Großarmschlag. Das erste Schwammerlbuch bekam Margot Kaatz von ihrer Oma geschenkt – da konnte sie noch nicht einmal lesen. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es nun her, dass die 61-Jährige vom „Pilzfieber“ angesteckt wurde. Seitdem hat sie sich autodidaktisch ein ungeheures Wissen über die Schwammerl aufgebaut.
Ihr Sammelgebiet ist so groß wie das Revier eines Wildschweins: In einem Radius von 40 Kilometern rund um Großarmschlag kennt Kaatz jede Menge Fleckerl, an denen die unterschiedlichsten Arten wachsen. Viele dieser Pilze traut sich – außer ihr – keiner nehmen, weil sie nicht so bekannt sind. Dem Hog’n verrät die „Schwammerlhex“ von Großarmschlag, wie man Pilze sammelt, sie bestimmt, sie genießt – und dabei überlebt.
Die meisten haben Angst vorm Vergiften…
„Die meisten Leute nehmen nur die Pilze, die sie kennen“, sagt Kaatz, „und das sind gerade mal sechs Sorten.“ Eigentlich sei das schade, denn im Woid gebe es etwa 2.000 Arten – „und viele dieser Arten schmecken besser als Steinpilz und Co.“, findet die ambitionierte Sammlerin. Warum trauen sich dann nicht mehr – und probieren andere Sorten aus? „Weil viele Leute Angst vor dem Vergiften haben“, erzählt die Schwammerl-Expertin. Das kenne sie noch von ihrer Oma, bei der sie aufgewachsen ist. Von Kindesbeinen an ist sie „in d‘ Schwamma ganga“ – gemeinsam mit ihrem gleichaltrigen Cousin.
„… und haben gewartet, ob einer von uns von der Bank fällt“
„Wir haben der Oma jedes Mal kleine Maronen mitgebracht, weil ich in meinem Büchlein gelesen habe, dass das ein vorzüglicher Speisepilz ist. Die Oma hat die aber immer sofort aussortiert – und gesagt, dass die giftig sind“, erzählt Kaatz. Also haben sie die Maronen nach dem nächsten Spaziergang einfach im Holzschuppen versteckt. „Ich habe der Oma dann zugeschaut, wie sie die Schwammerl zubereitet – und als sie einmal nicht da war, habe ich die Maronen geholt und für meinen Cousin und mich ein Essen gemacht.“ Bei der Erinnerung an das Experiment muss sie noch heute lachen: „Nach dem Essen sind wir uns stundenlang gegenüber gesessen und haben gewartet, ob einer von uns von der Bank fällt!“
Lieber stehen lassen, wenn man sie nicht zu 100 Prozent kennt
Trotzdem habe die Oma recht gehabt, meint Kaatz. An sich sei es mehr als ratsam Pilze stehen zu lassen, wenn man sich nicht absolut sicher ist, ob sie giftig sind. Und wie lernt man das dann, die Sache mit dem Pilze bestimmen? „Am besten geht man am Anfang mit einem erfahrenen Schwammerlsucher mit – aber der wird sich hüten, seine Plätze zu verraten. Oder man nimmt die Pilze, die man kennenlernen möchte, mit nach Hause und zeigt sie einem Experten“, rät die Rentnerin, die schon als Kind „Schwammerlhex“ genannt wurde.
In der Bildergalerie: Der Glimmerschüppling: ein essbarer Blätterpilz, der selten vorkommt. Viele empfehlen deshalb, ihn stehen zu lassen. Einige Pilzbücher kennzeichnen ihn als essbar, andere stufen ihn wegen Spuren von Blausäure nicht als Speisepilz ein. Am häufigsten wächst dieser festfleischige Pilz zwischen Brennnesseln.
