Regen/Cham. Er möchte lieber nicht allzu viel Persönliches über sich selbst in der Öffentlichkeit lesen – außer seinen Namen und das, was er macht. Jan Nowak recherchiert seit vielen Jahren kontinuierlich zum Thema Neonazismus und extreme Rechte in Bayern, arbeitet publizistisch und ist in der Bildungsarbeit beschäftigt. Er gehört – wie so viele andere auch, die sich kritisch-aufklärerisch mit der Neonazi-Szene auseinandersetzen – zu derjenigen Personengruppe, die unter besonderer Beobachtung steht. Keine Angriffspunkte liefern, heißt also die Devise.
Umso offener und auskunftsfreudiger zeigt sich der Experte im Hog’n-Interview, wenn es etwa um die Beantwortung von Fragen rund um die neonazistische Kleinpartei „Der III. Weg“ geht. Eine Gruppierung, die insbesondere im ostbayerischen Raum in den vergangenen Monaten immer wieder mit diversen Aktionen und Kundgebungen öffentlich in Erscheinung getreten ist. Das Onlinemagazin da Hog’n hat sich mit Jan Nowak unter anderem über die Strukturen und Machenschaften des Dritten Wegs unterhalten, ihn gefragt, wie man eigentlich in die Nazi-Kreise hineingerät, was es mit dem sogenannten bürgerlichen Rassismus auf sich hat, welche Gefahr von der Alternative für Deutschland (AfD) ausgeht und wie Medien mit dem Thema Neonazismus aus seiner Sicht umgehen sollen.
„Landkreis Regen: Aktionsschwerpunkt der Neonazis in Ostbayern“
Herr Nowak: Hat die Region Ostbayern ein Nazi-Problem? Wie sehen Sie das?
Der Stempel des Nazi-Problems ist meines Erachtens eher ungünstig, wenn man tatsächlich darauf abzielt, die Bereitschaft im kommunalen Raum zu fördern, sich mit den Problemen vor Ort auseinanderzusetzen. So ein Label ist erst mal unangenehm und führt häufig dazu, dass eher eine Verdrängung als eine offensive Auseinandersetzung stattfindet. Ich würde daher sagen: Die Strukturen der extremen Rechten sind zwar nicht überall gleich stark ausgeprägt. Schlussendlich kann man aber auch nicht sagen, dass es die eine bestimmte Region gibt, die das Nazi-Problem hat.
Wenn man sich den maßgeblichen Akteur der neonazistischen Rechten im ostbayerischen Raum anschaut, also die Neonazi-Partei „Der III. Weg“, erkennt man, dass dieser erst dadurch richtig handlungsfähig ist, dass er über Landkreis- und Bezirksgrenzen hinaus sehr gut vernetzt ist.
Gleichzeitig kann man beobachten, dass der Aktionsschwerpunkt der neonazistischen Rechten in Ostbayern momentan sicherlich der Landkreis Regen ist. Das zeigt sich allein an der Vielzahl von Veranstaltungen, die seit dem Frühjahr stattgefunden haben. Wenn man betrachtet, wo das Personal herkommt, wer die maßgeblichen Akteure und wer die Anhänger in der zweiten Reihe sind, die regelmäßig bei den Veranstaltungen erscheinen, braucht man auch nicht allzu weit vom Landkreis Regen weggehen, nämlich in den Landkreis Cham, wo viele der kontinuierlich Aktiven der Partei „Der III. Weg“ wohnen.
Ein weiterer Schwerpunkt, gerade was jüngere Neonazis betrifft, ist die Region, wo die Landkreise Rottal-Inn, Deggendorf und Passau aufeinandertreffen. Hier klappt es mit der Rekrutierung jüngerer Leute offensichtlich recht gut.
Für den Zuspruch der Partei „Der III. Weg“ spielt es eine große Rolle, wo die maßgeblichen Akteure gerade wohnhaft sind. Ohne ihn in seiner Bedeutung überhöhen zu wollen, ist hier beispielsweise der aktuelle Stützpunktleiter im Raum Ostbayern zu nennen: Walter Strohmeier. An seiner Person kann man tatsächlich nachzeichnen, dass in der Zeit, in der er im Landkreis Deggendorf wohnhaft war, die neonazistischen Aktionen dort erheblich gestiegen sind. Nach seinem Umzug nach Lam im Landkreis Cham hat sich der Aktionsschwerpunkt der Szene in den Raum Bayerischer Wald verschoben.
