Finsterau. In Zeiten, in denen die Landwirtschaft noch überwiegend von Hand betrieben wurde und Traktoren, Mähdrescher und Co. noch in weiter Ferne lagen, mussten auf den Höfen im Bayerischen Wald alle mitanpacken – von den Kindern bis zu den Großeltern. Jede Arbeitskraft wurde gebraucht – und das meist von früh bis spät. So auch auf dem Tanzer-Hof, der ursprünglich im Angerdorf Einberg bei Grafenau erbaut worden war, und heute im Freilichtmuseum Finsterau zu besichtigen ist. Teil sechs unserer Serie über die Höfe und Häuser des Museums.
Dabei handelt es sich um einen geschlossenen Dreiseithof, der sich aus folgenden Gebäuden zusammensetzt:
- Wohnstallstadelhaus (aus dem Jahr 1878, 1922 renoviert) mit flach geneigtem Falzziegeldach
- Wirtschaftsgebäude, errichtet um 1900, mit steilem Dach samt Biberschwanzdeckung; die Mauerteile des Erdgeschosses stammen vermutlich von einem Vorgängerbau; die Tennbrücke wurde 1887 gebaut, ebenfalls mit steilem Dach und Biberschwanzdeckung
- Der Stadelteil des Haupthauses und die Tennbrücke sind rekonstruiert worden, die Originale wurden bereits kurz nach 1970 abgebrochen
…dann wächst der Misthaufen in die Höhe
Wenn man von der Straße her durch das hohe hölzerne Tor den engen Hof betritt, liegt an der rechten Seite das Wohnhaus. Zweigeschossig aus Ziegeln errichtet, blickt es mit großen Fenstern nach Osten und Süden, also zur Straße und zum Hof. Die Nordseite ist fast fensterlos, weil am alten Standort ganz eng die Gebäude des Nachbarhofs angeschlossen hatten. Das Wohnhaus enthält auch den Rinderstall, der aus Feldsteinen gemauert ist, sowie einen hölzernen Stadel.
Gegenüber liegt entlang der Südseite des Hofes ein etwas niedrigeres Gebäude, das Waschküche, Backofen, Traktorgarage, einen Wohnraum und einen Schupfen für Wagen und Geräte birgt. Im Stall sind den Winter über die Rinder des Freilichtmuseums eingestellt. Dann wächst im engen Innenhof der Misthaufen in die Höhe und im Hausflur sind die Wärme und der Geruch der Tiere zu erleben.
Albert Tanzer half mit beim Wiederaufbau
Der Tanzer-Hof steht an der Schwelle der traditionellen Selbstversorger-Landwirtschaft zur modernen, technik- und marktorientierten Landwirtschaft, die er jedoch nicht mehr überschritten hatte. Gegründet wurde er 1879 im Angerdorf Einberg bei Grafenau von Michael Tanz als Ableger eines wohlhabenden Bauernhofs im selben Ort.
Die Ausstattung des Tanzer-Hofs wurde teilweise rekonstruiert. Im Obergeschoss wurde die Schlafkammer wieder originalgetreu eingerichtet. Die bedeutende Ausmalung der Schlafkammer und das Fassadendekor stammen aus dem Jahr 1922. Die Stube im Erdgeschoss ist mit Bänken und Tischen ausgestattet und wird aktuell für pädagogische Programme wie Brotbacken und Kochkurse verwendet. Das Umfeld des Hofes mit Garten, Schwemme, Obstbäumen und Wildpflanzen ist ebenfalls recht kleinteilig und lebendig rekonstruiert worden.
Der Hof verfiel, wurde mehrmals aufgebrochen und geplündert; Regen drang durch die Dächer und zerstörte die Reste der Ausstattung, die 1984 bei der Entdeckung durch das Freilichtmuseum noch erhalten war. Erst 1989, als die Eigentumsverhältnisse des Tanzer-Hofs geklärt waren, konnte mit der Erforschung und Übertragung des Hofs begonnen werden. Bis dahin war der Verfall weit fortgeschritten, ohne jedoch die besonders wertvollen Dekore an der Fassade und im Schlafzimmer zu beschädigen. Für die Rekonstruktion des Hofs stand Albert Tanzer (geb. 1928) zur Verfügung, der am Hof aufgewachsen war und dort jahrelang mit seinem Vater und den beiden Brüdern gearbeitet hatte.
Alle mussten mitanpacken
Bei der Gründung der Ortschaft Einberg wurden zwölf Hofstellen in der Größe sogenannter Lehen (1/4-Höfe) eingerichtet. Es mag sein, dass nie alle Hofstellen besetzt wurden, dann es war gar nicht so einfach, qualifizierte Siedler zu finden; vielleicht kamen Höfe auch durch Heirat in einen Besitz zusammen – oder es „hat halt der eine oder andere Bauer zu Einberg ein ganzes oder den Bruchteil eines Lehens aufgekauft und damit mehrere Lehen bewirtschaftet“, wie Historiker und Buchautor Reinhard H. Seitz vermutet. Für den Tanzer-Hof war jedenfalls 1878 ein Bauplatz in der Reihe der Häuser am Dorfanger frei.
Mit anfangs zehn, später fünfzehn Hektar Wald, Wiesen und Feldern war das Anwesen jedoch zu klein für eine stabile, selbstständige Bauernwirtschaft. Der Hof konnte eine Familie und bis zu acht Stück Großvieh ernähren, aber er konnte keine Dienstboten finanzieren. Nur aufgrund der dauerhaften Mitarbeit aller Familienmitglieder war es letztlich möglich den Betrieb aufrecht zu erhalten.
Als 1913 der Sohn Josef Tanzer den Betrieb übernahm, brachte er Geld, technisches Wissen und einen Kraftfahrzeugführerschein von seiner Militär- und Dienstbotenzeit im Rheinland mit in den Bayerwald. Seine Heirat mit Katharina Friedl im Jahr 1922 versorgte das Anwesen zusätzlich mit Heiratsgut – drei Söhne ließen obendrein eine erfolgreiche Zukunft erwarten. Der damals geschaffene Fassadenschmuck und die Ausmalung der Schlafkammer bringen diese Erwartungen zum Ausdruck.
Viel Entbehrung für einen neuen Traktor
Die Wirtschaftskrisen der zwanziger Jahre, der frühe Tod der Bäuerin im Jahr 1939 und der Krieg, in den zwei der drei Söhne zogen, verwehrtem dem Tanzer-Hof eine fortdauernde Zukunft. Er war einer der ersten Betriebe in Einberg, die 1955 einen Traktor erwarben. Albert Tanzer berichtete davon, welche Entbehrungen die Familie hinnehmen musste, damit sie das Geld für das Fahrzeug zur Seite legen konnten.
Bis zum Tod des Bauern Josef Tanzer (1970) hatte der Hof immer wieder mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen: Der älteste Sohn, der den Hof übernehmen sollte, blieb ledig, wurde krank und fristete nach dem Tod des Vaters sein Dasein in einer Klinik. Daher verfiel das Anwesen.
Im Freilichtmuseum gibt er heute ein Zeugnis kleinlandwirtschaftlicher Verhältnisse, die prägend waren für das 19. sowie weite Teile des 20. Jahrhunderts, jedoch in der internationalen Verflechtung des Landbaus nicht mehr bestehen konnten und am Ende verschwanden.
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Die Informationen stammen aus dem Buch „Freilichtmuseum Finsterau – Die Bauernhäuser und ihre Geschichte“ von Martin Ortmeier; Dietmar Klinger Verlag, Passau, 2009. ISBN 978-3-932949-87-6