kurz und knapp: Wir haben viele Bereiche, an denen man landschaftliche Hightlights erleben kann.
Naturzonen: „Wir nehmen die Sorgen der Waldbauern ernst“
Aktuell ist ja nicht die landschaftliche Schönheit des Nationalparks, sondern eher das Thema Naturzonenerweiterung im Fokus der regionalen Öffentlichkeit gestanden. Erklären Sie uns bitte nochmal: Was genau ist darunter zu verstehen?
Naturzonen sind Gebiete im Nationalpark, in denen der Mensch nicht mehr in Prozesse eingreift, die zu einem natürlichen Waldökosystem gehören. So werden beispielsweise vom Sturm geworfene Bäume nicht mehr abgeräumt und Borkenkäfer nicht mehr bekämpft. Auf diese Weise kann sich dort ein Urwald entwickeln, wie er für ein Mittelgebirge wie das unsere typisch ist. Mit derzeit gut 58 Prozent Naturzone sind wir ein sogenannter Entwicklungs-Nationalpark, das heißt: Wir sind noch nicht ganz fertig. In der vom Freistaat Bayern erlassenen Verordnung steht, dass wir bis zum Jahr 2027 75 Prozent der Nationalpark-Fläche in Naturzonen überführen müssen. Das wird freilich nicht x-beliebig gemacht, sondern planmäßig nach und nach. Erst wenn diese Phase abgeschlossen ist, sind wir ein nach internationalen Standards anerkannter Nationalpark.

„Was die Naturzonenausweisung betrifft, haben wir immer wieder Diskussionen mit Bürgerbewegungen – vor allem mit der Initiative im Zwieseler Winkel.“
Haben Naturzonen einen Einfluss auf das Betretungsrecht im Nationalpark, wie ja oft befürchtet wird?
Nein. Das Betretungsrecht im Nationalpark wird durch das Kerngebiet bestimmt, das die Aufgabe hat, besonders empfindliche Lebensräume und Rückzugsräume für störempfindliche Tier- und Pflanzenarten zu schützen. Dieses Kerngebiet von rund 40 Prozent der Nationalparkfläche ist in der Verordnung über die Einschränkung des Betretungsrechts definiert – und verändert sich nicht in der Größe. Auch das Kerngebiet kann im Übrigen betreten werden. Hier ist es lediglich nicht gestattet, die Wege zu verlassen und querfeldein zu laufen.
Die Naturzonenausweisung wird in der Öffentlichkeit heiß diskutiert. War es zu erwarten, dass dieses Thema so hohe Wellen schlägt?
Was die Naturzonenausweisung betrifft, haben wir immer wieder Diskussionen – vor allem mit der „Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes e.V.“, die vor allem im Zwieseler Winkel aktiv ist. Manchmal fallen diese Gespräche heftiger aus, manchmal ganz ruhig. Heuer ist es extrem. Das liegt daran, dass wir diesmal eine Alternative in den Raum gestellt haben, die wegen sturmbedingter Waldentwicklung seit dem Kyrill-Jahr 2007 vom bislang üblichen Ausweisungsschema abweicht. Hinzu kommt, dass auch die Kommunalpolitik dieses Thema aufgegriffen hat.
„Vom Volk gewählte Vertreter bestimmen über den Fortgang“
Hauptsächlich Waldbauern sind gegen eine Erweiterung. Können Sie deren Bedenken verstehen?
Natürlich, klar. Als Waldbauer, dessen Wälder direkt an die Naturzonen angrenzen, muss man sich freilich Gedanken machen. Im Nationalpark gibt es weiterhin Landstriche, die vom Borkenkäfer dominiert werden, das ist uns allen bewusst. Aus diesem Grund haben wir auch eine Randzone als Puffer um den gesamten Park eingerichtet, wo der Borkenkäfer intensiv bekämpft wird. Diese Randzone wird auch nie Naturzone werden, das kann ich versprechen. Wir nehmen die Sorgen der Waldbauern also ernst und helfen ihnen, ihre Bestände zu schützen.

