Eggenfelden. Fräulein Weiler liebt Märchen. Und seit sie am Theater an der Rott ihre erste Oper, Orpheus und Eurydike, gesehen hat, hat sie Blut geleckt. Welch glückliche Fügung des Schicksals, dass sie nun am Wochenende die Märchenoper Hänsel und Gretel an ihrem Lieblingstheater erleben durfte. Sie empfand das Stück als Genuss für Augen und Ohren und ihr Verlangen nach Romantik und Schönheit wurde vollstens befriedigt… Lesen Sie auf’m Hog’n, wie sehr!
Kennen Sie das Gefühl, wenn alles stimmig zu sein scheint, alle Sinne erfüllt sind und Sie ganz und gar den Moment auskosten und sich gleichzeitig in Zeit und Raum verlieren? Denken Sie jetzt an Sex? Damit liegen Sie im Idealfall sicher richtig. Aber denken Sie mal ein bisschen weiter… Ich kenne dieses Gefühl aus meiner Kindheit, wenn ich mich beim Spielen so sehr vertieft habe, dass allein meine Wahrnehmungen meine Wirklichkeit ausmachten. Und ich kenne das Gefühl, das mich leider nur allzu selten beim Lesen eines wahrhaft guten Buchs beschleicht, wenn sich die Charaktere verbildlichen und die Geschichte lebendig vor meinen Augen tanzt. Zugegeben – am Theater habe ich dieses Gefühl noch nicht erlebt. Bis jetzt nicht. Hänsel und Gretel – die Märchenoper vom alten Engelbert Humperdinck, neu arrangiert von der jungen Münchner Komponistin Helga Pogatschar und ideenreich inszeniert von Philip Stemann, hat dies geändert. Ich habe mich verloren in der Märchenwelt – und es war einfach wunderschön.
Das Hexenhaus schreit fast von alleine „knusper-knäuschen“
Wissen Sie, ich liebe Märchen. Ich mag diese Geschichten von Gut und Böse, von Fantasiegestalten, Archetypen und Sagenhaften. Von tiefen Wäldern, Anderswelten und geläuterten Gestalten. Ich mag die Geschichten, die triefen von Mystik und Magie, Heidentum, Symbolen und Zauberformeln und viel Romantik. Hänsel und Gretel hat freilich einen etwas mittelalterlichen Beigeschmack – schließlich wird hier eine Hexe verbrannt, seien wir einmal ehrlich. Die Geschichte der Frauen bekam mit der Christianisierung eine böse Wende. Ausnahmsweise einmal großzügig darüber hinweggesehen, ist Hänsel und Gretel aber auch eine Geschichte mit viel Familiensinn, Liebe und Loyalität – und das ist wiederum wunderbar.
Wunderbar… ist auch Bernhard Siegl. Schauen Sie sich die Fotos an! Und selbst dann sehen Sie das Ausmaß der prächtigen Welt nicht, die der Mann hier fürs Auge geschaffen hat – umgesetzt vom Theatermaler Ferdinand Hinterwinkler, der an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden muss. Das Bühnenbild ist ganz in schwarz-weiß gehalten – viele Ebenen des Waldes schachteln sich in die Tiefe und werden stimmungsvoll ausgeleuchtet. Das Hexenhaus schiebt sich magisch hinein, ebenfalls ganz in schwarz-weiß, ein echtes Hexenhaus, das fast schon alleine „knusper-knäuschen“ zu schreien scheint. Auch die schlichte Hütte der Familie kommt mit den beiden Nicht-Farben aus. Ebenso die Kostüme.
