München/FRG. Gut jede fünfte Rentnerin sowie jeder fünfte Rentner in Deutschland erhält weniger als 500 Euro im Monat vom Staat. Dies teilte jüngst das Bundessozialministerium auf Anfrage des AfD-Abgeordneten René Springer mit (die Deutsche Presse-Agentur dpa berichtete zuerst). Etwa 3,4 Millionen Altersrenten (entspricht 19,8 Prozent) rangierten zum Jahresende 2020 unter der 500-Euro-Marke. Etwa die Hälfte (49,5 Prozent) lag bei unter 1.000 Euro. Bayern hat dabei die höchste Altersarmut bundesweit, berichtete etwa die Bayerische Staatszeitung Anfang Januar.
Wie auch der Bayerische Rundfunk jüngst vermeldete, gelten in keinem anderen Bundesland so viele Senioren als armutsgefährdet wie in Bayern: Rund 22 Prozent der über 65-Jährigen seien von Armut bedroht – und damit teilweise deutlich mehr als in allen anderen Bundesländern. Besonders betroffen seien Frauen über 65.
„Armutsgefährdung kleinerer Haushalte wird überschätzt“
„Eine Schande für das reichste Bundesland in einem der reichsten Länder der Erde. Hier läuft es doch gewaltig schief … es besteht dringender Handlungsbedarf!!!“ lautet eine von vielen kritischen Reaktionen in den sog. Sozialen Netzwerken. Oder: „Das beste Deutschland das wir je hatten – soviel zu dem Thema…“ Oder auch: „Schlimm wie weit es bei uns gekommen ist. Hauptsache die Bundestagsabgeordneten erhöhen sich ihre Diäten.“ Und: „Das kann nicht sein wenn man das ganze Leben arbeitet und so wenig Rente bekommt.„
Angesichts der Zahlen, die die Seniorinnen und Senioren im Freistaat betreffen, haben wir den beiden niederbayerischen Landtagsabgeordneten Max Gibis und Manfred Eibl, beide Mitglieder der Regierungsparteien CSU bzw. Freie Wähler, Fragen zum Thema Altersarmut in Bayern zukommen lassen. Deren Antworten lauten wiefolgt:
Herr Gibis, Herr Eibl: Wie bewerten Sie oben genannte Werte?
Max Gibis: Dazu kann ich spontan wenig sagen, da ich diese Studie nicht im Detail kenne und auch nicht die Anfrage des Bundestagsabgeordneten und die Antworten des Ministeriums.
Manfred Eibl: Bei den oben genannten Zahlen und Werten wird auf die sogenannte „Armutsgefährdungsquote“ als statistische Grundlage zurückgegriffen. Diese ist aber die falsche Grundlage, um die finanzielle Situation älterer Menschen möglichst realitätsgetreu abzubilden. Denn sie gibt lediglich den Anteil der Bevölkerung am unteren Ende der Einkommensverteilung bzw. unter einer recht willkürlich gezogenen Armutsgefährdungsschwelle wieder.
Es handelt sich also vielmehr um eine Niedrigeinkommensquote und berücksichtigt nur laufendes Einkommen. Andere Aspekte des Lebensstandards bleiben dabei unberücksichtigt. Dazu gehört insbesondere das Vermögen inkl. selbst bewohntem Wohneigentum, das auch der Altersvorsorge dient und gerade für ältere Menschen eine größere Rolle spielt als für Jüngere, die es erst aus ihrem Einkommen ansparen müssen. Die Armutsgefährdung wird zudem aus dem Haushaltskontext abgeleitet. Durch das angenommene hohe Einsparpotenzial größerer Haushalte wird die Armutsgefährdung kleinerer Haushalte, darunter auch älterer Menschen, überschätzt.
Durch die Mindestsicherungsleistungen wird mit Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums, das neben den physischen Grundbedarfen auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen/kulturellen Leben und die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen umfasst, Armut effektiv bekämpft. Der Vorteil an der Betrachtung dieses Wertes ist, dass hier die individuelle Bedarfslage der Personen sowie deren Einkommens- und Vermögenssituation weitgehend berücksichtigt werden. Deshalb ist die Mindestsicherungsquote – für ältere Menschen die Quote der Inanspruchnahme von Grundsicherung im Alter – der aussagekräftigere Maßstab. Denn diese bemisst das Ausmaß der durch den Sozialstaat vermiedenen Armut.
„… kann das nur an der Erwerbsbiographie liegen“
Welche Ursachen liegen Ihrer Meinung nach dieser Entwicklung zugrunde?
Eibl: Einerseits gestaltet sich die Einkommenssituation älterer Menschen im Freistaat angesichts der früheren landwirtschaftlichen Prägung und auch der geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen gerade im Vergleich zur Situation in den ostdeutschen Bundesländern – die aus Zeiten der früheren DDR eine deutlich höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen haben – sehr unterschiedlich. Diese Auswirkungen sind in Bayern bis heute spürbar. Andererseits werden die Vermögen, die auch bei älteren Menschen in Bayern höher sind als im Bundesdurchschnitt und natürlich auch der Altersvorsorge dienen, bei der Berechnung der Armutsgefährdungsquote nicht berücksichtigt.
Ebenso wenig lässt eine geringe Rente der GRV auf ein niedriges Alterseinkommen schließen, da dieses auch aus anderen Quellen bezogen werden kann – u.a. Alterssicherung der Landwirte, berufsständische Versorgung, betriebliche oder private Altersvorsorge, Beamtenversorgung.