Es ist in einer autoritär strukturierten und führerorientierten Szene tatsächlich so, dass man sagen kann: Das Entfalten der Aktivitäten ist maßgeblich von den Führungspersonen abhängig. Bleiben wir beim Beispiel Walter Strohmeier: Als er mal in Haft war, sind die Aktivitäten in der Region massiv zurückgegangen – und das, obwohl der verurteilte Rechtsterrorist Martin Wiese damals aus der Haft entlassen worden ist und auch in Niederbayern aktiv wurde.
Doch Wiese konnte dieses Vakuum nicht füllen. Es ist sehr häufig zu beobachten, dass etwa aufgrund von Haftstrafen oder der Änderung der beruflichen oder familiären Situation die Aktivitäten zurückgehen. Man kann festhalten: Die Führungspersonen in der rechten Szene sind merklich wichtiger als bei demokratischen Organisationen.
„Ohne eine gewisse Vorprägung wird man nicht gleich zum Nazi“
Wie wird man denn heutzutage eigentlich ein Nazi? Wie geraten – insbesondere junge Leute in Ostbayern – in diese Kreise hinein?
Eine sehr gute Frage, die nicht ganz einfach zu beantworten ist, da meist mehrere Faktoren zusammenkommen. Häufig wird der Jugendliche ja nur als passives Objekt betrachtet. Als jemand, der irgendwie verführt wird. Ich denke, wenn ein Jugendlicher nicht bereits durch eine gewisse Vorprägung, durch ein gewisses gesellschaftliches Umfeld, in dem er aufwächst, bestimmte Inhalte verinnerlicht hat, dann erscheint es mir – obwohl es das im Einzelfall auch geben mag – eher abwegig, dass er die Erklärung für gesellschaftliche Probleme, die die extreme Rechte anbietet, für besonders schlüssig hält.
Sprich: Wenn nicht schon in der Familie, in der Schule, im Sportverein, am Wohnort in einer Art und Weise etwa über Flüchtlinge oder sozial Schwache gesprochen wird und eine gewisse Zustimmung zu Themen, die in sehr zugespitzter Weise häufig von Neonazis vertreten werden, entwickelt worden ist, werden Jugendliche kaum für Botschaften der Neonazi-Szene empfänglich sein.
Dann kommt es natürlich auch auf die Angebotsstruktur an. Also die Frage: Wie kann der Jugendliche überhaupt mit der rechten Szene in Kontakt kommen? Wenn er mehr oder weniger aktiv nach Erklärungen für gesellschaftliche Phänomene sucht, kann er die natürlich im Internet finden.
Wenn man mit pädagogischem Blick auf die Angebotsstruktur schaut, stellt sich die Frage, ob es in Ostbayern Regionen gibt – in Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gibt es diese teilweise -, wo die Neonazis das attraktivste Kultur-Angebot stellen.
Das fällt mir in der Fläche schwer zu beurteilen, aber ich würde sagen, dass das in Ostbayern sicherlich nicht so ausgeprägt ist wie in Teilen Ost-Deutschlands.
„Was Neonazis uns sehen lassen, sind bewusste Inszenierungen“
Von wie vielen aktiven Nazis reden wir im Raum Ostbayern? Von wie vielen Sympathisanten? Gibt es hier verlässliches Zahlenmaterial?
Aus journalistischer Perspektive betrachtet, fällt es mir immer schwer, Quantifizierungen vorzunehmen. Zum einen, weil ich – etwa im Vergleich zum Verfassungsschutz – nicht auf gewisse Ressourcen zurückgreifen kann. Zum anderen, weil das, was Neonazis uns sehen lassen – zum Beispiel in Form von Kundgebungen oder Demonstrationen – im Prinzip bewusste Inszenierungen sind. Sie lassen dem Zuschauer genau das sehen, was sie ihn sehen lassen wollen. Sie stellen sich in die Öffentlichkeit, entwerfen selbst ein Bild von sich – und transportieren es entsprechend.