Fritz Spengler ist eine 1A-Hexe – der Countertenor kichert schauderhaft
Das Einzige, was nicht schwarz-weiß daherkommt, ist der BH der Hexe. Ja, Sie haben richtig gelesen. Die Hexe trägt einen BH, der über und über mit Zuckerzeug behängt ist. Hänsel und Gretel naschen eifrig davon, ohne zu merken, dass Sie die Alte vor sich haben. Bis sie zum Schlag ausholt, Hänsel mit einem Seil drosselt, ihn in einen Käfig sperrt – Sie kennen die Geschichte ja. Diese Hexe kennen Sie allerdings nicht. Es ist Fritz Spengler, der junge Countertenor, der mich bereits in meiner persönlichen Opernpremiere Orpheus und Eurydike begeister hatte. Damals, als Amor, war seine Person noch völlig erkennbar.
Als große, wohl genährte Hexe mit dicken Brüsten und ausladendem Hinterteil (dank Rock noch ausladender), ist er weder als Fritz Spengler noch als Mann auszumachen. Er singt unbeschreiblich klar und hoch – diese enorme Stimme sowie seine imposante Erscheinung verzeiht es ihm, dass nicht jedes gesungene Wort verständlich ist. Und wie er kichert! So laut und durchdringend und schauderhaft. Und wie er „häh?“ sagen kann – mit ganz langgezogenem Ä und irrem Blick. Fritz Spengler ist eine Paradehexe. Zuerst noch mit hoher Aufsteckfrisur und Hut und Haribo-BH. Später mit Kunstbrüsten, deren riesige Nippel durch die schwarze Chiffonbluse lugen und weißer Glatze, von der nur wenige schwarze Strähnen ins ebenso weiße Gesicht hängen. Angenehm gruslig – was aber noch lange nicht die Altersgrenze von 13 Jahren rechtfertigt, die das Theater vorsichtshalber bekannt gegeben hat. Kinder ab acht Jahren kommen bestens mit dieser 1A-Hexe klar, daran bestehen für mich keine Zweifel.
Kein Musiktheater ohne Ohrwurm: „Hunger ist der beste Koch!“
Ebenso wenig wie für mich keine Zweifel bestehen, dass Hänsel und Gretel ein Traumpaar sind. Selbstverständlich ein geschwisterliches. Marika Rainer singt die bekannten Kinderlieder mit einer – verzeihen Sie mir das überstrapazierte Wort – glockenklaren Stimme. „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh“, „Brüderlein, komm tanz mit mir“, „Ein Männlein steht im Walde“. Thomas Huber überzeugt mich mit seinem Gesang auch – aber mit seinem Spiel fast noch mehr. Ich verstehe, dass ihn die Hexe zum Fressen gern hat – er ist nur zum Mögen – tollpatschig, liebevoll, naiv und sympathisch verfressen.
Fast so verfressen, wie der Vater versoffen ist. Der Finne Jussi Järvenpää, der an der Sibelius-Akademie in Helsinki studiert hat (kein Witz), setzt mir mit seinem tiefen „Ralla-lala, ralla-lala, Hunger ist der beste Koch“ einen dauerhaften Ohrwurm in den Kopf. Das verzeihe ich ihm gern. Die Mutter, dargestellt von Kerstin Eder, geht ans Herz – so überzeugend spielt sie die leidende, erschöpfte Frau, die aus Armut und Verzweiflung ihre Kinder in den Wald schickt.
Das Sandmännchen ist kein Ost-Sandmann, sondern ein Ziegenbock
In den tiefen, finsteren Wald, wo sich so manche Gestalt herumtreibt. Ja, sie singen auch, das Sand- und das Taumännchen. Der Gesang von Domenica Maria Radlmaier und Claudia Bauer ist so lieblich, dass er so gar nicht recht zum Erscheinungsbild passen will. Das Sandmännchen ist kein zipfelbemützter Ost-Sandmann, sondern ein Bock. Da steckt das Teuflische drin, er schläfert die Kinder ein, bringt sie in die Anderswelt. Und das Taumännchen – in Gestalt eines Vogels – weckt sie wieder auf. Es sind ja die Vögelchen, die frühmorgens schon zu trällern beginnen. Diese Idee fasziniert mich – und Maskenbildnerin Stephanie Schmitt hat ihr ganzes Können zur Schau gestellt.
