FRG. „Habt ihr euch das auch gut überlegt?“ Das war die Reaktion vieler unserer Freunde in München, wenn ich erzählt habe, dass wir von dort zurück in den Bayerischen Wald ziehen werden. Die Großstädter konnten sich nicht vorstellen, was wir hier wollen – am „Ende der Welt“, wo man in ihren Augen weder vernünftige Einkaufsmöglichkeiten hat noch Kulturangebote – wo man, kurz gesagt, menschenseelenallein und verloren ist. Der Landkreis Freyung-Grafenau will nun mit der Kampagne „Mehr als du erwartest“ Fachkräfte anlocken und zeigen, wie lebenswert der Landkreis ist – ein guter Ansatz, dessen Umsetzung jedoch schwierig zu sein scheint…
Nun hat der Landkreis Freyung-Grafenau eine Imagekampagne gestartet, um… Ja, was eigentlich? Den Münchnern diese Vorurteile auszutreiben? Sie in den Bayerischen Wald zu locken? Exil-FRG’ler zur Rückkehr zu bewegen? Die Kampagne will alles davon erreichen.
„Bei zehn oder zwanzig Bewerbern sind wir glücklich“
Die Kampagnen-Macher haben klar erkannt: Was der Landkreis braucht, ist ein besseres Image bei den „Auswärtigen“. Und zwar deshalb, weil den Firmen, wie sie sagen, hier Fachkräfte fehlen. Die Menschen dazu zu bringen, auch mal im Bayerischen Wald nach einem neuen Job zu suchen – und ein gutes Jobangebot nicht deshalb von vornherein abzulehnen, nur weil die Firma in Freyung-Grafenau sitzt, das muss die Imagekampagne schaffen.
„Wir wollen euch die positiven Aspekte der Umgebung, die Menschen, die darin leben, und die Unternehmensvielfalt, die es in Freyung-Grafenau gibt, nahe bringen – ob ihr nun Urgewächse des Landkreises seid oder euch von außerhalb für die Region interessiert“, heißt es auf der Homepage der Kampagne. Unter dem Überthema „Mehr Raum und Zeit“ wolle man zeigen, dass es im Landkreis einerseits attraktive Arbeitsplätze gibt und andererseits die Natur als Ausgleich zum Job: „Wir wollen die ganze Mischung ansprechen“, sagt Christoph Fritz von der Werbeagentur „Freunde der guten Idee“ , die die Kampagne in die Tat umsetzt.
Dass diejenigen, die sich von außerhalb für ein Leben in FRG interessieren, zahlenmäßig die allerkleinste Gruppe darstellen werden, die die Kampagne erreicht, ist Wirtschaftsreferent Ralph Heinrich klar. Es werden wohl vor allem Leute sein, die ohnehin mit dem Landkreis in Verbindung stehen. Heinrich ist neben Regionalmanager Stefan Schuster einer der beiden Hauptverantwortlichen für die FRG-Werbemaßnahme. Ob durch die Kampagne hunderte oder nur eine handvoll Leute angelockt werden, ist laut Christoph Fritz von der Werbeagentur aber nicht entscheidend. Es gehe um Qualität statt Quantität: „Wenn wir zehn oder zwanzig richtig gute Bewerber für die Unternehmen finden, dann sind wir glücklich.“
Wer Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, wird schwer fündig
Fritz ist sich allerdings sicher: Auch Menschen, die vorher noch nie von Freyung-Grafenau gehört haben, kann man mit der Kampagne vom Umzug hierher überzeugen. „Viele Münchner sind der Meinung, dass die Zustände in der Stadt langsam nicht mehr zumutbar sind“, berichtet Fritz von ersten Gesprächen mit Menschen aus München über die Kampagne. 49 Stunden stände man in der Münchner Innenstadt pro Jahr im Stau – dazu kämen die hohen Miet- und Kaufpreise für Immobilien, die Kitagebühren usw. Alles besser in FRG, da sind sich die Kampagnen-Verantwortlichen einig. Wer sich selbst davon überzeugen möchte, könne sich auf der Internetseite mehralsduerwartest.de für ein Wochenende im Landkreis bewerben. Ein „FRG-Scout“ zeigt an diesem Schnupperwochenende den Interessierten, wo sie arbeiten und wie sie leben könnten.
