Kirchl. Schwammerlzeit. Wegen Marone, Steinpilz und Pfifferling finden im Herbst in den hiesigen Wäldern wieder regelrechte Völkerwanderungen statt. Die Suche nach den kleinen Köstlichkeiten ist ein beliebtes Hobby vieler Waidler, die Verarbeitung der Pilze eine Kunst mit langer Tradition im Bayerischen Wald. Einer, der sich nicht nur in der Freizeit mit Dowanigl & Co. beschäftigt, ist Peter Karasch. Der 51-Jährige ist Mykologe. Geboren im Ruhrgebiet, 1991 nach Ostbayern gezogen, landete er vor drei Jahren im Bayerwald, um im Nationalpark die Pilzwelt zu erforschen. Eine langwierige, aber auch hochinteressante Aufgabe, wie er erzählt.
Denn: Nach einer aktuellen Datenbankauswertung für das in diesem Jahr gestartete Interreg-Projekt „Die Pilze des Böhmerwaldes“ gibt es mehr als 3.000 Pilzarten in der Region um Lusen und Rachel. Um das Ausmaß dieser Vielfalt einschätzen zu können, muss man diese Zahl jedoch in Relation setzen. „Zum Vergleich: In ganz Bayern gibt es 3.000 verschiedene Pflanzenarten und mehr als 8.000 Pilzarten. Weltweit sind bisher über 300.000 Pilzarten bekannt, man rechnet jedoch mit über 1,5 Millionen“, weiß Peter Karasch.
(Bilderstrecke: Peter Karasch)
Doch der Bayerische Wald sei ein besonders interessantes Gebiet für seine Forschungsarbeit. Die schöne, teilweise unberührte Natur sowie das große zusammenhängende Waldgebiet mit viel Biotopholz hat den 51-Jährigen schnell begeistert. Nicht nur aufgrund seiner Beschäftigung beim Nationalpark als Projektkoordinator für das Funga-Projekt lebt er deshalb gern in Kirchl in der Gemeinde Hohenau.
Pilzsachverständiger und Fachberater für Mykologie
Beste Voraussetzungen, um im Dienste der Wissenschaft die regionale Schwammerlwelt zu begutachten. Gemeinsam mit Studenten und weiteren Helfern bewandert er in nächster Zeit systematisch den Nationalpark, dokumentiert die dort vorkommenden Pilzarten und wertet sie aus. „Unser Ziel ist es, erstmals möglichst alle Pilze der gesamten Region zu sammeln. Später soll mithilfe dieser Informationen eine allumfassende Webseite entstehen.“ Bei seiner Grundlagenforschung wird deutlich, dass es nicht nur Steinpilze und andere bekannte Arten im Bayerischen Wald gibt. Auch einige, bisher unbekannte Gewächse konnten Peter Karasch und sein Team bereits ausfindig machen. Jüngste informierte der Nationalpark darüber, dass „Antrodiella niemelaei“ und „Skeletocutis stellae“ entdeckt werden konnten. Ein erster, bahnbrechender Erfolg für den Mykologen.
Mehr als drei Jahre wird diese wissenschaftliche Arbeit wohl in Anspruch nehmen. Ein langweiliges Unterfangen? Mitnichten. Pilze suchen als Hauptbeschäftigung – ein Traumjob. Davon ist Peter Karasch überzeugt. „Ich habe mir einen Lebenstraum mit meiner Aufgabe erfüllt.“ Doch wie wird man eigentlich Mykologe, also „professioneller Schwammerlsucher“? Der 51-Jährige wählte dazu den etwas schwierigeren Weg: Als gelernter Gartenbautechniker interessierte er sich seit jeher für die Flora, aber auch für die Fauna und Funga. Er wurde Mitglied im Verein für Pilzkunde in München und hat sein Wissen hobbymäßig immer weiter vertieft. „Nach verschiedenen Lehrgängen war ich dann Pilzsachverständiger. Und durch eine Schulung von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie wurde ich schließlich zum universitätsgeprüften Fachberater für Mykologie.“ Der typische Learning-by-doing-Weg also, wobei auch ein akademischer Abschluss möglich wäre. Einige Universitäten in Deutschland würden ein Biologie-Studium mit Fachrichtung Mykologie anbieten, erklärt Karasch.
