Dobrá Voda. Nahe Gutwasser (Dobrá Voda), einem Ortsteil der böhmischen Stadt Hartmanice (Hartmanitz) unweit der bayerisch-böhmischen Grenze gelegen, befand sich einst eine kleine Siedlung mit etwa zehn Häusern. Der Ort hieß Einöde (Hájenec Pustina) – ein allzu passender Name für das kleine Glashüttendorf mit seinen rund hundert deutschsprachigen Einwohnern. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vertrieben die Tschechen die dort lebenden Deutschen – und Einöde verfiel zusehends.
Die kleineren Häuser ließ man abreißen, da sie sich auf militärischem Gebiet befanden, in der sogenannten Todeszone am Eisernen Vorhang. Einzig das fürstliche Forsthaus blieb bestehen. Ein junger tschechischer Doktor rettete es (vorerst) vor dem Zerfall.
Bibliothek, Bauernhof – und viele Pferde
Einst gehörte das imposante Gebäude aus dem 19. Jahrhundert dem Bankier František Hasek. Dieser wurde 1943 von den Nazis, die das Gebiet besetzt hatten, hingerichtet.
Die restliche Familie wanderte Ende der 40er Jahre in die USA aus – und das Forsthaus verfiel zusehends. Bis eines Tages der junge Arzt Zdeněk Kostrouch beschloss, das villenähnliche Gebäude zu kaufen, da es sonst abgerissen worden wäre.
Er war damals für den Bezirk Hartmanice zuständig und lebte mit seiner Familie in Bergreichenstein (Kašperské Hory). Oft machte er seine Krankenbesuche zu Pferd, da die Böhmerwaldstraßen für sein Auto unpassierbar waren. Bei einer solchen Gelegenheit wird er vermutlich auch auf Einöde gestoßen sein. Doktor Kostrouch lebte von 1964 an im Forsthaus – erst mit seiner Frau, später, nach der Scheidung, mit seiner Praxishilfe Anežka.
„Kostrouch richtete auf Pustina einen Bauernhof ein, ebenso eine Bibliothek – und stattete eines der Zimmer mit antiken Möbeln aus. Da der Transport zur Praxis in Hartmanice besonders im Winter sehr problematisch war, besaß Doktor Kostrouch Pferde, mit denen er auch Patienten beförderte. Auch seine Söhne nutzten die Pferde. Seine erste Frau Helena Kostrouchová, Ärztin in Kašperské Hory, war die Tochter von Ottla Davidová (Kafka), der Schwester des Schriftstellers Franz Kafka.
Sein Ruhestand und seine zweite Ehe verliefen für den berühmten Arzt fatal. Nach seinem Tod wurde alles weggenommen oder verschimmelte. Innerhalb weniger Jahre verfiel das Gehöft völlig.“ (Quelle: sumava.cz)
Das Anwesen ist einsturzgefährdet
Die Natur hat sich das Anwesen mittlerweile Stück für Stück zurückgeholt. Eine alte, schiefe Scheune befindet sich in der Nähe, umgestürzte Bäume und zerbröckelnde Mauerreste sind allerorts zu sehen. Man kann die Überbleibsel des ehemaligen Forsthauses heute noch besuchen. Ein Wanderweg führt dorthin, doch Vorsicht ist geboten: Das Anwesen ist einsturzgefährdet, auf eine Besichtigung des Inneren sollte man besser verzichten.
So sieht das verfallene Haus heute aus (Fotos: Matthias Heymann & Sabine Hamberger):
Auf dem Weg zum Haus befindet sich am Waldesrand ein Totenbrett zum Andenken an Kostrouch, der mit 71 Jahren an einer Lungenentzündung verstarb. Die Inschrift lautet:
„Hier in Pustina lebte und arbeitete in den Jahren 1964 bis 1993 Doktor Zdeněk Kostrouch, ein kleiner, großer Mann, ein Arzt, der Licht und Fähigkeiten bringt, ein Retter, ein Träumer, ein Idealist, ein zutiefst menschlicher Mensch. Medizinische Legende des Böhmerwalds.“ (Quelle: sumava.cz)
Ihm ist es zu verdanken, dass Einöde nicht für immer gänzlich vom Erdboden verschwunden ist…
Sabine Hamberger
(Quellenanagabe: Verschwundener Böhmerwald 2, Emil Kintzl und Jan Fischer, 160 Seiten, Ohetaler Verlag)
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In unregelmäßigen Abständen präsentiert da Hog’n an dieser Stelle sog. Lost Places – also Orte, die im Kontext ihrer ursprünglichen Nutzung in Vergessenheit geraten sind – in der bayerisch-böhmischen Grenzregion.