„Die Entscheidungen sind bereits vor Jahrzehnten gefallen, als der Nationalpark eingerichtet worden ist.“ Foto: Rene Greiner/Nationalpark Bayerischer Wald
Regens Landrat Michael Adam hat vorgeschlagen, die Bevölkerung entscheiden zu lassen, ob es zu einer Naturzonenerweiterung kommt. Wäre das nicht der demokratischere Weg gewesen? Oder wird von München aus entschieden, was hier im Bayerischen Wald geschieht?
Der Nationalpark und auch die wesentlichen Grundzüge seiner Verordnung wurden in einem demokratischen Prozess etabliert – und das schon vor Jahrzehnten. Es gab deswegen viele öffentliche Anhörungen und Diskussionen. Und auch heute entscheiden vom Volk gewählte Vertreter über den weiteren Fortgang mit. Wie nun die Kommunen in ihrem Entscheidungsprozess mit unserem alternativen Vorschlag umgehen, soll den Verantwortlichen vor Ort überlassen bleiben. Als Nationalparkleiter mische ich mich da nicht ein. Wir haben eine Rechtsverordnung – und an diese halten wir uns.
Fall Adam: „Kein Streit – wir haben unterschiedliche Auffassungen“
Ist der Streit mit Landrat Adam eskaliert – oder ist das Thema ausgeräumt?
Ich würde das Ganze nicht als Streit bezeichnen. Wir haben unterschiedliche Auffassungen, die wir vertreten – das ist ein ganz normaler Vorgang. Landrat Adam hat sich der Bürgerbewegung im Zwieseler Winkel angeschlossen und deren Argumente übernommen. Er ist gegen eine weitere Ausweisung von Naturzonen. Das würde aber dazu führen, dass der Nationalpark keine internationale Anerkennung bekommen wird. Dann sind wir einfach nur irgendein Waldschutzgebiet. Das wäre für die Außenwirkung und das Alleinstellungsmerkmal, das der Nationalpark hat, nicht sehr positiv – auch hinsichtlich des Tourismus.

Zusammenarbeit mit Sumava: „Erste Schritte einer Zusammenarbeit sind bereits gemacht – hinsichtlich der Forschung haben wir bereits ein Abkommen unterzeichnet.“
Themawechsel: Pavel Hubený ist neuer Chef des tschechischen Nationalparks Šumava, unmittelbarer Nachbar also. Was macht er anders als sein umstrittener Vorgänger Jiří Mánek?
Ich schätze Pavel Hubený sehr. Er ist ein sehr engagierter und fachlich versierter Kollege, der einen sehr harten Job übernommen hat. Auf der einen Seite ist er ein Verfechter der Nationalpark-Idee ‚Natur Natur sein lassen‘, auf der anderen Seite nimmt der aber die Bevölkerung mit ins Boot und versucht, zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu vermitteln – und das auf eine sehr gediegene Art. Das zeichnet ihn aus, ich habe hohen Respekt vor ihm.
Er in Südböhmen, Sie im Bayerischen Wald – wer hat mit mehr Widerstand zu kämpfen?
(lacht) Momentan haben wir es beide nicht einfach…
Sumava: „Wir wollen eine gemeinsame Entwicklung“
Glauben Sie, Pavel Hubený und Sie befinden sich auf einer Wellenlänge?
Ja, das denke ich. Erste Schritte einer Zusammenarbeit sind bereits gemacht – hinsichtlich der Forschung haben wir bereits ein Abkommen unterzeichnet. Auch in der Umweltbildung haben wir erste Fühler ausgestreckt. Wir wollen uns gegenseitig ergänzen. Böhmische Schulen sollen beispielsweise mit bayerischen Kontakt aufnehmen – und umgekehrt. Zudem bauen wir gemeinsame Streifen von deutschen und tschechischen Rangern auf. Wir wollen eine gemeinsame Entwicklung und arbeiten systematisch daran.
Was kann die Wirtschaft und Politik von diesem deutsch-tschechischen Miteinander der Nationalparks für Ihre Bereiche übernehmen?
Das größte Hemmnis im deutsch-tschechischen Miteinander ist und bleibt die Sprachbarriere. Diese abzubauen, ist der wichtigste Schritt. Umfragen zufolge bleiben tschechische Gäste nur ungern hier im Bayerischen Wald über Nacht, was vor allen an der Sprache liegt. Hier muss man deutlich nachbessern, dann wachsen wir noch besser zusammen.

