Prackenbach. Das Läuten der Kirchenglocken gehört zu Bayern wie das Bier, die Weißwurst und der Leberkaas. Zumindest wenn es nach besonders heimatverbundenen Bewohnern dieses Landstrichs geht. Und ja, dem Glockengeläut, an dem sich schon so mancher Preiß‘ frühmorgens gestört hat, wohnt etwas Identitätsstiftendes inne, wie auch Prackenbachs Kirchenpfleger Ferdl Klement bestätigen kann.
Eine Stiege nach der anderen, vorsichtig, trotzdem ein klein wenig unter Zeitdruck, „denn in einer viertel Stunde wird es da oben ganz schön eng und ungemütlich laut!“ Dann nämlich läuten die Glocken zur vollen Stunde. Der fitte 71-Jährige klettert gekonnt die „Treppe“ des Prackenbacher Kirchturms hinauf, die mehr einer Leiter gleicht. Ferdl Klement kennt den Glockenturm gut – und weiß einiges darüber zu berichten.
„Die Glocke wird so ziemlich alles überdauern“
Vier Glocken befinden sich oben im engen Turm. Umgeben von massiven Holzbalken und allerhand im Vergleich dazu filigran wirkenden Zahnrädern und Mechanismen. „Drei seit 1949, eine seit 1968“, weiß Klement zu berichten. 1.204 Kilogramm wiegt die größte, 663, 452 und 290 Kilogramm die kleineren. Geweiht sind sie der Größe nach dem Schutzpatron der Pfarrkirche, dem Heiligen Georg, der Heiligen Dreifaltigkeit, der Heiligen Mutter Gottes und dem Heiligen Paulus.
Auch mit dazu passenden Prägungen wurden die riesigen Bronzeglocken versehen. „Sie sind gestimmt mit den Tönen E, G, A und C.“ Über die Motive und Schriftzüge habe damals eigentlich nur einer entschieden. Die Kirchenverwaltung habe zwar den Beschluss fassen müssen, doch ausschlaggebend sei zu dieser Zeit der Pfarrer gewesen. „Einen Pfarrgemeinderat gab es noch nicht“, erklärt der Kirchenpfleger.
An das Fest 1968, als die vierte und kleinste Glocke hinzu kam, könne auch er sich noch vage erinnern. „Bei solchen Ereignissen war von Haus aus die ganze Pfarrei auf den Beinen – und auch wir Kinder waren grundsätzlich mit dabei“, denkt er zurück. „Ich gehe davon aus, dass die Glocke damals mit einem Flaschenzug platziert worden ist.“ Ein Kran oder Ähnliches sei jedenfalls nicht dabei gewesen.
Auf die Frage, ob denn absehbar sei, wann wieder neue Glocken gebraucht würden, antwortet der Kirchenpfleger schmunzelnd: „Die sind fast unkaputtbar!“ Von Zeit zu Zeit würde das Pendel gewechselt. Auch das Leder an der Halterung sei vor Abnutzung nicht gefeit. „Aber die Glocke selbst wird so ziemlich alles überdauern.“ Das ist auch gut so. Denn was ein Austausch in der heutigen Zeit kosten würde, sei ein Vielfaches von damals. Schon in der Zeit von 1949 bis 1968 war das so: Rund 6.000 Deutsche Mark kosteten die drei großen Glocken zusammen – die kleinste, nur 20 Jahre später, alleine rund 4.500.
„Damals wurde noch viel von der Kirche gehalten“
Auch vor 1949 gab es natürlich Glocken in der Prackenbacher Kirche. Doch die fielen während des Zweiten Weltkrieges einem anderen Zweck zum Opfer: Sie wurden eingeschmolzen, um Munition herzustellen. Aus der Zeit des Ersten Weltkrieges sei nichts Ähnliches bekannt. „Damals wurde noch viel von der Kirche gehalten, anders als im Nazi-Wahn – da war alles egal. Ich glaube nicht, dass jemand sich vorher getraut hätte, die Glocken anzutasten“, sagt Klement – und man sieht ihm an, wie sehr er dieses Vorgehen bedauert. Aufzeichnungen aus noch früherer Zeit gebe es keine.