Wenn man die öffentlichen Auftritte der Partei „Der III. Weg“ beobachtet, die seit Jahresanfang in Ostbayern zugenommen haben, und diese als Indikatoren dafür nimmt, wie viele Leute die Neonazi-Partei regelmäßig in Ostbayern mobilisieren kann, dann sind wir hier bei etwas mehr als 40 Leuten.
Wenn man sich in den sozialen Netzwerken umschaut, merkt man gleichwohl, dass es natürlich auch Leute gibt, die mit organisierten Neonazis im engen Kontakt stehen, deren Propagandamaterial in den sozialen Netzwerken teilen, jedoch aus verschiedenen Gründen nicht selbst in der Öffentlichkeit stehen wollen. Von dem her sind Quantifizierungen sehr schwierig, weil das politische Umfeld natürlich ungleich größer ist als jene 40 Aktiven bei den Veranstaltungen.
Wenn die Mitglieder des Dritten Wegs verstärkt in kleineren Ortschaften auftreten, wo im Kontext von Flucht und Asyl ohnehin eine eher angespannte Situation herrscht, wo auch in der Mitte der Bevölkerung bisweilen rassistische Ressentiments vorherrschen, fällt auf, dass sie dort teils nochmal so viele Leute, wie sie selbst für die Demo stellen, ansprechen können. In Arnbruck etwa war dies der Fall. Dort haben sich Menschen, die zunächst nicht selbst aktiv an der Neonazi-Kundgebung teilgenommen hatten, sondern daneben gestanden sind und die Veranstaltung eher wohlwollend zustimmend, teils klatschend, begleitet haben, am Ende dem Demonstrationszug durch die Ortschaft angeschlossen.
Freilich waren deutlich mehr Leute da, die dagegen demonstriert haben. Aber wenn man versucht, die Wirkmächtigkeit zu greifen, würde ich sagen: Allein mit den Zahlen von den fest Organisierten ist es nicht getan.
„Rassismus ist offenbar kein Rand-, sondern ein Massenphänomen“
Handelt es sich bei denjenigen, die klatschend am Rand gestanden und sich letztlich dem Dritten Weg angeschlossen haben, um die sogenannten Mitläufer?
Der Begriff Mitläufer klingt aus meiner Sicht relativ passiv. Als ob ein Mitläufer keine bewussten Entscheidungen treffen könnte. Doch die Leute, die selbst in so einer Ortschaft wohnen und sich ansprechen lassen, drücken ja ihre partielle Zustimmung aus und machen sich somit auch in Form einer bewussten Entscheidung gemein mit der neonazistischen Organisation. Und gerade beim Dritten Weg kann man ja nicht gerade behaupten, dass dessen Mitglieder versuchen würden, in der Öffentlichkeit als gemäßigt in Erscheinung zu treten. Sie stellen sich ja sowohl inhaltlich als auch ästhetisch relativ offen in die Tradition des historischen Nationalsozialismus.
Diejenigen also, die nebendran stehen, sind Leute, die aus den verschiedensten Gründen da nicht von Vornherein aktiv mitmachen. Das ist kein Phänomen, das es nur bei der extremen Rechten gäbe.
Was Sie ansprechen, ist jener bürgerliche Rassismus, der offensichtlich in sehr vielen Menschen vor sich hin schlummert, latent vorhanden ist. Wie groß ist die Gefahr, die davon ausgeht?
Das muss man auf mehreren Ebenen betrachten. Wenn man die Einstellungsforschung der vergangenen Jahrzehnte betrachtet, führt kein Weg dran vorbei, anzuerkennen, dass Rassismus nichts Marginalisiertes ist, sondern tatsächlich in der sogenannten Mitte der Bevölkerung stark verbreitet ist. Rassismus ist offenbar kein Rand-, sondern ein Massenphänomen und somit im soziologischen Sinne normal.