Tourismus GmbH: „Vom einheitlichen und kompakten Auftreten nach außen profitiert die ganze Region.“
Apropos Tourismus: Was halten Sie von der Idee einer Tourismus GmbH, wie es bei der Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald der Fall ist?
Das ist die Zukunft des Tourismus in der Nationalpark-Region, ganz klar. Denn dann muss nicht jede Gemeinde ihr eigenes Tourismus-Süppchen kochen. Im Gegenteil. Man kann viele Synergie-Effekte nutzen. Vom einheitlichen und kompakten Auftreten nach außen profitiert die ganze Region. Dann kann man sich als Destination entsprechend darstellen und ist auch im internationalen Vergleich sichtbar.
Kürzlich hat Jochen Gemeinhardt als Geschäftsführer der Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald seinen Vertrag aufgelöst. Wie werten Sie das?
Der Rücktritt erfolgte aus rein privaten Gründen. Das muss man respektieren.
Bremst dieser Abschied die Idee aus?
Es ist nie ideal, wenn ein Leittier plötzlich ausscheidet. Aber: Das gehört zum Geschäft.
„Die hitzigen Diskussionen tun weh“
Seit 2011 sind Sie nun Chef des Nationalparks Bayerischer Wald. Wie hat sich in der Vergangenheit – seit der Gründung und in Ihrer Amtszeit – der Gedanke Nationalpark in der Region entwickelt?
Wir führen derzeit ein sozioökonomisches Monitoring durch, das heißt, wir befragen Besucher, warum sie den Nationalpark besuchen. Die Resonanz: Das Schutzgebiet an sich spielt für zwei Drittel eine große Rolle für die Entscheidung, hierher zu kommen. Die Marke Nationalpark zieht also. Bei der Bevölkerung sieht das ein bisschen anders aus: Im Altpark-Gebiet ist der Nationalpark-Gedanke bei der überwiegenden Mehrheit positiv angekommen. Im Erweiterungsgebiet – wie vorher bereits angesprochen im Zwieseler Winkel – gibt es eine kleine, aber sehr aktive und rege Nationalpark-Gegnerschaft. Dadurch entsteht eine Verunsicherung, die sich auch in der dortigen Bevölkerung wiederfindet. Ich muss schon sagen, diese teils hitzigen Diskussionen tun weh. Sie sind mit Vorurteilen belegt und werden nicht ehrlich geführt.

„Insgesamt kann man schon sagen, dass der Nationalpark in der Bevölkerung ein positiv belegtes Thema ist.“
Wie kann man dem entgegenwirken?
Wir versuchen, immer wieder vorgebrachte, fachlich nicht stichhaltige Argumente zu entkräften, indem wir mit nachweislichen Fakten kontern. Wir wollen die Wahrheit siegen lassen. Uns ist aber klar, dass man einen eingefleischten Nationalpark-Gegner nicht von jetzt auf gleich umstimmen kann.
Sind das vielleicht typische Waidler-Eigenschaften, die hier eine Rolle spielen?
(lacht) Nein, das glaube ich nicht. Im Ernst: Gegner hat es auch bei anderen Nationalpark-Ausweisungen gegeben, das gehört einfach dazu. Es gibt Leute, die können es nicht ertragen, dass sich Natur eigenständig entwickeln darf. Unserer Auffassung nach kann der Mensch jedoch jede Menge lernen, wenn er nicht eingreift, sondern der Natur zuschaut. Sicherlich ist das auch eine Generationensache. Die Jugend geht dieses Thema entspannter an. Im Großen und Ganzen denke ich schon, dass Nationalpark in der Bevölkerung ein positiv belegtes Thema ist.
Zwieseler Winkel: „Man verspürt eine destruktive Antihaltung“
Wie argumentiert die Gruppe im Zwieseler Winkel?
Eigentlich wird über Entscheidungen diskutiert, die schon längst getroffen worden sind. Mich stört an dieser Gruppe, dass sie keine Alternative vorschlagen. Sie sind gegen die Nationalpark-Idee – und das war’s. Dass aber dieses Schutzgebiet für den Tourismus in der Region mittlerweile unabdingbar ist, verschweigen sie. Man verspürt einfach eine destruktive Antihaltung.

