Die Jugend ist nicht nur ein zeitlich fest verankerter Lebensabschnitt, ein Teil des Erwachsenwerdens, eine Phase der Veränderung. Sie ist vor allem ein Gefühl. Ein Gefühl, das einen ein ganzes Leben lang begleiten kann – oder für immer verloren geht. Ein Gefühl, das immer wieder in einem hervorbricht, getriggert wird in den unvorhersehbarsten Momenten. Das einen selbst im hohen Alter noch zurückwirft in längst verloren geglaubte Lebensetappen. In denen all das zurückkehrt, was damals, in jener Phase des Daseins so überwältigend, so neu, so verzaubernd war. „Wir haben im Leben darum zu ringen, so denkend und so empfindend zu bleiben, wie wir es in der Jugend waren“, sagte einst Albert Schweitzer, Denker und Philosoph. Glückselig die, denen dies gelingt.
Doch allzu philosophisch geartet ist Bernhard Blöchls neuer Roman „Eine göttliche Jugend„, sein dritter mittlerweile, nicht. Das Gefühl der Jugend verkörpert er jedoch wie kein zweiter, indem er seinen heranwachsenden wie spätpubertierenden Protagonisten namens Eddie in eine teils sehr humorige, unterhaltsame, manchmal etwas melancholisch-nachdenklich anmutende und häufig tiefgründige Welt eintauchen lässt. Tragisch-komisch beschreibt das, was sich im Leben des jungen Mannes ereignet, wohl am ehesten. Eine Mischung aus Coming-of-Age-Roman und Road-Novel, sehr wortgewandt, bildhaft und nahbar umgesetzt. Eine Geschichte über einen Identitätssuchenden – mit einem Ende, das für den Leser unerwartet kommt, jedoch an dieser Stelle freilich nicht verraten wird…
Und eines Tages fasst er einen Plan…
Die Handlung erzählt sich in etwa wie folgt: Eddie wächst Ende der 80er/ Anfang der 90er in einer sehr ländlich geprägten Gegend auf. Ziemlich typisch, ziemlich spießig – in einer Familie, mit der er nur bedingt klarkommt. Sein Vater trinkt, seine Mutter träumt von einem Leben anderswo, seine älteren Geschwister sind mit sich selbst beschäftigt. Er findet Trost und Abwechslung in den Büchern der örtlichen Bibliothek, wo er ein Mädchen trifft, das erstmals Gefühle in ihm weckt, mit der er als Außenseiter auf einer Wellenlänge liegt. Eigentlich pflegt er nur mit seiner liebevollen wie resoluten Oma Elfie eine wirklich gute Beziehung. Sie ist seine Bezugsperson und Ansprechpartnerin in fast allen Dingen.
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Herr Blöchl: Vor dem Beginn der eigentlichen Geschichte ist zu lesen, dass „Eine göttliche Jugend“ ihr bislang persönlichster Roman ist. Wie ihr Protagonist „Eddie“ sind auch Sie in einem Dorf am großen Wald aufgewachsen. Auch Sie sind einmal abgehauen, jedoch nicht weit gekommen. Daher die Frage: Wie autobiografisch ist ihr mittlerweile dritter Roman? Oder anders gefragt: Wie viel Eddie steckt in ihnen – und umgekehrt?
Was mich mit Eddie verbindet: Auch ich war immer und überall der Jüngste – in der Familie, bei den Freunden, in der Schule. Auch ich habe mich jahrelang am Akkordeon versucht, hatte eine sudetendeutsche Oma, die zu den Liedern von Karel Gott Eierlikör getrunken hat, hab mal bairisch gesprochen, dann wieder nicht. Und wie Eddie litt ich eine Zeit lang unter dem ominösen „Wadlzwick“. Aber im Gegensatz zu ihm hatte ich Eltern, die es sehr gut mit mir meinten. Das ist wohl der größte Unterschied. Denn klar: Auch wenn „Eine göttliche Jugend“ mein bisher persönlichster Roman ist mit allerlei Parallelen bis hin zum schrägen Köpfungsszenario im Wald – die Geschichte ist fiktiv.
„Ich hatte als junger Mensch alle Möglichkeiten“
Ganz direkt gefragt: Würden Sie selbst ihre eigene Jugend als „göttlich“ bezeichnen? Und: Ist nicht jede Jugend irgendwie „göttlich“?
Das Wort „göttlich“ im Romantitel hat ja mehrere Bedeutungen. Da schwingt Karel Gott mit und ein bisschen auch der andere Gott. Aber wenn die Frage so gemeint ist, ob ich eine unbeschwerte Jugend hatte, kann die Antwort nur Ja lauten. Mir ging es gut, so gut es einem Pubertierenden eben gehen kann. Und ich hatte als junger Mensch alle Möglichkeiten. Dafür bin ich dankbar. Wenn ich nur nicht so ein Spätzünder gewesen wäre und lange so schüchtern… zum Glück ist es nie zu spät für eine göttliche Jugend!
Gegliedert ist ihr Roman nach Madonna-Songs, jedes Kapitel mit einem ihrer Hits überschrieben. Dabei gibt es – wie bei Kassetten üblich – eine A- und eine B-Seite. Später findet ein „Kassettenwechsel“ statt. Auch Bonus-Tracks sind am Ende zu finden. Warum haben Sie sich für diese Art der Gliederung entschieden? Und: Hat auch Sie Popstar Madonna in ihrer eigenen Jugend geprägt bzw. inspiriert?
