Herzogsreut/Hluboká. Wie Ihr wisst, schauen wir in letzter Zeit gern iwa d’Grenz‘ ume, um unsere tschechischen Nachbarn besser kennenzulernen. Manchmal braucht’s des aber gar nicht, den Bayerischen Wald zu verlassen, um waschechte Tschechen zu treffen. So auch im Falle von Vendula Maihorn. Die 35-Jährige lebt mit ihrer Familie in Herzogsreut und arbeitet in Freyung bei der Euregio Bayerischer Wald. Wir haben sie daheim besucht…
Über Österreich und Frankreich nach Freyung
„In den Bayerischen Wald bin ich über Österreich und Frankreich gekommen“, sagt Vendula Maihorn mit einem Lächeln. Nicht gerade der direkte Weg, wenn man bedenkt, dass sie in Budweis geboren worden ist und später in der Nähe von Hluboká nad Vltavou (zu deutsch: Frauenberg) wohnte, eine gute Stunde von der bayerisch-böhmischen Grenze entfernt. Während sie erzählt, turnt die bald vierjährige Tochter Lena auf ihrem Schoß herum, Jagdhund Ronja schwänzelt die Treppe herab und Mann Karl-Heinz (50) sitzt mit am Tisch und hört seiner Frau beim Erzählen zu. „Vor der Wende habe ich nur russisch gelernt“, sagt die 1979 geborene Frau mit den dunklen Augen und den roten Wangen. Für Deutschland und die deutsche Sprache hat sie sich aber immer interessiert: „Früher bin ich mit meiner Familie manchmal nach Ost-Deutschland gefahren. Nach Dresden und Ost-Berlin. Das war zwar nicht der Westen – aber für uns war es ein anderes Land mit anderen Produkten und dem Gefühl, dass es den Leuten besser geht.“ Kaum vorstellbar für Westdeutsche, dass die Tschechoslowaken einst die DDR-Bürger bewunderten… „Doch“, bestätigt Vendula, „wir haben uns ausgegrenzt gefühlt.“
Wenn sie an ihre Kindheit zurückdenkt, fällt ihr gleich ein, wie streng es in der Schule hergegangen ist. Das Motto lautete: „Lieber still sein.“ Man hatte Angst vor dem Regime. Die Lehrerin wurde mit „Frau Genossin“ angesprochen. „Einfache Leute hatten keine Probleme“, erzählt die 35-Jährige. Das sieht sie auch als Grund, warum heute noch viele Tschechen über die „neuen“, immerhin nun auch schon 25-jährigen Verhältnisse, schimpfen. „Jeder hatte damals Arbeit. Das ist heute nicht mehr so. Und viele arbeiten auch heute noch wie im alten System.“ Ein Problem, wie Vendula findet. „Die neue Generation hat heute alles. Und damit verliert vieles an Wert.“
Mit 14 Jahren allein nach Gmünd
Diese Einstellung teilt sie selbst nicht. Sie schätzt ihr Leben im freundlichen, hölzernen Niederigenergiehaus in Herzogsreut mit Garten, wo ein großes Trampolin und ein Spielhaus im Schweden-Look stehen. Sie strahlt Ruhe aus, wenn sie spricht, wenn sie darüber erzählt, wie sich alles ergeben hat in ihrem Leben. Arbeit, Mann, Haus, Kind. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie selbst schon ganz früh wusste, was sie wollte. Mit 14 Jahren entschloss sie sich Deutsch zu lernen – fernab der Heimat im österreichischen Gmünd an der Handelsakademie. Es folgten sechs Jahre in Gmünd – bis zur Matura. „Fünf von 17 tschechische Teilnehmern haben die Matura geschafft“, erzählt sie nicht ohne Stolz. Sie war dabei. Danach blieb sie zunächst den Österreichern erhalten, zumindest teilweise. Sie arbeitete für eine österreichische Firma für Kunststofffenster und -türen im tschechischen Munice. „Nach einem Jahr wurde mir das aber zu langweilig“, gibt Vendula zu. Die Reise ging weiter, nach Linz. „Dort habe ich drei Jahre lang studiert: Internationale Wirtschaftswissenschaften, mit Spezialisierung auf die Sprachen Russisch und Englisch.“ Nun also doch wieder Russisch. Sie lacht, ihre Augen glänzen beim Erzählen über eine Zeit, die sie sichtlich genossen hat. „Während des Studiums bin ich viel gereist. In die Ukraine und sogar auf die Philippinen.

„2005 war ich fertig mit dem Studium und hatte ohne Probleme eine Arbeitsbewilligung für Deutschland.“
Vendula wollte noch mehr sehen von der Welt. Deshalb machte sie in Frankreich den Master in European Managment. „Das lief über die Uni Linz“, berichtet sie. 2004 folgte das ein Euregio-Praktikum – in Freyung. Parallel dazu schrieb sie ihre Diplomarbeit. „2005 war ich fertig mit dem Studium und hatte ohne Probleme eine Arbeitsbewilligung für Deutschland.“ Seit 2004 ist Tschechien Mitglied der EU. Seit gut einem Jahrzehnt arbeitet sie also nun für die Freyunger Euregio im Europe-Direct-Informationsbüro, das seine Räumlichkeiten im alten Forsthaus hat.
