Grainet. Es gibt sie manchmal, diese Familien, in denen man schon beim Betreten des Hauses einen guten Geist spürt. Eine Atmosphäre des Besonderen. Die Hannigs in Grainet sind so eine Familie: Die „Adam-Anni“ war Kramerin und schrieb Kurzgeschichten über ihre Erlebnisse. Tochter Brigitte Hannig ist Kunstmalerin. Und Enkel Florian ist als Musiker und Maler aktiv. Ein Besuch im Hause Hannig, der dem künstlerischen Geist der Familie nachspürt.
Wer ist also die Adam-Anni? Hausname „Adam“, richtiger Name Anna Göttl, nach ihrer Hochzeit Anna Maciejewski. Ihre Familie betrieb in der Graineter Dorfmitte eine Bäckerei, einen Kramerladen und eine Landwirtschaft. Das Haus ist seit 1600 als „Bäckerhaus“ belegt – und schon die Salz-Säumer sollen sich dort mit Proviant eingedeckt haben.
Die Texte der Mutter wieder unter die Leute bringen
Anna übernahm in den 50er-Jahren den Kramerladen und war bestens informiert über die Vorkommnisse in Grainet und Umgebung. Nachts lag sie im Bett und schrieb darüber Kurzgeschichten; handschriftlich und teilweise – wegen der späten Stunde – unleserlich in kleine blaue Schulhefte. Noch zu ihren Lebzeiten trug sie bei besonderen Anlässen ihre Texte vor, sehr zur Freude der Zuhörer, die nicht genug davon kriegen konnten. Auch bei den Deggendorfer Mundarttagen war sie in den 70er Jahren vertreten. Doch leider verstarb sie, als sie nach vielen Jahren Arbeit endlich mehr Zeit für ihre Passion gehabt hätte. „Zehn Tage vor ihrem 65. Geburtstag“, sagt Tochter Brigitte – und man spürt noch heute das Bedauern.
Ihr Anliegen: Die Texte der Mutter wieder unter die Leute bringen. Denn Brigitte Hannig weiß um die Qualität der Kurzgeschichten. Das künstlerische Talent wurde auch ihr in die Wiege gelegt. Als Kunstmalerin hat sie sich im Laufe der Jahrzehnte einen guten Ruf erarbeitet. Bei vielen Ausstellungen war sie dabei, darunter auch einige Einzelausstellungen. Der Kunstsammler Dieter Oehms gab bei ihr ein Bild vom Geburtshaus der Emerenz Meier in Auftrag – nun ist es Teil seiner Sammlung.
Brigitte Hannig laß das gesamte Werk Adalbert Stifters und fertigte Gemälde an – darunter von der Burgruine Wittinghausen bei Krumau in Tschechien. 2018 wurden ihre Werke bei der „Stifter-Ausstellung“ im Rosenberger Gut bei Lackenhäuser gezeigt. Auch Säumerszenen malt sie, doch vor allem sind es Blumenmotive, die es ihr angetan haben. In vielen öffentlichen Gebäuden findet man Brigitte Hannigs farbenfrohe Bilder heute.
„Es war keine leichte Zeit“
Gemalt hatte sie schon immer gern, in jungen Jahren wurde sie von Kunstlehrer Peter Dellefant gefördert, belegte zahlreiche Kurse bei renommierten Künstlern und war eines der Gründungsmitglieder des Wolfsteiner Kunstvereins. „Doch ich wollte unbedingt Kunst studieren“, erinnert sie sich.
Also nutzte sie die Chance, während der Schwangerschaft mit ihrem zweiten Sohn Florian, ein Fernstudium durchzuziehen. Tragischerweise hatte zeitgleich ihr Mann Ruppert einen schweren Unfall, der ihn seitdem an den Rollstuhl bindet. „Es war keine leichte Zeit, die Schwangerschaft, das Pendeln in die Unfallklinik nach Murnau, das Studium – ich wollte unbedingt fertig sein, bevor das Kind kommt.“ Sie schaffte es – und ist noch heute richtig stolz darauf, dass sie sich durchgebissen hat.