„Eine Vision für die Zukunft ist freilich, dass unnütze Diskussionen erst gar nicht entfacht werden.“
Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Sie behaupten, dass der Wald durch den Nationalpark zerstört wird. Im Gebiet zwischen Rachel und Lusen können wir aber seit 20 Jahren beobachten, dass dies nicht der Fall ist. Dort entsteht nach massiven natürlichen Störereignissen – Stürme und Borkenkäferwellen – auch ohne menschliches Zutun ein vitaler, urwaldähnlicher Waldbestand, was letztlich Zweck des Nationalparks ist. Es wird uns zudem vorgehalten, dass mit der Waldentwicklung Probleme beim Grund- und Trinkwasserschutz auftreten. Obwohl das bereits mehrfach wissenschaftlich wiederlegt wurde, hält man an dieser Aussage fest. Dass wir die Besucher aussperren möchten, ist ein weiteres Argument der Nationalpark-Gegner. Das ist aber nicht so. Wir wollen Naturbegeisterte generieren. Natürlich müssen wir die Besucher aber auch lenken, damit alles naturverträglich abläuft.
Viele Hürden, die übersprungen werden müssen. Ganz allgemein gefragt: Wie sieht der Nationalpark Bayerischer Wald der Zukunft aus?
Der Nationalpark ist bereits jetzt ein Leuchtturm-Projekt des Naturschutzes und man sieht, dass es greift: Unser Park ist der bekannteste seiner Art in Deutschland und hat Vorbildfunktion. Eine Vision für die Zukunft ist freilich, dass unnütze Diskussionen erst gar nicht entfacht werden. Wir möchten, dass sich der Nationalpark durch verbesserte Akzeptanz im direkten Umfeld noch stärker als wertvoller Bestandteil der Heimat in der Bevölkerung verankert. Darüber hinaus gilt es, die Entwicklung eines sanften Tourismus weiter zu unterstützen, damit das Wertschöpfungspotenzial des Nationalparks optimal ausgeschöpft werden kann, ohne den Schutzzweck zu gefährden. Auch eine dauerhaft konstruktive Verzahnung mit dem Nationalpark Šumava gehört natürlich zu meinen Wünschen für die Zukunft.
Vielen Dank für das Gespräch – und alles Gute für die Zukunft
Interview: Helmut Weigerstorfer
Ein sehr sympathisches und unaufgeregtes Interview mit dem Nationalparkchef. Es ist nach wie vor für mich unerklärlich, dass diese einzigartige Naturregion immer wieder mit den gleichen dünnen Argumenten in Frage gestellt wird. Ich wäre für eine Naturzonenausweitung sofort. Speziell im nördlichen Nationalpark ist umfangreicher Holzeinschlag immer wieder zu beobachten bis an die Kerngebiete heran. Ich kenne sehr viele Leute, die nur wegen dem Nationalpark in die Region kommen, um ein letztes Stück (fast) unberührter Natur zu erleben. In einer Baumplantage können sie überall spazieren gehen. Die grosse Idee einer vom Menschen unbeeinflusst sich entwickelnden Landschaft sollte nicht immer wieder korrumpiert werden.
Das Problem mit dem Käfer ist doch nur zurückzuführen auf die Luftverschmutzung durch die ehemaligen Kohlekraftwerke entlang
der Tchechischen Grenze und der Monokulturen aus Fichten.
Ein Bericht über das absterben von hunderttausend ha Wäldern
entlang der Grenze DDR – Tschechien liegt der PNP vor. Da war kein
Käfer schuld daran. Darum lasset wachsen was wächst, und es wird ein gesunder Wald.Ich bin jetzt 77 Jahre alt und habe selbst reine Fichten-
wälder gepflanzt, war alles scheiße, und jetzt lasse auch ich wachsen
was sich selbst vermehrt.
Zu diesen Aussagen kann man als echter Waidler nur denn Kopf schütteln, die Monokultur von der immer geredet wird ist von den damals maßgebenden Forstmännern gemacht. Habe selber vor ca. 45 Jahren angepflanzt. Es wurden nur Jungfichten bezuschusst und empfohlen.
Soviel zu vorstehenden Kommentaren und Interview.!!!!!