Finsterau. Wissen Sie noch, was ein Holzdrahthobel ist? Egal, ob man diese Frage mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet: Die neue Sonderausstellung im Freilichtmuseum Finsterau ist in beiden Fällen interessant. Für die einen stellt sie eine Erinnerung an ein so gut wie vergessenes Handwerk im Bayerischen Wald dar. Für die anderen eine Neuentdeckung mit „Aha-Effekt“. Für Museumsleiter Timm Miersch ist sie vor allem ein Musterbeispiel für Museumsarbeit – und dafür, zu zeigen, wie wichtig diese Arbeit in und für die Region gewesen ist.
Die bemerkenswerte Geschichte dahinter beginnt damit, dass Anfang 2022 die damalige Volontärin Franziska Oslmeier den Auftrag bekam, die Hobel im Museumsdepot im Zuge einer EDV-Inventarisierung nachzubearbeiten.
Ein wichtiger Wirtschaftszweig im Bayerischen Wald
Eigentlich eine Arbeit, die im Hintergrund abläuft und die kein Besucher wahrnimmt. Doch dieses Mal sollte es anders kommen, denn Franziska Oslmeier nahm ihren Auftrag sehr ernst. Ihr fiel ein Hobel auf, dessen Klinge auf den ersten Blick abgebrochen schien. Doch auf den zweiten Blick bemerkte sie, dass die Klinge absichtlich gezackt war. Was für ein Hobel also war das?
Eine erste Recherche brachte keine Antwort. Doch schließlich wurde die junge Frau im Waldmuseum Zwiesel fündig, wo man den Holzdrahthobel kannte. Im Archiv der Stadt Zwiesel kamen sogar Aufnahmen von Paul Friedl, dem Baumsteftenlenz, zu Tage, der ab den 1930er Jahren angefangen hatte, diverse Handwerksbetriebe fotografisch zu dokumentieren. Auch die Herstellung und Verarbeitung von dünnen Holzstäbchen – auch Holzdraht genannt – im Zwiesler Winkel hielt Paul Friedl fest.
Es zeigte sich nach und nach, dass diese Arbeit ein wichtiger Wirtschaftszweig im Bayerischen Wald war. Aus Fichten- oder Tannenstämmen wurden mit dem Holzdrahthobel dünne Stäbe herausgearbeitet, die anschließend getrocknet und teilweise vor Ort auch weiterverarbeitet worden sind. Die Ausstellung im Freilichtmuseum zeigt unter anderem einen Webstuhl, in dem man die Stäbe mit buntem Garn verbunden hatte. Das Ergebnis waren farbige Holzrollos, die heute eher an einen Sonnenschutz in der Karibik erinnern, als an ein altes Waidlerhandwerk. „Tatsächlich wurde das auch ins Ausland vertrieben“, erklärt Timm Miersch beim Rundgang. Ebenso waren die dünnen Holzstangen für Streichhölzer oder Dübelstangen begehrt.
Auch die Firma Röck in Zwiesel hatte sich darauf spezialisiert. Sie ist die letzte, die bis heute noch derlei Verdunkelungen herstellt – mittlerweile wird die Firma in fünfter Generation betrieben. Doch Handarbeit, wie man sie früher kannte, gehört dort genauso längst der Vergangenheit an.
„Wir sammeln, wir sortieren, wir stellen Fragen“
Wie sich im Laufe der Jahre die Holzdraht-Herstellung verändert hat, auch das kann man in der Ausstellung begutachten. Es wurden zwei Maschinen entwickelt, die die harte Arbeit etwas leichter machten. „Bei der einen bewegt sich der Hobel, bei der anderen wird das Holz vor- und zurückgeschoben“, führt der Museumsleiter vor.
Oft war die Holzdrahtherstellung ein Zuverdienst für die Bauern. Wo überall – auf welchen Höfen, in welchen Ortschaften – da stehe man noch am Anfang der Recherche. Hinweise aus der Bevölkerung seien ausdrücklich erwünscht, betont Miersch. Denn genau das sei auch die Aufgabe des Museums: Der Erhalt des materiellen und immateriellen Erbes der ländlichen Regionen Niederbayerns. Wenn Miersch über die aktuelle Ausstellung spricht, gerät er deshalb regelrecht ins Schwärmen. „Genau das ist unsere Aufgabe: Wir sammeln, wir sortieren, wir stellen Fragen – und finden Antworten.“
Auch der Bayerische Rundfunk berichtete bereits über die alte Handwerkskunst des Holzdrahthobelns aus dem Bayerischen Wald:
In den Anfangsjahren des Museums wurde vieles gesammelt, was die Einheimischen selbst als nicht wertvoll erachteten. Auch die Gebäude sind Ausstellungsobjekte und damit Forschungsgegenstände, die jedermann dazu einladen, selbst zu forschen. „Wir sind ein Partner der Denkmalpflege und teilweise auch das Labor, das den Dingen auf den Grund geht.“ Gerade im Winter sei ein Besuch im Museum besonders eindrucksvoll, wenn man am eigenen Leib spürt, wie herausfordernd diese Jahreszeit in den Waidlerhäusern inmitten von meterhohen Schneewänden war.
„Wer sammelt, bestimmt, an was man sich künftig erinnern wird“
Es ist wie eine Reise zurück in die Zeit, als nur ein Raum im Haus geheizt wurde und die Menschen wenige Male im Jahr Fleisch zu essen hatten. Ohne die Museumsarbeit wäre vieles, was damals zum Alltag gehörte, schon heute vergessen – und das nur wenige Jahrzehnte später.
Wenn man überlegt, wie schnell sich die Zeit heute verändert, kommt der modernen Museumsarbeit eine noch größere Bedeutung zu. „Wir sammeln heute, damit die Menschen in der Zukunft die Fragen stellen können, die wir heute noch nicht kennen“, schließt Miersch und ergänzt: „Wer sammelt, bestimmt, an was man sich künftig erinnern wird.“ Und genau deshalb seien Museen nicht nur in den Städten wichtig, sondern gerade auch im ländlichen Raum.
Manuela Lang
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Eine Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Wald-Verein, dem Verein für Heimat- und Volkstumspflege, Kulturarbeit, Natur- und Landschaftsschutz sowie Wandern im Bayerischen Wald, der auch für das Projekt „WanderKultur“ verantwortlich zeichnet.