Der Kirchenpfleger greift das Geländer und macht sich auf den Weg nach unten. Doch die ersten Glocken seien sehr klein gewesen. Das heutige Prackenbacher Leichenhaus könnte die erste Kirche, eher eine Kapelle, gewesen sein. Die heutige Sterbeglocke war damals die einzige. Dorthin führt der nächste Weg. Zur Leichenaufbahrung sei das Gebäude erst 1947 umfunktioniert worden. Klement nimmt die letzten Stiegen und erklärt: „Zuvor wurden die Leichen ja im Wohnhaus aufgebahrt, wo auch der Rosenkranz gebetet worden ist. Sie lagen auf dem Sterbebrett und wurden zu Hause eingesargt.“
Am Tage der Beerdigung seien die Verstorbenen mit einem Pferdefuhrwerk vom Wohnhaus abgeholt und zur Kirche gefahren worden. Der Leichenzug sei von Priester, Ministranten und der Trauergemeinde begleitet worden, die den Rosenkranz beteten. „In der Kirche wurde dann das Requiem für den Verstorbenen gefeiert und anschließend sind die Toten auf dem Friedhof bestattet worden.“ Nach ein paar Schritten über den Friedhof kommt der 71-Jährige am Leichenhaus an und zeigt eine Jahreszahl über der Tür: 1956. Aus Recherchen wisse er, dass damals der Anbau am Grundstock massiv geworden sei. Zuvor habe es sich um einen Holzverschlag zur Aufbewahrung der Geräte gehandelt.
„Läutegeld“ für den Mesner
Über eine weitere Station verfügt der kleine Rundgang: die Sakristei. Dort befindet sich etwas Ausschlaggebendes für das Glockengeläut. Ohne elektrische Läute-Anlage müsste wie früher an Stricken gezogen werden. Damals lag alles in der Hand des Mesners. „Das Angelus-Läuten dreimal am Tag, das es auch heute noch gibt, bestimmte in früheren Zeiten das ganze Dorfleben und den Tagesrhythmus der Leute. Uhren hatten die wenigsten zu Hause“, erklärt Ferdl Klement.
Um 6 Uhr wurde beziehungsweise wird der Tag angeläutet (in heutiger Zeit in manchen Urlaubsorten um 7 Uhr), um 12 Uhr die Mittagszeit und – je nach Jahreszeit – am Abend zwischen 17 und 21 Uhr der Feierabend. Dazu musste früher der Mesner die Glocken mit Stricken in Bewegung bringen, schildert er. Auch die alte Turmuhr habe wie damals üblich mit Gewichten funktioniert und musste regelmäßig aufgezogen werden.
Als Entschädigung habe der Mesner dafür sogenanntes „Läutegeld“ erhalten, das zusammen mit dem damaligen „Kirchen-Obolus“ von der Bevölkerung um Ostern herum eingesammelt worden sei. „Als Buben haben auch wir noch während den Schülermessen die Glocken geläutet“, erinnert er sich.
„An der Technik hat sich nichts verändert“
Mit der vierten Glocke kam 1968 die Modernisierung in die Prackenbacher Pfarrkirche Sankt Georg. „Am Prinzip hat sich seitdem aber nichts geändert“, weiß Klement. In der heutigen Zeit läuten die Glocken per Knopfdruck, das „Angelus-Läuten“ wie auch das viertelstündliche erfolgt automatisiert. „Das Tableau wurde 1990 nochmal erneuert, bis dahin waren es Schalter. Doch an der Technik hat sich wieder nichts verändert.“
Auch die Zeiten, zu denen die Glocken erklingen, seien größtenteils gleich. Morgens, mittags und abends läuten zwei Glocken abwechselnd. Zu feierlichen Anlässen oder dem „Zammläuten“ für den Gottesdienst erklingen alle vier Glocken. Für die Angabe der Zeit jede viertel Stunde schlägt die „Dreifaltigkeitsglocke“ ein-, zwei-, drei- oder viermal.
Zur vollen Stunde wird danach die Zeit durch die dem Kirchenpatron Sankt Georg geweihten große Glocke angezeigt. „Sie schlägt auch jeden Freitag um 15 Uhr, also zur Sterbestunde Jesus Christus, und läutet jeden Samstag um 14 Uhr den Feierabend und somit den Sonntag ein“, erklärt der Kirchenpfleger. Dies könne jedoch von Region zu Region unterschiedlich sein.
Lisa Brem