Er gehört in der Gesellschaft in der Form, wie sie momentan strukturiert ist, leider zum Alltag und bringt für Betroffene vielfältige negative Konsequenzen mit sich. Auf individueller Ebene drückt sich das in rassistischen Äußerungen bis hin zur Gewalt aus, auf gesellschaftlicher Ebene in einer Vielzahl von Ausschlüssen; und zwischen den verschiedenen Ebenen gibt es Zusammenhänge. Ein Beispiel: Gäbe es in der Mitte der Gesellschaft ein kritischeres Bewusstsein und wäre Rassismus nur etwas Randständiges, wäre es doch kaum vorstellbar, dass es bei Ausrufung immer neuer angeblich ’sicherer Drittstaaten‘ oder dem sogenannten ‚Türkeideal‘ keinen Aufschrei gibt.
Es gibt vielfältige Wechselwirkungen zwischen dem Rassismus der bürgerlich-demokratischen Mitte und dem Rassismus der extremen Rechten. Aus Prozessakten und Aussteiger-Gesprächen weiß man etwa, dass Neonazis sich genau dann legitimiert fühlen, Gewalt gegen Flüchtlinge auszuüben, wenn sie glauben, dass sie den Willen einer angenommenen schweigenden Mehrheit vertreten. Auf dieser Ebene wirkt sich das ganz direkt auf die Handlungsbereitschaft aus.
Und wenn im Fernsehen ein Interview mit einem Politiker gezeigt wird, der sich in sehr zugespitzter Art und Weise zum Thema Flüchtlinge äußert, hat das selbstverständlich wieder unmittelbar Auswirkungen auf das, was in der Mitte der Bevölkerung gedacht wird.
Genauso geht es natürlich anders rum: Wenn Politiker glauben, dass ihnen die Wähler in Richtung AfD davon laufen – und sie deshalb stärker rechte Positionen vertreten. In diesem Sinne ist die AfD nicht nur Ausdruck, sondern auch Motor einer Rechtsverschiebung. Sie schafft es, die bürgerlich-demokratischen Parteien vor sich herzutreiben und für eine Rechtsverschiebung bei diesen Parteien zu sorgen.
„In Deutschland hat eine Rechtsverschiebung stattgefunden“
Wieso schaffen es die bürgerlich-demokratischen Parteien nicht, der AfD Herr zu werden? Welchen Fehler machen die sogenannten etablierten Parteien im Umgang mit dieser rechtspopulistischen Partei?
Ich bin kein Politik-Berater. Ich beobachte lediglich die Szenerie und versuche hier Zusammenhänge darzustellen. Da müssen Sie die Vertreter der Parteien selbst befragen.
Aber was man beobachten kann: Eine Partei wie die CSU versucht, den rechten Rand für sich zu beanspruchen und glaubt, damit Erfolg zu haben bei der Wählerschaft.
Das ist natürlich fatal. In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren eine Rechtsverschiebung. Dazu genügt etwa ein Blick ins Jahr 2010/2011, als Thilo Sarrazins Bestseller ‚Deutschland schafft sich ab‘ erschienen ist. Oder ein paar Jahre später, als Pegida anfangs von Teilen der etablierten Politik umgarnt wurde und gesagt wurde, das sind ernst zu nehmende Ängste und Sorgen – obwohl schon völlig klar war, wessen Geistes Kind dieses Projekt ist.
Genau das drückt sich ja auch auf regionaler Ebene in vielen Kommunen aus, wenn über offensichtlich rassistische Bürgerinitiativen gesagt wird: Naja, aber das ist doch eine legitime Position, die kann man vertreten, das muss man ernst nehmen… Was da passiert: Positionen, die vor wenigen Jahren noch nicht als Teil des legitimen demokratischen Diskurses galten, sind sagbar geworden.
Was kann nun eintreten, wenn etablierte Parteien derart agieren? Zum einen, dass die Leute trotzdem das rechte Original wählen, weil die Inhalte durch das Handeln der Etablierten ja als okay markiert wurden. Warum also dann den Abklatsch wählen? Oder aber – selbst wenn’s funktionieren würde, dass man die extreme Rechte dadurch eindämmt – das Ergebnis würde so aussehen, dass bürgerlich-demokratische Parteien eben selbst genau diese Politik machen. Ein Ergebnis, das man wahrlich nicht als geglückt bezeichnen könnte.