Pilze anhand des lateinischen Namens bestimmen
Um einen Pilz genau zuordnen zu können, muss man zuerst die Gattung (Name) und dann die Art bestimmen. Dabei sollte man sich an die lateinische Bezeichnung halten, weil jeder Pilz von Region zu Region unterschiedliche Namen hat. Während wir im Landkreis Freyung-Grafenau zum Beispiel vom „Birkenschwamma“ reden, heißt selbiger in Regen „Langhaxen“ – der lateinische Name lautet Leccinum scabrum. Ganz wichtig sind deshalb gute Bücher. Für alle Anfänger empfiehlt die „Schwammerlhex“ deshalb diese beiden Nachschlagwerke: „Welcher Pilz ist das“ von Markus Flück und „Der große Kosmos Pilzführer“ von Hans E. Laux. „Mit der Zeit sollten es aber mindestens zehn Bücher sein“, betont Kaatz, „denn in jedem Lexikon sind andere Bilder drin – und viele Pilze sehen im jungen Stadium ganz anders aus als im späten.“ Zudem empfiehlt sie: „Bitte keine Bücher mit Zeichnungen zu Rate ziehen!“ Zeichnungen seien einfach viel zu ungenau.
Giftigster Pilz im Bayerwoid: der Knollenblätterpilz
„Bei den Röhrenpilzen ist die Bestimmung am einfachsten, weil man hier auch bei den ungenießbaren Sorten eine tödliche Vergiftung ausschließen kann“, erklärt Kaatz. Zu den bekanntesten Vertretern der Röhrenpilze gehören Steinpilz, Rotkappe oder Marone. Die tödlichen Vergiftungen kommen eigentlich nur bei den Blätterpilzen vor – und da sei absolutes Wissen erforderlich, warnt sie. Ihr sind in unserer Gegend ausschließlich Vergiftungen mit dem Knollenblätterpilz bekannt. Der werde nämlich gerne mit dem Champignon verwechselt, vor allem bei den jungen Exemplaren. Die Vergiftung erfolgt hier organisch, das heißt: Die inneren Organe werden zersetzt – allen voran Leber und Nieren. Bei einem 60 Kilogramm schweren Menschen reicht eine Dosis von gerade mal 20 Gramm aus, um getötet zu werden. Bis zu 36 Stunden kann die Inkubationszeit dauern – und dann ist jede Hilfe meistens zu spät.
Weitere giftige Arten: Fliegenpilz und Pantherpilz
Weitere giftige Arten in unseren Breitengraden sind der Fliegenpilz und der Pantherpilz. Diese wirken auf das Nervensystem, die Vergiftung macht sich in kürzester Zeit unter anderem mit Schwindel und Übelkeit bemerkbar. Was viele nicht wissen: Nach einem Pilzgericht mit Zigeunern oder Perlpilzen sollte man möglichst keinen Alkohol trinken. „Das kann sehr gefährlich werden, weil die Kombination dieser Schwammerl mit Alkohol eine chemische Reaktion im Körper auslöst“, sagt Kaatz. Dadurch kann es ebenfalls zu schweren Vergiftungen kommen.
Schwammerl sogleich ordentlich säubern verwerten
„Wer zum Pilze sammeln geht, sollte das Gefundene bloß nicht in einer Plastiktüte transportieren“, warnt Kaatz. Am besten ist ein luftdurchlässiger Korb aus Bast oder Weide. Plastiktüten sind deswegen so ungeeignet, weil die gepflückten Schwammerl noch „weiterleben“. Sie unterliegen also nach wie vor einem Stoffwechselprozess, weshalb es sehr schnell zu einem Wärme- und Feuchtigkeitsstau kommen kann, der die Pilze verfaulen lässt – und dann können auch essbare Exemplare schwere Lebensmittelvergiftungen hervorrufen.
Auf einem guten Pilzplatz sollte man nicht herumtrampeln!
Ob man einen Pilz herausdreht oder abschneidet ist übrigens egal*, sagt Margot Kaatz. Man sollte die Stelle lediglich mit etwas Laub oder Erde abdecken, um ein Austrocknen des Mycels zu verhindern. „Man erntet ja nur den Fruchtkörper. Der eigentliche Pilz, also das Pilzgeflecht, das auch Mycel genannt wird, befindet sich unter der Erde“, erklärt sie. Darum sollte man auf einem guten Pilzplatz auch nicht herumtrampeln und beim Ernten der Schwammerl vorsichtig sein. „Diejenigen, die man nicht kennt, sollte man stehen lassen und nicht umtreten – um der Natur willen“, fügt sie hinzu. „Denn Pilze sind wichtig für das Ökosystem des Waldes.“ Auch ein kleines Messer ist bei der Suche von Vorteil, damit man den Fund gleich an Ort und Stelle säubern kann.
