Es gibt so manche Kombination, die geht auf keine Kuhhaut. Die ist so absurd, dass es beinahe schon wehtut. Die zieht einem die Schuhe aus, so abwegig und grotesk erscheint sie einem aus heutiger Sicht. Im Rückblick. Doch damals, als zwölfjähriger Hänfling, machte man sich darüber nur wenig bis gar keine Gedanken. Da wurde gehört, was den eigenen Ohren schmeichelte, zum Mitträllern animierte oder einem einfach nur den präpubertären Tag versüßte. So einfach war das damals, Anfang der 90er.
Im Zentrum der Musik-Kombination, von der hier die Rede ist, stehen zwei Bands, die wohl unterschiedlicher nicht sein könnten: Motörhead und Die Prinzen. Meine ersten beiden CDs überhaupt, die ich mir von meinem Taschengeld im Jahr 1992 gekauft habe. Demselben Jahr, als Bill Clinton zum 42. Präsidenten der USA gewählt wurde, Hans-Dietrich Genscher nach 18 Jahren Außenminister seinen Hut nahm und der Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München in Betrieb ging. Meine Güte, ist das alles lange her…
Glückselig wie ein kleiner Prinz in seiner kleinen Welt
Beginnen wir mit meiner „Premieren-Compact-Disc“, die ich mir nach mehreren Jahren als Kassetten („MCs“) sammelnder Halbwüchsiger und schließlich stolzer Neu-Besitzer eines CD-Players, der in meine Stereo-Anlage der Marke „Schneider“ integriert war, zulegte. Bis dahin war ich musikalisch vorgeprägt von den Schallplatten-Kollektionen meiner Eltern, näheren Verwandten und Bekannten, die mich für Elvis Presley, Michael Jackson, aber auch für Modern Talking, Matthias Reim oder Marius Müller-Westernhagen begeisterten. Auch diese Kombis erscheinen im Rückblick nicht weniger schräg…
Jedenfalls stand ich da mit feuchten Händen in dem kleinen Freyunger Elektrogeschäft vor dem CD-Regal, trat von einem Bein auf das andere und fragte mich, welche der silbernen Scheiben es am Ende werden sollte. Mein Blick blieb bei einem Cover hängen, auf dem ein Durchfahrt-Verboten-Schild mit schwarzem Frosch-Umriss und – gleich darunter – in Großbuchstaben der Schriftzug „Küssen Verboten“ zu sehen war. Ich hatte den Song, der im Radio rauf und runter lief, sofort wieder im Ohr – und nahm das gute Stück für knappe 30 D-Mark mit nach Hause. Ja, richtig gehört: Die Dinger kosteten damals nicht gerade wenig…
Ich hatte die Schuhe noch nicht richtig ausgezogen, da lag der Silberling auch schon im Player. Die Vorfreude: riesig. Die Lauscher: aufgestellt. Die Prinzen waren ab sofort ein Teil meines Kinderzimmers, dessen Wände überwiegend mit Postern von eher „schwermetallischen“ Combos wie Metallica, AC/DC und Sepultura tapeziert waren – ein weiterer Teil meiner musikalischen Prägung, die schon damals sehr breit gefächert ausfiel.