Den potenziellen Neu-FRGlern macht es dann hoffentlich nichts aus, dass das Grundstück, das sie erwerben könnten, nicht mitten in der Natur liegt, sondern in Neubau-Gebieten wie dem Waldkirchner Kapellenfeld. Ähnlich einer Siedlung in einem Münchner Vorort sind die Grundstücke dort dicht an dicht geplant – hier wohnt man Zaun an Zaun mit etlichen anderen Neubau-Besitzern. Wer Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, wird hier wohl nur schwer fündig. Und bauen irgendwo draußen in der Prärie – im „Außenbereich“, wie es im Beamtendeutsch heißt? Kaum erlaubt – wegen „Zersiedelung der Landschaft“. Dafür ist der Baugrund im Vergleich zur Landeshauptstadt tatsächlich fast als spottbillig zu bezeichnen.
Gegenrechnen müssen Interessierte allerdings, dass das Lohnniveau hier im Landkreis auch erheblich niedriger ist als in München. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Das Gehalt, das hier gezahlt wird, kann etwa ein Drittel niedriger sein als in München. „Da muss jeder seine eigene Rechnung aufstellen“, gibt Wirtschaftsreferent Ralph Heinrich zu.
Eine Rechnung, die für den Landkreis aufgeht, ist die Finanzierung der Kampagne: Denn den größten Teil der Kosten tragen die Unternehmen aus der Region, die sich von der Kampagne erhoffen, jene fehlenden Fachkräfte anzulocken. Dazu kommen Fördergelder für das Projekt „Regionalmanagement“. Der Landkreis selbst muss laut Heinrich nur eine überschaubare Summe stemmen und bekommt dafür eine Imagekampagne mit Internetseite, gedruckter Broschüre, Filmmaterial, das über soziale Medien verbreitet wird usw. Und das sei erst der Anfang der bis Ende 2018 geplanten Aktionen.
„Das ist das, was uns jetzt auf die Füße fällt“
Aber wozu die ganze Werbung? Dass die Region mittlerweile über einige Unternehmen mit attraktiven Jobs verfügt, muss tatsächlich mal rein in die Köpfe der Leute. Ob es gelingen wird, die Köpfe der Großstädter zu erreichen, darf bezweifelt werden. Dass es schwierig ist, jemanden aus der Stadt wegzulocken, der mit dem Landkreis bisher so rein gar nichts zu tun hatte, ist auch Ralph Heinrich klar: Schließlich hat der gebürtige Franke sich selbst lange dagegen gesträubt, hierher zu ziehen – bis seine Frau und der Bayerische Wald ihn schließlich doch überzeugt haben.
Wichtiger ist es ohnehin, die jungen Leute aus der Region von den Karrieremöglichkeiten im Landkreis zu überzeugen. Denn eines wurde in der Vergangenheit stark versäumt: den Absolventen am Ende der Schullaufbahn eine vernünftige Berufsberatung mit an die Hand zu geben. Ihnen aufzuzeigen, was sie beruflich in der Region machen können, welche Jobperspektiven es hier gibt. Vier von fünf Abiturienten seien in der Vergangenheit weggegangen, weiß Wirtschaftsreferent Ralph Heinrich. „Das ist das, was uns jetzt auf die Füße fällt.“
Die wichtigste Aufgabe des Regionalmanagements wird also bleiben, bereits die Schüler des Landkreises anzusprechen. Und daneben: Den Exil-FRG’lern präsentieren, wo sie sich um einen Job bemühen könnten, welche Möglichkeiten der Landkreis mittlerweile bietet. „Wir wollen mit der Kampagne dem Klischee entgegen wirken, dass bei uns hier hinten im Bayerischen Wald jobmäßig nichts geboten ist“, formuliert es Regionalmanager Stefan Schuster.