Die erhöhte sogenannte Altersarmutsgefährdung bedeutet demnach nicht, dass es den älteren Menschen in Bayern schlechter geht als in anderen Bundesländern. Dies belegt auch die geringe Mindestsicherungsquote in dieser Altersgruppe. Zudem wird der Vergleich teils auf Basis unterschiedlicher Armutsgefährdungsschwellen vorgenommen. Aus Gründen der bundesweiten Vergleichbarkeit und bundeseinheitlicher Sozialleistungen ist ein Vergleich anhand einer einheitlichen Armutsgefährdungsschwelle auf Basis des Bundesmedians passender.
Gibis: Wenn hauptsächlich Frauen über 65 davon betroffen sind, kann das nur an der Erwerbsbiographie liegen. Vor allem in Westdeutschland war die Familienbiographie ja meistens so, dass der Mann einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachging und die Frauen dieser Generation sich um Haushalt und Kindererziehung gekümmert haben. Wenn dann der Mann verstirbt und die Frau von der Witwenrente leben muss, kommt leider oft nicht viel dabei raus.
„Ein guter Arbeitsmarkt und ein durchgängiges Erwerbsleben“
Welche Wege sehen Sie, um dem Problem der Altersarmut Herr zu werden?
Eibl: Da es mit der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ein universelles, subsidiäres, bedarfs- und bedürftigkeitsorientiertes, steuerfinanziertes Sicherungssystem zur Bekämpfung speziell von Altersarmut in Deutschland gibt, ist zur Vermeidung von Altersarmut eher in der Grundsicherung anzusetzen. Dabei ist es wichtig, dass hilfebedürftige Personen die ihnen gesetzlich zustehenden Hilfemöglichkeiten – wie die Grundsicherung im Alter oder die Hilfe zur Pflege – kennen und auch in Anspruch nehmen.
Der Anteil der älteren Menschen, die auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen sind, ist in Bayern mit 2,8 Prozent geringer als in Deutschland mit 3,2 Prozent. Das ist der zweitniedrigste unter den westdeutschen Bundesländern. Der Anteil der Leistungsbezieher/-innen ab der Regelaltersgrenze ist damit auch deutlich geringer als die Mindestsicherungsquote der Gesamtbevölkerung. Mit Blick auf die frühere, eher niedrige Erwerbsbeteiligung der Frauen setzt sich die Staatsregierung insbesondere auch für den Ausbau der Mütterrente III ein, um die Erziehungs- und Lebensleistung der Mütter entsprechend zu würdigen.
Die beste Armutsprävention sind jedoch ein guter Arbeitsmarkt und ein möglichst durchgängiges Erwerbsleben. Gerade weil die erfolgreichste Prävention vor Altersarmut immer lange vor dem Rentenalter ansetzt, liegt ein Schwerpunkt der Bayerischen Staatsregierung auch auf Bildung und Qualifizierung. Für die erfolgreiche Eingliederung Langzeitarbeitsloser braucht es zudem eine intensive und zielgerichtete Beratung durch die Jobcenter. Ein weiteres Augenmerk muss zudem darauf gelegt werden, wie Voraussetzungen für zukunftsfähige Arbeitsplätze – etwa Zukunftsinvestitionen, wirtschaftsfreundliche Standortbedingungen, flexible Beschäftigungsmöglichkeiten – geschaffen werden können.
Gibis: Für die Rentnerinnen dieser Generation ist es existentiell wichtig, dass die Kindererziehungszeiten bei der Rente berücksichtigt werden. Stichwort: Mütterrente. Diese muss erweitert werden! Diese Frauen haben – auch wenn sie selber nichts in die Rentenkasse einbezahlt haben – einen sehr wichtigen gesellschaftliche Beitrag mit der Erziehung der Kinder geleistet. Das sind die Kinder, die jetzt selber mit ihren Beiträgen dafür sorgen, dass das Rentensystem als Generationenvertrag funktioniert. Schlussendlich wird es nicht vermeidbar sein, dass mit Steuermitteln die Rentenstabilität gesichert bleibt. Auch jetzt schon beträgt der Steuerzuschuss zur Rentenkasse über 100 Milliarden Euro. Dieser Anteil wird steigen müssen. Zudem wäre es wichtig die Rentenversicherung von Fremdleistungen zu entlasten.
„Rente muss ein Spiegel der Lebensleistung sein und bleiben“
Was möchten Sie sonst noch zu diesem Thema ergänzen?
Gibis: Bei der Witwenrente muss meines Erachtens nach eine eigene Lösung zur Besserstellung gefunden werden. Damit muss vermieden werden, dass die Witwe oder der Witwer Grundsicherung beantragen muss.
Eibl: Die gesetzliche Rente bleibt das wichtigste Standbein der Alterssicherung. Im Zuge dessen muss das Altersvorsorgesystem zukunftsfähig und leistungs- sowie generationengerecht modernisiert werden. Die bestehenden drei Säulen der Alterssicherung gilt es stärker und attraktiver zu gestalten. Die Rente muss ein Spiegel der Lebensleistung sein und bleiben. In diese Überlegungen soll zudem einfließen, ob und inwieweit das Umlageverfahren der Altersvorsorge langfristig durch eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt werden kann.
Von Altersarmut gefährdet sind vor allem Erwerbsgeminderte, Beschäftigte mit niedrigem Verdienst und Mütter. Reformen der Alterssicherungssysteme zur Vermeidung von Altersarmut müssen deshalb zielgenau und bedarfsgerecht für eine angemessene Absicherung dieser Personengruppen sorgen.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer