Gemeinsam auf Tour: Ein Metalgewitter der Superlative
Mit geeinten Kräften und geballten Fäusten sind die britischen Rocklegenden von Motörhead und Saxon ihren Gruften entstiegen und haben fast zeitgleich ein neues Album auf den Markt gebracht. Bereits am 18. Oktober erschien „Aftershock“ von Motörhead und schaffte in vielen europäischen Ländern sogleich den höchsten Chart-Einstieg in der Bandgeschichte. Famos, wenn man bedenkt, dass es die Kapelle immerhin schon 38 Jahre gibt und sie mittlerweile schon das 21. Studiowerk veröffentlicht hat.
Die bei der gleichen Plattenfirma UDR unter Vertrag stehenden Saxon (–> klicken, um zur Rezension zu gelangen), die es mit 37 Lenzen gerade mal ein Jahr weniger gibt als die „Motorenköpfe“ (–> klicken, um zur Rezension zu gelangen)haben am 22. November nachgelegt. Mit dem Album „Unplugged And Strung Up“ stiegen sie ins harte Metal-Vorweihnachtsgeschäft ein. Die nah aneinander liegenden Veröffentlichungs-Termine sind natürlich reinstes Kalkül: Bereits im November und Dezember war eine gemeinsame Tour der beiden befreundeten Rock-Combos geplant: ein britisches Metalgewitter der Superlative. Doch leider machte dem ganzen Vorhaben die Gesundheit von Lemmy Kilmister – der Ikone aller Rock-Ikonen – einen Strich durch die Rechnung.
Lemmy: „Ich propagiere jetzt nicht Veganismus und Antialkoholismus“
Eine kurze Rückblende: Im Frühjahr 2013 wurde dem 67-jährigen Frontman mit der auffälligen Warze im Gesicht aufgrund bedrohlicher Herzprobleme ein Defibrillator eingesetzt. Zahlreiche Konzerte wurden daraufhin abgesagt. Dennoch wagte er einen Auftritt beim Wacken Open Air. Den musste er jedoch leider abbrechen, was ihm die bittere Realität seines Gesundheitszustandes erst richtig vor Augen führte: „Keine Sorge, ich propagiere jetzt nicht Veganismus und Antialkoholismus, aber ich muss doch zugeben, einige Bereiche meines Lebens ein Stück weit zu rekonfigurieren“, beschwichtigte Lemmy die besorgten Fans während seiner Regenerationsphase.
„Lost Woman Blues“ könnt ihr beim Classic Rock Magazine zum „Song Of The Year“ wählen
Seine Anhänger können sich aber wieder freuen. Neue Termine für die Tour stehen schon fest: Ende Februar und Anfang März wird die Rockschlacht in Hamburg, München, Frankfurt, Berlin, Düsseldorf und Stuttgart nachgeholt. Bis dahin gibt’s die Möglichkeit, sich die beiden Alben der Bands bis zum Ohren- und Warzenabfallen reinzuziehen. Hog’n-Musikchef Jason Ditshej meint: Zwei Werke, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und die die Frage aufwerfen, ob der Motörheadler auch Saxon-kompatibel ist und umgekehrt.
Yes! – „Aftershock“ klingt unverkennbar nach Motörhead
Motörhead liefern mit „Aftershock“ eine Platte ab, die unverkennbar nach Motörhead klingt. Alleine diese Tatsache dürfte bei vielen dazu führen, einfach nur „Yes!“ zu brüllen. Es könnte genau so gut ihr Debutalbum sein. In fast 40 Jahren haben sich Lemmy und seine Jungs nicht weiterentwickelt und auch nicht verändert. Der einst stilprägende, rotzfreche und schmutzige Motörhead-Sound, der Punk, Bluesrock und Hard Rock zu einem noch nie dagewesenen Heavy Metal-Cocktail vermischte, scheint die letzten Dekaden unbeschadet überdauert zu haben.
Ein bisschen angestaubt klingen die Songs deswegen. Der Rockfan mittleren Alters dürfte sich fühlen, als sei er in die 70er Jahre zurück versetzt worden. Selbst soundtechnisch klingt „Aftershock“ wie vor 38 Jahren, wenn man von den Kratzern im einstigen Vinyl absieht. Aber das ist gut so, denn genau das wollen diese Hartgesottenen hören. Sollte man dem Trio den Vorwurf machen, in all den Jahren nichts Neues gewagt zu haben? Oder sollte man sie hochjubeln, weil sie sich in all den Jahren des MTV-, Casting- und Youtube-Hypes treu geblieben sind und sich auf ihre Wurzeln und Brachialität besonnen haben?
Es ist kein unbedingtes Muss, Besitzer dieser Scheibe zu werden
Mal ganz ehrlich. Mein Ding ist die Platte nicht. Oder besser: Nicht mehr. Motörhead war mal einst die rebellische Phase in meiner Jugend. Und jetzt? Von den 14 Songs klingen 12 Tracks genau so wie die Motörhead-Songs aus den letzten drei Jahrzehnten. Rotzig, aggressiv, stampfend, wütend, krachend, rauhbeinig, attackierend. Fette, kraftvolle Gitarrenriffs peitschen die polternde, energiegeladene Motörhead-Dampflok an. Der treibende Rock-Groove durchdringt Mark und Bein, der bei den besten Titeln des Albums „Heartbraker“ und „Paralyzed“ besonders zum Ausdruck kommt.
Die restlichen Songs unterscheiden sich dann kaum noch. Keine Melodie, die im Ohr bleibt. Keine Überraschung, die einen überrumpelt. Immer wieder derselbe Einheitsbrei. „Motörhead eben“, könnte man fast als Entschuldigung anbringen. Und dann wird man doch noch zwei Mal ein bisschen positiv aufgeschreckt, weil die Energie der Platte herunterdrosselt : Mit „Lost Woman Blues“ und der Ballade „Dust And Glass“ bieten Lemmy und Kollegen nochmals schwül-dampfenden hypnotisierenden Bluesrock. Das sticht ins Herz und in die verrauchte Metal-Lunge. „Aftershock“ bietet neue Songs in altbewährtem Muster. Es ist kein unbedingtes Muss, Besitzer dieser Scheibe zu werden.
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Saxon überrascht mit orchestraler Instrumentation
Dagegen bietet Saxon mit „Unplugged And Strung Up“ alte Songs im neuen Soundgewand an. Das klingt zunächst billig und abgedroschen. Durchaus kann man der Band vorwerfen aufgrund mangelnder Ideen ein bisschen auf der MTV-Unplugged-Welle mitzureiten. Einfach nur „ohne Strom“ war dann aber auch der Band selbst zu gewagt. Deshalb entschied man sich zusätzlich für das andere Extrem: Die symphonische und epische Inszenierung durch Unterstützung orchestraler Instrumente. Ja, das gab es auch schon mal bei Metallica. In der Tat sind den Saxon-Metal-Opas um Sänger Peter „Biff“ Byford außergewöhnliche, dynamische und opulente Songs gelungen. Herausragend sind dabei die beiden Klassiker „The Eagle Has Landed“ und „Crusader„. Diese komplexeren Songs strotzen nur so von Musikalität und haben den Anschein, als wären sie ursprünglich auch nach Noten für ein großes Orchester komponiert worden.
Das Album klingt wuchtig und groß – aber nicht mehr nach Metal
Die Songs der Platte ziehen den Hörer vor allem wegen seiner eindringlichen Melodien und Harmonien in ihren Bann. Die Arrangements klingen wuchtig und groß – aber insgesamt nicht mehr nach Metal. Das dürfte dem Saxon-Fan der ersten Stunde überhaupt nicht gefallen. Ein Album also für die breite Masse, das noch eine größere Zielgruppe durch die romantischen und dennoch kitschlosen Akustik-Tracks erreichen kann. Mit der würdigen Hymne „Requiem – We Will Remember“ erinnern sie an schon früh verstorbene Rock-Ikonen. Der Höhepunkt des Silberlings ist aber ganz klar die Power-Ballade „Frozen Rainbow“ vom 1979er Debutalbum, der durch seine Schlichtheit und Emotionalität herausragt.
Emotional und bewegend: Frozen Rainbow von Saxon
Im Frühjahr gibt’s endlich die gemeinsame Tour. Das Konzert würde ich mir vor allem wegen Saxons Musik anhören. Interessant wird sein, wie die Jungs diesen symphonischen Mega-Sound hinbekommen wollen. Denn ein Orchester wird wohl kaum auf der Bühne stehen. Auf der anderen Seite wäre es natürlich reizvoll diesen verdammten, berüchtigten Outlaw Lemmy Kilmister zu sehen. Hoffen wir, er packt es bis dahin…
Jason Ditshej