Wer plante, hier zu bleiben, studierte Lehramt oder wurde Beamter
Das Problem an der Sache mit den „FRG-Wegzüglern“: Die Leute, die wie ich vor zehn bis fünfzehn Jahren den Landkreis verlassen haben, haben meist etwas studiert, mit dem sie bei den vielen aufstrebenden Unternehmen in der Region keinen Job finden. Wer wie ich rund um das Jahr 2000 im Landkreis Abi gemacht hat, ging automatisch davon aus, dass ein Leben in der Heimat später nicht möglich sein wird, weil schlicht und einfach hier kein vernünftiger Job für Höherqualifizierte zu haben ist. Wer plante, hier zu bleiben, studierte Lehramt oder wurde Beamter. Und hat jetzt das Problem, dass er im Landkreis keine Stelle bekommt…
Wer in den Landkreis zurückkehren möchte, aber unter den Stellenanzeigen, die auf der Internetseite der Kampagne aufgeführt sind, nichts Passendes für sich findet, kann sich zwar an den Regionalmanager wenden. „Klassische Jobvermittlung ist nicht unsere Aufgabe“, schränkt Stefan Schuster allerdings ein. Es gebe aber ein Personalleiter-Netzwerk aller großen Unternehmen im Landkreis, wirft Wirtschaftsreferent Heinrich ein. An dieses Netzwerk könne er jederzeit Bewerbungen verteilen.
Inwieweit das von Erfolg gekrönt sei, können die Kampagnenmacher nicht beurteilen. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich: Leider bekommt auch der Bewerber selbst so gut wie nie Rückmeldung von den Unternehmen. Auch auf direkte Bewerbungen um bestimmte Stellen kommt häufig keinerlei Reaktion. Hier können die Unternehmen der Region sicher noch einiges in Sachen Kommunikation verbessern.
Es wird sich also auch nicht als einfach erweisen, genau die passend-qualifizierten Exil-FRG’ler mit der Kampagne zu erreichen, um freie Stellen zu besetzen. Bleibt also der Ansatz, das Image des Landkreises zu verbessern – und wegzukommen von Provinz-Vorurteilen. Das bisherige Medienecho – vor allem ein Beitrag in der „Abendschau“ des Bayerischen Rundfunks – lässt jedoch vermuten, dass auch dieses dritte Ziel schwierig zu erreichen sein wird. Die Großstädter sind durch die Kampagne bis dato augenscheinlich keineswegs vom „Bauern-Image“ des ländlichen Raums abgekommen…
Ist das Leben in der Stadt wirklich so anders als bei uns?
Die Internetseite der Kampagne ist modern gestaltet, die Kampagne will signalisieren, dass wir hier keine „Hinterwäldler“ sind. Und trotzdem ist im Abendschau-Beitrag gleich zu Beginn Kuhglockengebimmel zu hören… Dazu der Text: „Dabei wäre es hier so schön beschaulich.“ Später heißt es im Beitrag: „Der Landrat, der nie aus Freyung weggezogen ist…“ Wieder einmal bleibt beim Zuschauer – leider – der Eindruck hängen, dass das „Landleben“ zwar idyllisch und kostengünstig ist – und doch so ganz anders als das Stadtleben in München. Ist es das tatsächlich?
Neulich haben uns Freunde aus München besucht und uns vorab gefragt, ob sie uns denn was aus München mitbringen können. Wieso? Weil sie denken, dass es im Bayerischen Wald bestimmt manche Sachen nicht gibt. Dass wir hier sämtliche Supermärkte haben, Bioläden, große Modegeschäfte, Restaurants mit Speisen aus aller Herren Länder und und und – das dachten sie nicht. Stattdessen gehen viele tatsächlich davon aus, dass hier jeder auf einem Bauernhof lebt und Selbstversorger ist… Bleibt zu hoffen, dass die Imagekampagne bei dem ein oder anderen dieses falsche Bild im Kopf ausräumen kann – egal, ob diese Leute dann hierher ziehen oder nicht.
Und ja, es gibt sie übrigens schon jetzt: Leute, die aus dem Großraum München hierher kommen. Eine junge Familie, bei der das der Fall ist, haben wir vor Kurzem getroffen. Warum sie hier gelandet ist? Und wie es ist, wenn man sich gegen den Großraum München und für Freyung-Grafenau entscheidet? Mehr dazu bald auf hogn.de…
Feature: Sabine Simon