Das Auge war glücklich, das Ohr auch. Und zwar nicht nur aufgrund des Gesangs – denn was wäre eine Oper ohne Musik? Diese ertönte selbstverständlich aus dem Orchestergraben, auch wenn sich darin kein klassisches Orchester befand. Dirigentin Hildegard Schön gab den Takt an – für elf Musiker, die allesamt Volksmusikinstrumente spielten. Diese waren klar auszumachen und besonders zwei drangen an mein Ohr: die Flöte und das Hackbrett. Das verlieh der Märchenoper einen zauberhaften Klang, der für mein Laienohr manchmal sogar etwas weihnachtlich war. „Kuckuck“ sagte die Flöte im Wald und als die Hexe kam… ja, ein Blick in den Graben bestätigte meine Vermutung: Hier kam eine wilde E-Gitarre zum Einsatz. Mit diesem Ohren- und Augenschmaus wurde Hänsel und Gretel ein Opernerlebnis, das mich sehr, sehr glücklich genacht hat – mich und mein inneres Kind, das ich stets zu pflegen weiß. Und nicht nur ich war froh. Das Publikum bedankte sich mit minutenlangem Applaus, Trampeln und Gejohle.
Kein Stück ohne Tränchen: Der Abendsegen, das Engelchen und Glitzer
Sie kennen mich nun ja schon ein wenig. Darum warten Sie vielleicht schon ganz gespannt darauf, dass ich Ihnen verrate, an welcher Stelle mir diesmal ein Tränchen über die Wange rollte? Selbstverständlich verrate ich es Ihnen: Es war beim Abendsegen – an sich schon ein Ausmaß an Romantik und Gefühl. Hänsel und Gretel legten sich zum Schlafen vor einen Stein, nachdem ihnen der Sandbock Staub in die Augen gestreut hatte. Das Licht verschwand, die beiden waren nur noch in einen blauen Schimmer getaucht. Da erschien ein kleines Englein, setzte sich auf einen Baumstamm, trat hinter die beiden und zauberte mit einer niedlichen Armbewegung Glitzer vom Himmel. War es Regen, war es die samtene Decke des Schlafs, war es einfach nur ein bisschen Magie? Der Glitzer fiel und fiel, das Engelchen bewachte Hänsel und Gretel und ich schwöre, das Publikum hielt den Atem an, so schön war dieses Bild.
Sie wollen dabei sein? Gewinnen Sie Karten für Samstag!
Sie wollen dieses Bild jetzt auch sehen? Können Sie – und zwar noch am Wochenende, 25., 26. und 27. Oktober. Oder Sie machen mit beim Gewinnspiel. Da Hog’n verlost gemeinsam mit dem Theater an der Rott zwei Karten für Samstag! Sie müssen mir nur verraten, was Ihr Lieblingsmärchen ist und warum – und Ihre Antwort gleich ins darunter liegende Kommentarfeld schreiben. Wer gewinnt, weiß nur das himmlische Kind.
Viel Glück!
Ihr Fräulein Weiler
Mir gefallen fast alle Märchen, als Kind, weil sie so klar waren, in ihrer Botschaft, so bunt (die Anmutung der Illustrationen hab ich immer noch im Kopf), so gerecht in der Auflösung, man musste nur weiterlesen und die Welt hat sich gerichtet, – als Erwachsene, weil sich nun so viele bisher verborgene Gefühle und Weisheiten erschließen lassen und die Klarheit der kindlichen Sicht zugleich in Frage stellen und wieder ausgraben. Meine Lieblingsmärchen sind „Der kleine Zinnsoldat“, bedingungslose Liebe und ein tragisches Happyend, Liebe außerhalb Zeit und Raum, ….schmelz…, „Allerleihrau“, „Der Fischer und sin Fru“, „Pinocchio“ und „Hänsel und Gretel“ natürlich. ;) ich möchte es soooo gern sehen im Theater an der Rott, vor allem bin ich neugierig auf die Hexe und das Engellied!