Alternative für Deutschland – Wolf im rechtsextremen Schafspelz?
Die Rolle der Alternative für Deutschland – wie ist diese Phänomen einzuordnen? Was hat diese Partei mit Rechtsextremismus zu tun? Und: Handelt es sich bei der AfD um den Wolf im rechtsextremen Schafspelz?
Wenn ich vor zwei Jahren diese Frage gestellt bekommen habe, habe ich immer noch sehr viel Wert drauf gelegt, dass man die AfD differenziert betrachten müsse. Es gab einen völkisch-nationalistischen Flügel, der vielfältige Verbindungen zur extremen Rechten hatte – gleichzeitig gab es da aber auch einen wirtschaftsliberalen und einen national-konservativen Flügel. Durch die Verschiebungen innerhalb der AfD würde ich sagen: Wenngleich natürlich immer noch Differenzierung geboten ist, ist es doch deutlich einfacher geworden – einfach deshalb, weil der völkisch-nationalistische Flügel innerhalb der Partei mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat und viele Wirtschaftsliberale mit Lucke die Partei verlassen haben.
Für Niederbayern hatte sich gezeigt, dass etwa im Rahmen der Programm-Diskussion vor dem AfD-Bundesparteitag der Bezirksverband Niederbayern einen noch deutlich weiter rechts stehenden Programmentwurf umsetzen wollte.
Der niederbayerische Bezirksverband hatte ja auch den Höcke nach Deggendorf eingeladen, damit er auf dem Stadtplatz sprechen konnte. Ebenfalls kann man beobachten, dass es bei einzelnen Personen aus Niederbayern Überschneidungen mit der Identitären Bewegung gibt, die ja noch aktionistischer und offener rechts ist.
Spannend ist es, gerade in dem Zusammenhang einmal die kleinste Ebene, die Kreisverbände, zu betrachten. Wenn man sich anschaut, welche Inhalte etwa der AfD-Kreisverband Passau auf seiner Facebook-Seite verbreitet – dort findet man zum Beispiel Posts mit verschwörungsideologischem Inhalt, die proklamieren, dass Lutz Bachmanns Pegida nur ein inszeniertes Projekt gewesen wäre, um nationalen Protest gegen Flüchtlinge zu diskreditieren.
Dies alles zeigt, dass die niederbayerische AfD klar zum rechten Flügel der Partei gehört.
Soziale Medien als wichtiges Aktionsfeld der Rechtsextremen
Lassen Sie uns über die Bedeutung der Medien, insbesondere der sogenannten Sozialen Medien für die extreme Rechte sprechen. Was sind Ihre Beobachtungen?
Wenn man auf die organisierte extreme Rechte schaut, fällt auf, dass die Sozialen Medien in den letzten Jahren für sie sehr wichtig geworden sind. Die Kampagne des Dritten Wegs mit dem Titel „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft„, die seit Januar 2015 läuft, hat im August 2015, im Sommerloch, für einen Aufschrei gesorgt. Dabei handelte es sich um eine Google-Maps-Karte mit etwa 2.000 verzeichneten Asylbewerberunterkünften sowie einem PDF-Leitfaden mit dem Motto: „Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft?“ Diese Kampagne ist relativ bekannt geworden und zeigt, dass die Sozialen Medien ein wichtiges Aktionsfeld der extremen Rechten sind.
In diesem Fall schlussendlich auch deshalb, weil das „Knowhow“ der Neonazi-Szene dadurch nutzbar gemacht wird für Menschen in der sogenannten Mitte der Bevölkerung bzw. jene, die eben auf diese Weise nicht in den Ruch des Neonazismus gelangen müssen – und sich mit den Neonazis nicht gemein machen müssen, aber trotzdem auf deren Erfahrungen zurückgreifen können.
Am Ende kam es bei einigen Unterkünften, die in der Karte verzeichnet waren, zu Brandanschlägen – wobei man sich schwer tut, die Kampagne als eindeutige Quelle für die Anschläge festzumachen. In 75 Prozent der Fälle, bei denen Angriffe auf Unterkünfte durchgeführt werden, können laut einer BKA-Studie keine Verdächtigen ermittelt werden, sodass man einen Zusammenhang nur schwer nachweisen kann.
