Darum war ich länger nicht am Theater an der Rott: Ich bin verliebt!
Eggenfelden. Endlich… Endlich, endlich hab ich es geschafft und habe wieder einen Abend – genauer „Eine Sommernacht“ – am Theater an der Rott verbringen können. Zwei Stücke sind an mir vorbeigegangen, weil… Oh, wo fange ich nur an? Ich möchte Sie nicht mit meinen privaten Geschichten langweilen und ich möchte noch weniger indiskret werden. Dennoch habe ich das Bedürfnis, Ihnen zu sagen, wie es um mich, um Fräulein Henriette Weiler, bestellt ist. Ich bin verliebt. Ich bin verlobt! Und ich bin bald verheiratet! Die Liebe. Sie hat mir den Atem genommen, sie hat mir die Sprache verschlagen, sie hat mir die Zeit geraubt. Darum war ich nicht am Theater. Ich gebe es zu. Weil ich stattdessen auf Liebesreise war, romantische Spaziergänge unternommen habe, mich den Frühlingsgefühlen hingegeben habe. Und es ist herrlich!
So sitzen wir nebeneinander zum ersten Mal am Theater an der Rott, er hält meine Hand, der Malerssaal ist ungewohnt, aber sehr freundlich, das Bühnenbild schlicht und erfrischend weiß. Lange Tücher hängen von der Decke und als mein Blick nach oben wandert, bleibt er bei einer pinken Perücke hängen, unter der sich Marco Palewicz verbirgt. Er hat sich auf der Galerie mit seinem Keyboard eingerichtet und ich bin gespannt, welche Töne er diesmal herunterschickt. Ihn habe ich noch in bester Erinnerung – schließlich hat er in der Show „Rose – Queen oft he Night“ schon die Musik beigesteuert, die mich in Kombination mit Roses‘ Gesang so gerührt hat.
… dann liegen sie im Bett und haben Sex, weil es nun halt mal so ist
Ganz unmittelbar geht es los, er drückt meine Hand. Sie stehen da, Helena und Bob, in weißer Unterwäsche, Feinripp. Weiß und Haut. Die Farben des Abends. Weiß und Haut, ganz viel Nähe, ganz viel Sehnsucht. Sie ist eine gefrustete Anwältin für Scheidungsrecht, die ihr Freund versetzt hat. Jetzt ist sie allein in dieser Bar und möchte sich nur heillos betrinken und anschließend wilden Sex haben – aber das sagt sie natürlich nicht so zu Bob. Aber meint es. Bob verdient sich sein Geld auf wenig rechtschaffene Art und Weise, wartet darauf, dass er den nächsten Auftrag erfüllen kann. Liest Dostojewski und rechnet gar nicht mit Helena. Doch da ist sie – und dann liegen sie im Bett und haben Sex, weil es nun halt mal so ist. Auch wenn sie keine Freude daran haben, weil sie es satt haben mit diesen One-Night-Stands. Sogar Bobs „bester Freund“ hat es satt, als er ihn tatsächlich ansieht und den Wunsch äußert, sich mal an nur zwei Hände zu gewöhnen. Aber wollen sie sich binden? Sie sind auf der Suche und fragen sich, warum alle mit 35 Jahren das Laufen anfangen – dabei sind sie selber knapp davor und laufen ohnehin: Weg von ihrem Leben, weg von den tiefen Gefühlen, weg von sich selbst.
Sie treffen sich zufällig wieder – er auf der Flucht, sie in einer saudummen Situation. Zu spät ist sie gekommen zur Hochzeit ihrer Schwester, jetzt steht sie als Brautjungfer vor der Kirche, hat ihren komplexbehafteten Neffen vor sich und will nur noch weg. Es beginnt ein verrückter Tag, in dem Helena mit Bob einen Haufen Geld auf den Kopf haut, sich bekifft, sich ernsthaft fragt, ob sie schwanger ist, erfährt, dass ihr Freund eine andere hat und schließlich, ja schließlich… steht sie mit Bob an der Reling eines Schiffs und fährt weg mit ihm. Hat sich entschieden. Hat mal ihr Herz sprechen lassen. Respekt!
Die Schauspieler: wunderbar, witzig, mimisch grandios
Julia Ribbeck und Markus Baumeister spielen Helena und Bob – und das so wunderbar, witzig, mimisch grandios und rasend schnell, dass es eine Freude ist. Julia Ribbeck schneidet Grimassen, legt die Stirn in Falten, lacht und zeigt ihre schönen Zähne, schreit, dass ich aufschrecke. Und, nebenbei bemerkt, sieht Anke Engelke ihr ziemlich ähnlich – obwohl Julia Ribbeck das bestimmt schon tausendmal gehört hat und es sicher nicht nochmal unbedingt hören will. Markus Baumeister kenne ich schon – er war beim „Varreckten Hof“ und Tschechows „Möwe“ dabei – hat mich aber noch nie derart begeistert wie heute. Er ist heute Bob, dieser vom Leben verwirrte, orientierungslose und im Grunde zutiefst liebeshungrige Mann. Er schafft es, unschuldig auszusehen und ist es aber dennoch nicht – in Bob schlummern schließlich große Träume.
Und warum sitzt jetzt Marco Palewicz da oben? Weil er heute der Regenzauberer ist. Er lässt Regenprasseln ertönen und überschallt dabei das echte, sehr leise Tropfentrommeln, das heute schon den ganzen Tag andauert. Und er macht Musik! Weil die ein wesentlicher Bestandteil des Stücks ist. Ja – Julia Ribbeck und Markus Baumeister singen auch! Und zwar so, dass es mir hin und wieder ein Tränchen in die Augen treibt. Sie singen von der Liebe, die einem das Herz brechen kann, sie vergleichen den anderen mit einem Kater (nein, nicht dem Tier, sondern mit dem Gefühl nach einem Rausch), sie fordern sich heraus, einander zu verknoten. Julia Ribbecks Stimme ist klar und kräftig, Markus Baumeister klingt weich und geschmeidig – und damit ergänzen sie sich prächtig.
„Eine Sommernacht“, die so rund ist, wie ein guter Wein
Er drückt meine Hand wieder und küsst mich auf die Wange, wir sehen uns an und es ist stimmig. Wir hier zusammen im Theater an der Rott. „Eine Sommernacht“, die so rund ist, wie ein guter Wein. Gut hat er das gemacht, der Regisseur Tobias Rott… Das Schauspiel, die Musik, das klare, reine Bühnenbild, der enorme Witz, die unterschwelligen und offensichtlichen Gefühle – alles ist so ausgewogen, dass ganz klar ist, dass hier der Abend nicht enden kann, nicht enden darf. Wir gehen durch den Regen, ganz wie Helena und Bob, huschen zu diesem kleinen gemütlichen Italiener, der einfach gut sein muss, weil die Messer nicht schneiden und das Tiramisu schreit: „Tie me up, tie me up…!“ …und wir sitzen und reden und sehen uns an und die Welt war selten so in Ordnung wie jetzt. Wir sind jetzt da in diesem Augenblick und das können weder Vergangenheit noch Zukunft ändern.
Habe ich Sie jetzt neugierig gemacht? Wissen Sie was? Bleiben Sie dran… Bald lesen Sie wieder von mir!
Ihr Fräulein Weiler