Pilze suchen ist kein Glücksspiel
Im Laufe der Jahre hat sich der gebürtige Ruhrpottler einen gewissen Ruf in Schwammerl-Szene erarbeitet. Forschungsarbeiten im Nationalpark Bayerischer Wald und Expertisen für verschiedenste Einrichtungen machten es möglich, dass er sein Hobby zum Beruf machen konnte. „Seitdem besteht mein Leben aus dem Dreiklang Laufen, Suchen, Schauen“, erklärt Karasch und lacht. Er fühlt sich sichtlich wohl mit seiner Arbeit, die er eher als Berufung erachtet. Doch neben der vielen Zeit in der schönen Natur und seiner forscherischen Pionierarbeit gibt es auch einige Probleme und Schwierigkeiten, die seine Tätigkeit mit sich bringt.
Vor allem im Herbst, der Schwammerl-Hochsaison, läutet regelmäßig sein Handy. Krankenhäuser, in denen Leute behandelt werden, die zuvor giftige Pilze gegessen haben, melden sich und bitten den Experten um Hilfe. Nicht selten geht es dabei um Leben und Tod. „Die Ärzte bitten mich, ihnen mithilfe einer Pilzprobe oder anhand der Vergiftungserscheinungen zu sagen, welche Pilze die Patienten verzerrt haben. Nur so können sie das passende Gegengift injizieren.“ Damit es erst gar nicht zu solchen Notfallsituationen kommt, rät Peter Karasch allen Hobby-Pilzesammlern nur diejenigen Schwammerl mit nach Hause zu nehmen, die man auch hundertprozentig als Speisepilz einschätzen kann. „Eine gewisse Erfahrung ist eben unabdingbar.“
Kenntnis ist auch gefragt, wenn es um die Suche von Marone, Steinpilz und Pfifferling geht. „Man muss in die richtigen Wälder gehen. Außerdem muss die Temperatur und die Feuchtigkeit stimmen“, erklärt Peter Karasch. „Dann ist eine große Ausbeute fast schon garantiert.“ So findet man die im Bayerischen Wald hoch geschätzten Steinpilze (auf Waidlerisch: „Dowanigl“) meist in der Nähe von Fichten. Doch nicht nur der scheinbare „König der Pilze“ ist für Karasch ein ausgemachter Leckerbissen. Auch der im Volksmund als „Zigeuner“ bekannte flockenstielige Hexenröhrling sei ein wahrer Genuss, den jedoch nur Fortgeschrittene schätzen. Befolgt man die Grundregeln des Mykologen, ist Pilze suchen kein Glücksspiel, sondern vielmehr die Folge von Erfahrung. Eine erfolgreiche Suche ist während der Pilzsaison zwischen Mitte Juli und November (bis zum Wintereinbruch) unter Berücksichtigung einiger Faktoren also kein Zufall.
Tschernobyl und seine Folgen
Doch selbst beim „großen Fang“ gibt es einige Dinge, die es zu beachten gilt. Stichwort: radioaktive Strahlung. Auch noch mehr als 30 Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl sind die Nachwehen dieses Atom-Unfalls deutlich auszumachen – vor allem bei Pilzen. „Mit diesem Thema muss man nach wie vor sehr sensibel umgehen“, rät Pater Karasch: Erwachsene sollen pro Woche nicht mehr als ein halbes Kilo Schwammerl verzehren, Schwangere und kleine Kinder die stärker belasteten Pilzarten nach wie vor meiden. Vor allem Maronen seien noch sehr belastet. „Generell soll man Pilze als Genussmittel betrachten – und nicht Unmengen davon essen.“
Trotz aller Eventualitäten hinsichtlich radioaktiver Strahlung, trotz aller Wahrscheinlichkeiten, wo welche Pilzarten zu finden sind, ist und bleibt die Schwammerlsuche ein Fall für sich. Der eigene, ganz persönliche „Schwammablotz“ ist das wohl bestgehütete Geheimnis vieler Waidler. Daran will Peter Karasch auch gar nichts ändern. Er selbst ist über diese Leidenschaft schließlich zu seinem Beruf gekommen. Er selbst ist nach wie vor begeistert von den kleinen Gewächsen in den Wäldern des Bayer- und Böhmerwalds.
Helmut Weigerstorfer