Hinterschmiding. Das leere Ruderboot im Hafen von Rovinij (Kroatien) nimmt die gesamte Fläche ein. Ein gegenständliches Bild mit einem recht unspektakulären Motiv. Doch die Ausstrahlung ist dafür umso geheimnisvoller: „Es ist nur ein leeres Ruderboot, aber man spürt etwas ganz Anderes, nämlich einen geheimnisvollen spirituellen Hauch“, berichtet der Hinterschmidinger Künstler und Buchautor Manfred von Glehn über sein selbst geschaffenes Lieblingsgemälde.
„Mir geht es nicht in erster Linie darum, irgendetwas möglichst genau abzubilden, sondern mich interessiert die feine Aura, die viele Bestandteile unserer Wirklichkeit umgibt. Diese Aura ist unsichtbar, aber man kann sie trotzdem einfangen“, erzählt von Glehn, der vorzugsweise gegenständliche Öl- und Acryl-Bilder im mittelgroßen Format (80 x 100 cm) malt. Er habe bereits rund 500 Gemälde angefertigt – und auch schon viele davon verkauft.
Vom Wissenschaftler zum Künstler – eine sonderbare Ironie
Seinen Malstil bezeichnet er als „neuen Realismus“. Warum? „Ich bewege mich zwischen Impressionismus und Realismus. Meine Motive finde ich überall. Sie sind nicht spektakulär. Ich beschäftige mich sozusagen mit den kleinen Wundern des Alltäglichen“, erklärt der Künstler.
Seit seinem Ruhestand (2003) ist der 77-Jährige als freier Künstler tätig. Schon früher versuchte er sein Glück als Kunstschaffender – damals jedoch ohne größeren gestalterischen wie finanziellen Erfolg. „Ich habe meine berufliche Karriere zweimal unterbrochen, um als freier Künstler zu leben. Das erste Mal, in Genua, bin ich fast verhungert.“ Sechs Jahre später habe er es in Hamburg noch einmal versucht: „Da lief es besser, aber ich bin – ohne es zu wollen – in eine kunsthandwerkliche Schiene gedrängt worden, nämlich hin zu Kinderportraits. Damit wollte ich mich auf Dauer aber nicht beschäftigen, weshalb ich wieder in meine akademische Laufbahn zurückgekehrt bin“, erinnert sich von Glehn, der damals in der wissenschaftlichen Politikberatung für das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt und den Deutschen Bundestag gearbeitet hatte.
Der Künstler nennt es „eine sonderbare Ironie“, dass er früher, als er von der Kunst leben wollte, dieses nicht schaffte – doch jetzt, wo er sie als Lebensunterhalt gar nicht brauche, er von ihr leben könnte. Gleich von Anfang an sich als freier Künstler zu betätigen, konnte er sich damals nicht leisten: „Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass man als Jugendlicher selten Fähigkeiten entwickelt hat, von denen man leben kann. Heutzutage gibt es zwar Ausnahmen von dieser Regel, doch zum Ende meiner Schulzeit war es nicht möglich als Teenager ein ausreichendes Einkommen zu erzielen – schon gar nicht im künstlerischen Bereich“, erklärt von Glehn. Da er nach dem Abitur ein Stipendium bekam, sei eine akademische Karriere zwar naheliegend gewesen. Doch der Traum vom Künstler-Dasein blieb stets in seinem Hinterkopf verhaftet: „Mein Interesse für die Kunst hat meine berufliche Laufbahn ständig begleitet.“
Wöhlcke und Glehn – politische Literatur und Romane
Neben dem Malen ist von Glehn auch als Schriftsteller tätig. Bereits 45 fachliche und belletristische Bücher wurden veröffentlicht. Übrigens ist „von Glehn“ gar nicht sein richtiger Name. Eigentlich heißt er Manfred Wöhlcke. Darunter hat er zahlreiche sozialwissenschaftliche Publikationen verfasst: Wöhlcke schrieb etwa über politische Themen wie Umweltpolitik oder Bevölkerungsentwicklung. Doch seit er sich zur Ruhe gesetzt und von seiner wissenschaftlichen Karriere verabschiedet hat, konzentriert er sich nur noch auf Romane und Erzählungen. Um sich von seiner früheren Forschungsarbeit abzugrenzen, nahm er den Mädchennamen seiner Mutter an – und arbeitet seither unter dem Künstlernamen „Manfred von Glehn“.
Mit seinen Romanen greift er die Frage auf, „wie die sichtbaren und unsichtbaren bzw. die materiellen und die geistigen Dimensionen des Lebens zusammenpassen“. Von seinen eigenen Werken gefällt ihm „Alberich – Geheime Offenbarungen eines Psychonauten“ am besten. Darin verliebt sich der junge Alberich in eine Hexe, was schließlich zu Blutverlust, Liebeskummer und Spott führt: „Es handelt sich um einen skurrilen Text, der sich zwischen Unsinn und Tiefsinn bewegt. Er gefällt mir deswegen, weil er die Spannung zwischen den vielen Absurditäten unserer Welt und der transzendenten Dimension unseres Lebens gut auf den Punkt bringt“, erklärt von Glehn dazu.
Künstler mit Leib und Seele?
Kann ein ehemaliger Wissenschaftler überhaupt ein guter Künstler sein? Müsse man sich nicht mit Leib und Seele dem Kunsthandwerk verpflichten, um wahrhaft groß darin zu werden? „Ich bin immer skeptisch, wenn jemand behauptet, er habe sich mit Leib und Seele irgendeiner Sache verschrieben. Das ist entweder ziemlich neurotisch oder eine snobistische Pose. Wenn man genau hinschaut, verbirgt sich dahinter meistens eine gewisse Engstirnigkeit – oder viel heiße Luft“, ist der 77-Jährige überzeugt.
Ihm zufolge gibt es neben der Kunst auch den ganz normalen Alltag – und wer nicht mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehe, sei auch nicht in der Lage vernünftige Kunst zu produzieren: „Kunstwerke lassen sich nicht aus den Fingern saugen. Insofern spricht nichts dagegen, dass ein Künstler etwa eine Familie hat. Ich selber habe eine Frau und eine Katze – leider keine Kinder.“
Laut von Glehn sei man zu einem beträchtlichen Teil seines Glückes eigener Schmied: „Im Nachhinein hätte ich einige Entscheidungen in der Tat anders getroffen, aber es ist müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Insgesamt verlief mein Leben trotz einiger Tragödien und Verwerfungen recht gut und letztlich stimmig.“
Lexa Wessel