Pilze vorher abkocken – auch vor dem Braten
Zu Hause angelangt, beginnt dann erst die richtige Arbeit, denn die Schwammerl müssen gut geputzt werden – und zwar sofort. Am einfachsten geht das mit einem leicht angefeuchteten Mikrofasertuch. Den Rest schabt man mit einem kleinen Messer herunter. Wer die Pilze gleich verwenden will, sollte sie erst einmal mindestens 15 Minuten lang abkochen – und sie danach gut abtropfen lassen. „Pilzgerichte können auch ohne Weiteres aufgewärmt werden, wenn sie nach dem Kochen gekühlt und im Kühlschrank mit dem richtigen Geschirr aufbewahrt werden“, sagt Kaatz. Sie empfiehlt dafür Glas und Porzellan.
Einfrieren oder Trocknen – so schmecken sie auch im Winter
Wer die Schwammerl aufbewahren möchte, der friert sie entweder ein oder trocknet sie. Zum Einfrieren sollte man sie klein schneiden und in Salzwasser blanchieren (ungefähr 5 Minuten kochen), dann abseihen, abtropfen und abkühlen lassen – und in eine Gefrierdose oder -beutel geben. Bei minus 18 Grad können die Pilze ein Jahr lang aufbewahrt werden. Kurz abgekocht sind sie deswegen am besten, weil sie dann keinen strengen Geruch annehmen – „und die Gefriertruhe nicht nach Schwammerl stinkt“.
Pilze müssen schnell trocknen, weil sie leicht verderben
Zum Trocknen geeignet sind beispielsweise Rotkappen und Steinpilze. Bei älteren Exemplaren sollte man jedoch den Schwamm entfernen. Die Pilze auf etwa zwei Millimeter dicke Scheiben schneiden und einzeln in Schachteln auf Backpapier legen. Dann in der Sonne trocknen lassen. Falls keine Sonne vorhanden: Schachteln auf einen Heizkörper oder in den Heizraum stellen. Die Pilze müssen schnell trocknen, weil sie leicht verderben können. Innerhalb von zwei Tagen sollte der Trocknungsprozess abgeschlossen sein. Woran man das erkennt? „Die Schwammerl müssen richtig rascheln“, sagt Kaatz. Übrigens: Pfifferlinge und Trompetenpfifferlinge sind zum Trocknen ungeeignet, weil sie sehr bitter und zäh werden. Die getrockneten Schwammerl gibt man dann in Aromadosen. Wenn man irgendwann „an Blanga“ (einen Gusto) bekommt: die Pilze einfach mit heißem Wasser übergießen und ein halbe Stunde ziehen lassen – das nimmt ihnen den strengen Geschmack.
In manchen Jahren gibt es mehr Pilze als sonst – warum?