Ihr Mann Ruppert hatte sie stets unterstützt, denn auch er ist ein Kultur-Mensch durch und durch. Als Gitarrenlehrer und Leiter vieler Chöre in der Region, etwa der Waldkirchner Chorvereinigung oder des Graineter Männerchors, ist er bestens in der Szene bekannt.
Ein Leben für die Kunst
Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch die dritte Generation im Hause Maciejewski-Hannig besondere Talente vorzuweisen hat. Markus Hannig ist Lehrer und Beauftragter für Musik im Landkreis Freyung-Grafenau, spielt selbst Klavier und Gitarre. Florian, der jüngere Bruder, der bereits im Mutterleib das intensive Kunststudium miterlebte, studierte Kunstpädagogik in München. „Doch das Unterrichten war nie mein Ziel, ich wollte selbst Kunst machen“, sagt der 44-Jährige heute. Seit 2009 ist er selbständiger Musiker und Maler. In den Formationen „Jive“, „Sammer of Love“ und „The Double Trouble“ sorgt er bei sämtlichen Anlässen und Veranstaltungen für gute Unterhaltung und Tanzstimmung. Während es mit der Musik etwas einfacher geht, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, braucht es bei der Malerei mehr Geduld.
„Kunst ist ein Luxusprodukt, das nicht jedermann gleichermaßen anspricht.“ Umso bemerkenswerter ist es, wenn man es auch in dieser Branche schafft, sich einen guten Namen zu erarbeiten und Aufträge zu bekommen. Im Gegensatz zu seiner Mutter hat sich Florian Hannig neben abstrakten, meist großformatigen Arbeiten in Acryl auf Portraits spezialisiert, die die Menschen ausdrucksstark abbilden.
Zum Teil sind es Auftragsarbeiten, von denen manche sogar bis in die USA verkauft werden. Zum Teil malt Florian aufs Geratewohl, so etwa den bekannten Skispringer Severin Freund. „Als der Landkreis dann ein passendes Geschenk für ihn suchte, hatte ich Glück“, sagt Florian mit einem Lachen. Trotz seines wachsenden Erfolgs ist er ganz der bescheidene Waidler geblieben. Die Bezeichnung „Atelier“ etwa kommt ihm fast schwer über die Lippen. „Dort, wo ich halt male“, meint er und grinst.
Eine sicherlich einmalige Atmosphäre
Der Besuch bei einem Künstler wäre natürlich nicht vollständig, ohne eben diesen Ort zu sehen. Und der ist im Falle von Florian Hannig besonders sehenswert – und schließt zugleich den Kreis zu seiner kreativen Dichter-Oma, der „Adam-Anni“. Denn genau in dem historischen Haus, an dem schon die Säumer von Passau aus in Richtung Böhmen vorbeigezogen sind, und wo die Oma einst hinter der „LadnPul“ stand, wohnt der 44-Jährige heute. Die Renovierung war das Projekt seiner Mutter, ein weiteres Lebenswerk, das ihr viel Energie abverlangt hat.
Gelohnt hat es sich allemal. Die einstigen Ladenräume im Erdgeschoss sind heute an eine Praxis für Physiotherapie vermietet, im Obergeschoss lebt und arbeitet Florian Hannig. Hinten, im ehemaligen Stadel, befindet sich seine Rahmenwerkstatt. Gleich darunter, wo früher einmal die Tiere im Stall standen, schaffen die Granitsäulen, die die Gewölbedecke tragen, eine sicherlich einmalige Atmosphäre.
Worin also steckt genau der kreative Geist, der die Hannigs antreibt? Im alten „Bäckerhaus“ und seinem Gemäuer, im Erbe der „Adam-Anni“, das in vielen kleinen blauen Heften festgehalten worden ist – oder im Gästebuch, das die Familie seit Jahrzehnten all ihren Besuchern aushändigt, um die vielfältigen Begegnungen festzuhalten? Womöglich in allem ein bisschen. Doch vor allem an der Freude daran, selbst etwas Eigenes zu schaffen, das wiederum anderen eine Freude bereitet.
Manuela Lang
________________
Eine Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit dem Bayerischer Wald-Verein, dem Verein für Heimat- und Volkstumspflege, Kulturarbeit, Natur- und Landschaftsschutz sowie Wandern im Bayerischen Wald, der auch für das Projekt „WanderKultur“ verantwortlich zeichnet.