Noch so ein Unterschied zu Eddie. Denn im Gegensatz zu dem kleinen Ausreißer war ich nie Fan von Madonna. Obwohl: Ihre Videos hab ich mir damals schon angeschaut, sozusagen mit pubertierender Neugier (lacht). Madonna und die Struktur des Romans haben sich beim Schreiben ergeben. Das Kassettenthema passt gut zu den Achtzigern und frühen Neunzigern, in denen die Haupthandlung spielt. Und der Kassettenwechsel soll zeigen: Hoppla, da geht’s ja plötzlich in eine ganz andere Richtung…
„Er ist schon ein außergewöhnlicher Bursche“
Wie Sie gerade sagen: Das Lebensgefühl der 80er mit seinen vielen dazugehörigen Eigenheiten kommt im Buch häufig klar zum Vorschein. Wie wichtig war es ihnen, diese typischen 80er-Elemente immer wieder miteinfließen zu lassen? Und: Würden Sie ihr eigenes Heranwachsen als „typisch 80er“ bezeichnen?
Naja, Eddies Kindheit spielte sich nun mal – wie meine auch – größtenteils in den Achtzigern ab. Da schaden nostalgische Details wie Kassetten, der C64, MTV oder die Serie „Ein Colt für alle Fälle“ ganz und gar nicht, im Gegenteil! Je genauer man beim Schreiben ist, desto größer ist die Chance, Klischees zu vermeiden. Wichtig ist halt das Maß. Überfrachtet sollte eine Geschichte nie sein. Und was meine eigene Biografie betrifft, da muss man unterscheiden: Ich bin Jahrgang 1976. Meine Kindheit fand also eher in den Achtzigern statt, meine Jugend eher in den Neunzigern. Deshalb hab ich die Neunziger auch bewusster und intensiver erlebt, mit all ihrem neonfarbenen Grusel. Und auch Eddie erlebt sein größtes Abenteuer im Jahr 1993.
Die Grundthemen des Buchs sind keine unbekannten: Der Konflikt des Heranwachsenden mit den Eltern, das Gefühl des Außenseiter-Daseins, die liebevolle Oma als Rettungsanker, der Wunsch von Zuhause abzuhauen und auszubrechen, die erste Liebe, das erste mal Drogen und Alkohol, die Sehnsucht nach Freiheit und Entfaltung. Typische Herausforderungen, die das Erwachsenwerden mit sich bringt. Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Wollten Sie die Erlebenswelt ihres Protagonisten ganz bewusst derart „normal“ gestalten?
Ich glaube nicht, dass Eddies Jugend normal war im Sinne von „gewöhnlich“. Er ist ja schon ein außergewöhnlicher Bursche mit seiner Ausdrucksweise, all seinen Eigenheiten und Vorlieben. Und was ihm mit 17 passiert auf seiner Reise, die ja den Großteil des Buches darstellt, dürfte auch nicht jeder erleben. Aber klar: Themen wie Selbstfindung, Leid und Wut des Außenseiters und viele erste Male – braucht das nicht jede Coming-of-Age-Geschichte, die etwas auf sich hält?
Flucht und Eskapismus
Eddie trifft im Buch auf verschiedene Menschen: eine Gruppe halbstarker Ministranten, einen Glückspoeten, eine junge Frau mit Hang zum Marihuana – und schließlich auch auf Schlager-Ikone Karel Gott. Wie sind Sie zu all diesen Charakteren für die Handlung des Romans gekommen? Auch aus autobiografischen Gründen? Oder sind sie frei erfunden?
Alle erfunden. Also bis auf Karel Gott, da hatte ich sehr hilfreiche Flüsterer. Und beim Glückspoeten gab es zumindest den Glauben an reale Begegnungen. Wie Eddie hatte auch ich Déjà-vu-Erlebnisse mit einem Mann, den ich als kleines Kind im Krankenhaus getroffen hatte und dann später mehrmals wieder traf – zumindest glaube ich das.
Was glauben Sie: Wie sehr unterscheidet sich Eddies Jugend von der heutiger Heranwachsender?
Schwierige Frage, weil ja jeder seinen eigenen Weg geht und jede Zeit ihre eigenen Herausforderungen hat. Ich habe es jedenfalls als sehr angenehm empfunden, für das Buch wieder in eine Zeit eintauchen zu dürfen, die weitestgehend offline war. Sorry, liebe Kollegen vom Online-Magazin, wenn ich das so sage, aber Offline war schon auch nicht nur schlecht. Mal im Ernst: Ein mir sehr wichtiges zentrales Thema des Romans ist generationenübergreifend, nämlich Flucht und Eskapismus. Fragt sich nicht jeder junge Mensch früher oder später, ob es woanders nicht vielleicht besser ist? Um womöglich irgendwann zu erkennen, dass es da, wo man herkommt, gar nicht so übel war?
„Habe fest vor, Optimist und Träumer zu bleiben“
Wenn Sie abschließend zurückblicken: Wie sehr vermissen Sie eigentlich die Zeit ihrer eigenen Jugend? Und: Würden Sie alles noch einmal genauso machen, wenn Sie das Rad der Zeit zurückdrehen könnten?
Ich vermisse den süchtig machenden aprilfrischen Duft der großen Freiheit; den Glauben daran, dass alles möglich ist im Leben. Ich habe fest vor, Optimist und Träumer zu bleiben, aber die über allem liegende Unendlichkeit der Jugend, die schwindet.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Bernhard Blöchl, „Eine göttliche Jugend“, 240 Seiten, Hardcover, Volk Verlag, 20 Euro, ISBN: 978-3-86222-439-5