Tochter Lena wächst zweisprachig auf
Die Euregio, diese grenzübergreifende Institution, sie sollte auch Vendulas Privatleben bereichern. „Karl-Heinz hat meinen PC repariert“, sagt sie und lächelt. Der heute 50-jährige Informatiker und die Euregio-Mitarbeiterin – sie kamen sich näher. „Im Naturhochseilpark in Schönberg hat’s angefangen“, erinnert sich Karl-Heinz. Seit 2006 sind die beiden ein Paar, seit 2007 leben sie in ihrem Herzogsreuter Häuschen. Der Waidler und die Böhmerwaidlerin – wie geht das zusammen? Schaut man die beiden an, stellt sich die Frage nicht. Sie harmonieren wunderbar. Lena ist gewissermaßen der Beweis: Ihre Tochter wächst zweisprachig auf. Vendula spricht ausschließlich tschechisch mit ihr, Karl-Heinz bairisch. Einmal in der Woche besucht Lena einen Kindergarten in Strážný, die restlichen vier Tage geht sie in den Kindergarten St. Josef in Freyung, der wiederum mit einem tschechischen Partnerkindergarten in Kontakt ist. Somit wächst sie ganz selbstverständlich mit beiden Kulturen auf.
Vendula hat sich im Bayerischen Wald nie als „fremde Tschechin“ gefühlt, wie sie sagt. „Die Familie von Karl-Heinz ist total nett und offen.“ Und sie fügt hinzu: „Vor den Kriegen haben die Leute ja auch hin und her geheiratet.“ Heute begegnet sie ganz selten Menschen, die noch Ressentiments haben. „Früher in Gmünd war es viel eher noch ein komisches Gefühl.“ Und auch Karl-Heinz fühlt sich in Vendulas Familie bestens integriert. Er spricht kein Tschechisch – aber die Sprachbarriere wird spielerisch überbrückt. „Wir reden mit Händen und Füßen und mischen englisch, deutsch und tschechisch“, sagt er. Wenn mal gar nichts mehr geht, springt Vendula ein.
„Für viele ist Tschechien noch ein exotisches Land“
Auch, wenn es in der Familie Maihorn so gut klappt mit dem grenzübergreifenden Leben und Lieben – Vendula ist sich sicher: „Das Thema ist nach wie vor wichtig. Für viele ist Tschechien noch ein exotisches Land, in das man höchstens zum Tanken, Zigaretten holen oder ins Casino fährt. Daran muss man noch arbeiten.“ Und dafür setzt sich auch die Euregio ein. „Klar ist aber auch, dass die Förderprojekte irgendwann auslaufen“, gibt Vendula zu bedenken. Darum ist sie sich sicher: „Man muss im Kindergarten-Alter anfangen, damit die Grenze in den Köpfen erst gar nicht entsteht.“ Und: „Es wäre gut, wenn man langanhaltende Projekte realisieren könnte.“ Wichtig dabei sei die Unterstützung seitens der Regierung. „Aber das Landratsamt ist da wohl ganz gut dran.“

„Die Tschechen erreichen ihre Ziele auf ihrem eigenen Weg. An Vorgaben halten sie sich dabei nicht. Bei den Bayern geht alles seinen herkömmlichen Weg.“
Und wie sehen die Tschechen die Bayern? „Die Jugend sieht die Chancen durchaus, die sich ihr bietet. Zum Beispiel sind deutsche Firmen auf tschechischer Seite wichtige Arbeitgeber“, sagt Vendula. Mit der älteren Generation sei das so eine Sache: „Jede Familie hat eine andere Geschichte erlebt. Doch: Obwohl viele schimpfen, sind alle froh, dass die Grenzen offen sind und Freiheit herrscht.“ Geschimpft wird vor allem über Politik und die Demokratie, die nicht funktioniert. Ob das auf der bayerischen Seite so viel anders ist…? Vendula sieht zwischen Bayern und Böhmen jedenfalls wichtige Gemeinsamkeiten kultureller Art: „Beide haben ähnliche Vorlieben: Essen, Bier, Humor, Naturverbundenheit und einen Sinn für Gemütlichkeit.“ Einen wichtigen Unterschied nennt sie doch noch: „Die Tschechen erreichen ihre Ziele auf ihrem eigenen Weg. An Vorgaben halten sie sich dabei nicht. Bei den Bayern geht alles seinen herkömmlichen Weg.“
Sie selbst kennt beide Seiten und sieht sich vorrangig als Europäerin. „Ich fühle mich überall daheim“, sagt sie. Einen deutschen Pass hat sie nicht, der tschechische reicht ihr. „Es gibt keinen Grund für mich, die tschechische Staatsbürgerschaft aufzugeben.“
Text: Eva Hörhammer / Fotos: Stephan Hörhammer