Die Stimme von Sebastian Krumbiegel, Tobias Künzel und den restlichen Jungs aus Leipzig erklang. Der Refrain von „Küssen Verboten“ waberte durch die Luft – und ich war happy in meiner kleinen Welt. Klar, dass ich sogleich das gesamte Album von vorne bis hinten durchgehört habe – eine Gegebenheit, die sich mit fortschreitendem Alter, zunehmenden Verpflichtungen und chronischem Zeitmangel immer weniger umsetzen ließ. Songs wie „Vergammelte Speisen„, „Warum hast du das getan“ oder „Ich brauch dich gar nicht mehr“ haben sich gleichwohl bis heute tief in meine Großhirnrinde eingebrannt. Schon toll, wie man sich auch nach über 30 Jahren noch an derart einschneidende musikalische Erlebnisse erinnern kann…
Wenn dir der Motörhead-Sound die Haare wegföhnt
Doch weil ich, wie erwähnt, musikalisch betrachtet schon recht früh ein sehr vielseitig interessierter Mensch war, stand ich wenige Wochen später schon wieder in dem kleinen Elektrogeschäft. Dieses Mal sollte meine Wahl wieder „a bissal härter“ ausfallen. Und dieses Mal funkelten mich zwei rote Augen grimmig aus den Höhlen eines kalkweißen Totenschädels heraus an. „March ör Die“ stand unter dem Knochenkopf geschrieben – und mit meinem Fünftklässler-Englisch geriet ich hier schnell an meine Grenzen. „Marschiere oder sterbe“, wie mir der Langenscheidt zuhause offenbarte, hieß der Titel dieses Albums von Motörhead, der dem Mythos zufolge „lautesten, schnellsten und untalentiertesten Band der Welt“.
Frontmann und Rock-Legende Lemmy Kilmister – der Herr möge seiner Seele gnädig sein – schmückte schon länger meine Schranktür: einen Finger in der Nase, zwei leuchtende Fibrome auf der Wange, die fettigen Haare in den Nacken gekämmt. Die 1975 gegründete Truppe aus England war mir also bekannt, Album-Titel wie „Ace of Spades“ oder „Orgasmatron“ zierten mein Kassetten-Regal. Und der Bruder meines Kumpels am Ende der Straße hatte weitere Exemplare zuhause in der Plattenkiste liegen – dabei durfte ich nicht nur einmal in den Genuss seiner gewaltigen Technics-Boxen kommen, die mir bis zur Brust reichten und des Öfteren eindrucksvoll demonstrierten, dass man sich mit einem ausreichend großen „Bassloch“ bei wuchtigem Motörhead-Sound durchaus die Haare föhnen kann…
Ich war jedenfalls ordentlich aus dem Häuschen, als Lemmy die ersten Songs des „March-ör-Die„-Albums anstimmte: auf den Kracher „Stand“ folgten die nicht weniger mitreißenden Bretter „Cat Scratch Fever„, „Bad Religion“ und „Jack The Ripper„, bevor es mit der Ballade „I Ain’t No Nice Guy“ etwas ruhiger wurde. Dabei trällerte Lemmy gefühlvoll gemeinsam mit Ozzy Osbourne – begleitet von Guns’N’Roses-Gitarren-Ikone Slash – jene wunderbaren Zeilen, die bis heute zu den wohl bekanntesten der Rockgeschichte gehören. Zumindest meiner Rockgeschichte.
Anker, Trostspender, Freudenhain
„Hellraiser„, „Asylum Choir„, „Too Good To Be True„, „You Better Run„, „Name in Vain“ und der Titelsong rundeten die CD ab und bescherten mir Momente, die den Zauber der Musik ein weiteres Mal in mir entfachten. Momente, die bis heute nachhallen und mein Herz und meine Seele berühren. Die mir verdeutlichen: Wenn auch noch so vieles schief läuft und das Leben dir auch noch so viele Knüppel zwischen die Beine wirft – die Musik ist dein Anker, dein Trostspender, dein Freudenhain, deine Gefühlsoase. Der Ort, an dem du immer zurückkehren kannst, wenn du eine Auszeit vom turbulenten Treiben da draußen benötigst. Und dafür bin ich dankbar. Dafür lohnt es sich. Selbst wenn die Kombi noch so schräg ausfällt…
Stephan Hörhammer
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Hog’n-Redakteur Hörhammer vermittelt im Rahmen der Hog’n-Serie „Hör-Hammer“ in unregelmäßigen Abständen auf recht persönliche Art und Weise Einblicke in sein musikalisches „Coming-of-Age“, sein Erwachsenwerden mit der Musik. Wer daran Gefallen findet, darf gerne seine eigenen Gedanken dazu in Form eines Kommentars (unter diesem Artikel) oder per Email (an info@hogn.de) mitteilen.