„Vor allem im Lokalen kontinuierlich über Nazis berichten“
Wie sehen Sie die Rolle der Medien im Allgemeinen? Viele tun sich schwer damit, zum x-ten Mal über eine Neonazi-Demo zu berichten, bei der sich bis auf den Ort der Kundgebung vom Inhaltlichen her nicht wirklich viel Neues ergibt. Es gibt Medien, die überlegen, den paar „Hansln“ bewusst keine mediale Bühne mehr bieten zu wollen. Berichten oder nicht berichten – das ist hier die Frage. Wie sehen Sie das?
Aus einer lokal-journalistischen Perspektive ist das nicht ganz einfach zu beantworten. Einerseits möchte man – und das hat gute Gründe – nicht über jedes Stöckchen springen, das einem von den Nazis hingehalten wird. Andererseits möchte man natürlich, dass Aktionen wie Demos beobachtet werden und dass über sie berichtet wird. Tatsächlich muss das meiner Meinung nach im Einzelfall aber abgewogen werden.
Als Negativbeispiel könnte man zum Beispiel die Berichterstattung im Jahr 2013 über die Identitäre Bewegung in Deutschland betrachten. Damals war diese hierzulande noch weitgehend ein Internet-Phänomen, verfügte kaum über reale Strukturen – und trotzdem haben viele Medien sie als das neue große Ding in der extremen Rechten wahrgenommen und intensiv darüber berichtet. Somit hatten die Medien zur Popularität der Gruppe in einem gewissen Sinne beigetragen. Die Identitäre Bewegung hat heute tatsächlich mehr Bedeutung und baut nach und nach ihre Strukturen auf.
Wenn man auf die diesjährige Veranstaltungsserie des Dritten Wegs im Bayerischen Wald zurückkommt, zeigt sich aus meiner Sicht, dass zu Beginn der Reihe die Aufmerksamkeit relativ groß war, dass aus dem Bereich der Kommunalpolitik Gegenveranstaltungen organisiert wurden und daran relativ viele Leute teilgenommen haben. Ebenso zeigt sich, dass nach und nach das Interesse abgenommen hat, die Berichterstattung etwas zurückgefahren wurde und das gesellschaftliche Interesse im Allgemeinen gesunken ist.
Das kann natürlich der extremen Rechten nutzen, wenn eine Art Gewöhnungseffekt eintritt und sie dann nach und nach als Teil der Normalität, als politischer Akteur neben anderen wahrgenommen wird.
Jenseits von einer Dramatisierung wäre es meiner Meinung nach schon wichtig, vor allem im Lokalen kontinuierlich zu beobachten und darüber zu berichten. Und wenn die zu lesende Realität dann eben „nur“ die ist, dass da 20 Leute standen und keine Außenwirkung entfalten konnten.
„Berichterstattung hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion“
Also gilt es Ihrer Meinung nach, als Presseorgan einen langen Atem zu bewahren und weiterhin die Umtriebe der Rechten zu dokumentieren?
Ja. Das würde ich so sehen. Ich lese sehr viel Lokalpresse aus Ostbayern in diesem Zusammenhang – und es gibt bisweilen ja auch wirklich gute Berichterstattung. Wenn man schaut, wie gewisse Lokalmedien in Niederbayern etwa über Hatespeech-Geschichten im Internet berichtet hatten, beispielsweise wenn Leute in Sozialen Netzwerken zum Angriff auf Asylbewerberunterkünfte aufgerufen haben, dann hat diese Berichterstattung eine wichtige gesellschaftliche Funktion.
Die Medien schaffen hier im gewissen Rahmen ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass das Internet – wenn es das auch weitgehend ist – kein rechtsfreier Raum sein sollte. Die Berichterstattung darüber trägt zur Sensibilisierung bei, dass das, was man bei Facebook schreibt, Konsequenzen haben kann.
Herr Nowak – vielen Dank für Ihre Zeit und für das interessante Gespräch.
Interview: Stephan Hörhammer