Viele Sammler haben in manchen Jahren den Eindruck, dass es mehr Schwammerl gibt als sonst. Stimmt das? Die Expertin nickt zustimmend. Aber woran liegt das? „Das kann ich auch nach 50 Jahren Erfahrung nicht so genau sagen“, antwortet sie, „auch Vielfalt und Arten variieren von Jahr zu Jahr. Warum? Ich weiß es nicht …“
Wer sich nun auch vom Pilzfieber hat anstecken lassen, der kann auch jetzt schon Glück haben – und sich freuen. Denn bis zum ersten Frost dauert’s hoffentlich noch ein wenig. Dann ist’s nämlich vorbei mit der Schwammerlzeit. Die Saison endet übrigens mit dem Hallimasch. Das ist ein Stockschwammerl, der an Baumstämmen wächst. „Das ist dann nicht der Urknall“, meint Kaatz schmunzelnd, „sondern der Endknall!“
Schwammerl-Rezepte nach Großmutters Art
Eine leidenschaftliche Pilzsammlerin wie Margot Kaatz weiß natürlich auch, wie man die Schwammerl lecker zubereitet. Drei ihrer Lieblingsgerichte hat sie uns verraten:
Schwammerlsoße von frischen Pilzen
Zutaten: Etwa 1 kg gemischte Pilze, 50 g Butter, 1 Bund Petersilie (Hälfte sofort zugeben, Rest 2 Minuten vor Garende), Salz, Pfeffer, Fondor, etwas Maggiwürze, einen halben Becher Schmand, Speisestärke (wer Zwiebel mag: diese zuerst in Butter andünsten; allerdings verfälscht die Zwiebel den Pilzgeschmack)
Zubereitung: Schwammerl in Butter andünsten, dann mit Wasser ablöschen, süße Sahne, Salz, Pfeffer, Hälfte der fein gehackten Petersilie, Fondor und Maggiwürze nach Belieben zugeben. Das Ganze ungefähr 20 Minuten köcheln lassen. Drei Minuten vor Garende: Die Soße mit Speisestärke eindicken. Schmand und den Rest der Petersilie zugeben – fertig.
Bratpilze oder Geretzte
Nur festfleischige Pilze verwenden! Schwammerl in Butter andünsten (wer Zwiebel dazu mag, diesen vorher andünsten). Sahne zugeben, dann salzen und pfeffern. Das Ganze fünf Minuten kochen lassen, die Hitze zurücknehmen und langsam einreduzieren lassen. Nach etwa 15 Minuten, wenn die Flüssigkeit verdampft ist, mit Eiern stocken, Petersilie zugeben – fertig.
Pilzküchlein oder Pilzpflanzerl
Zutaten: 600 g gemischte Pilze, 3 mittlere Zwiebeln, 200 g durchwachsenen Speck, Knödelbrot von vier alten Semmeln mit etwas heißer Milch einweichen, 2 Eier, Salz, Pfeffer, Petersilie und Majoran.
Zubereitung: Die Zwiebeln und den Speck fein würfeln und in Fett andünsten. Die Pilze klein schneiden und 10 Minuten in Salzwasser kochen. Gut abtropfen lassen und fein hacken. Die Semmelmasse mit den verquirlten Eiern, Gewürzen, gedünsteten Speck und Zwiebeln gut vermischen (evtl. noch Semmelbrösel dazugeben, wenn Masse zu weich ist) und die Pilze dazugeben. Kleine flache Küchlein formen und im Bratfett ausbacken. Dazu Kartoffelbrei und Pilzsoße reichen.
Dike Attenbrunner
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*Edit/Update (24.08.23): Ja, auch die Schwammerl-Expertise entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter. Eine Hog’n-Leserin hat uns folgende Informationen zukommen lassen:
- Ein Tintling (nicht nur der Schopftintling) läuft nicht aus, er vertintet durch Zersetzungsprozesse. Im Mittelalter nutzte man übrigens die Tinte tatsächlich zum Schreiben.
- Den Trompetenpfifferling kann man sehr wohl trocknen, man sollte ihn dann aber zermahlen für Pilzpulver. Er gibt ein gutes Aroma, denn leider haben wir im Bayerwald keine Totentrompeten (auch ein Schlauchpilz), der vorzugsweise auf Kalk (hier ist der Boden eher sauer, statt basisch) wächst.
- Die Aussage „Ob man einen Pilz herausdreht oder abschneidet, ist übrigens egal“, gilt als umstritten bzw. ist so nicht richtig. Denn: Wenn man Pilze abschneidet, nimmt man als Pilzsammler eklatant wichtige Unterscheidungsmöglichkeiten erst gar nicht wahr, da man diese im Boden belassen hat. Und: Das Argument, das Herausdrehen des Pilzes würde das Myzel beschädigen, gilt mittlerweile als überholt. Stattdessen habe man erkannt, dass das Abschneiden den Stumpf im Boden belässt, welcher dann vergammelt und das Myzel schädigt.