Abensberg. „Ich hab reingehört – und war sofort Feuer und Flamme.“ Ihre erste große Metal-Liebe gehörte Iron Maiden, die sie per Zufall unter ein paar Old-School-Bands auf dem Mediaplayer ihres Vaters entdeckte. Damals war sie zwölf. Heute steht Leadgitarristin und Autorin Coralie Baier mit der Thrash-Metal-Combo „AntiPeeWee“ und der Epic-Metal-Truppe „Atlantean Kodex“ auf der Bühne. Ein Gespräch über Metal, PMS, Jackson-Gitarren und das gute alte Einfach-Mal-Machen …
Coralie: Wie wird man eigentlich zur Thrash-Metal-Gitarristin?
Dadurch, dass man die richtigen Leute kennenlernt. Ich komme aus Abensberg, einer Kleinstadt in Niederbayern. Dort haben wir ein Jugendzentrum. Mein Ziel war es immer, da reinzukommen, weil dort die ganzen coolen Kids abgehangen sind. Aus Abensberg kam auch eine junge, recht erfolgreiche Ska-Punk-Band: The Prosecution. Die fand ich unglaublich cool, sowas wollte ich auch.
„Wir sind tatsächlich angespuckt worden“
Ich habe dann proaktiv – und dafür klopfe ich mir heute noch auf die Schulter – ein Plakat gemalt: mit Buntstiften ein Feuer drauf und unten so Abreißzettel mit meiner Telefonnummer. Auf das Plakat habe ich geschrieben, dass ich Gitarristin bin und eine Metalband suche. Das habe ich dann im Juz aufgehängt. Zwei Tage später sagt mir dann mein Vater, dass da wer angerufen hat – wegen so einer Bandanzeige…
Und dann?
Hab ich mich nicht getraut anzurufen (lacht). Per Zufall bin ich etwa ein Jahr darauf mit Alexander Schott von AntiPeeWee, der bei mir angerufen hatte, zu einem Metal-Konzert gefahren – so kam die Sache ins Rollen. Die Band war gerade auf der Suche nach einer zweiten Gitarre – und Alexander Schott fragte mich, ob ich einsteigen möchte – ich habe natürlich begeistert zugesagt.
Anfangs haben wir noch gar keinen Thrash gespielt, sondern Scum-Punk. Und ganz eigentlich haben wir als GG-Allin-Coverband angefangen: Unser Sänger war leicht bekleidet bis nackt und hatte nur Cowboystiefel an. Weil der Schotti aber unglaublich auf Metallica steht, ist es mit der Zeit immer schneller und zackiger geworden – und irgendwann waren wir beim Thrash.
Wikipedia sagt: “Um das Jahr 2010, nach anderen Quellen 2012, wandte sich die Band dem Thrash-Metal zu, da die Bandmitglieder sich nicht mehr auf der Bühne haben anspucken lassen wollen und außerdem dem gestiegenen musikalischen Anspruch gerecht werden wollten.”
(lacht) Das war nicht der Grund, warum wir zum Thrash gewechselt sind. Wahrscheinlich war das mal irgendeine verrückte Interview-Aussage. Was stimmt: Wir sind tatsächlich angespuckt worden. Aber in cool! Bei Punk-Konzerten war das ganz normal – und wir haben als Band ja auch zurückgespuckt…
Seit 2018 bist du außerdem fest bei der bayerischen Epic-Metal-Kapelle „Atlantean Kodex“ dabei. „AntiPeeWee“ wirkt mehr wie eine gewachsene Band, während sich „Atlantean Kodex“ von außen betrachtet eher wie ein ambitioniertes, kopflastiges Projekt anlässt…
Beide Bands haben eine Entwicklung durchgemacht, sind zusammengewachsen und haben Themen- und Besetzungswechsel hinter sich. Die unterschiedlichen Außenwirkungen der beiden Bands liegen schlicht und ergreifend in ihrem jeweiligen Stil. Thrash-Metal ist nicht Epic-Metal. Das sind stilistisch wie konzeptuell zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Thrash Metal lebt von einer zusammengeschweißten Gang-Dynamik, die sich nicht zuletzt auch im Stage-Acting äußert. Bei Epic-Metal treten hingegen ganz andere Aspekte in den Vordergrund. Fans von AntiPeeWee möchten Teil unserer Gang sein, Fans von Atlantean Kodex fühlen sich der Band verbunden, wenn sie Manuels Texte erforscht und verstanden haben.
„Kategorisierung sollte nicht relevant sein“
Du selbst bist seit kurzem unter die Influencerinnen gegangen…
Naja (lacht). Ich habe ein neues Handy und gleich die schillernde Welt von Instagram für mich entdeckt. Kaum zu glauben, wie viel Wert da auf Optik gelegt wird. Muss das sein? Was ist der Antrieb? Macht man das aus eigenen Stücken heraus, weil man es schön findet, coole Fotos von sich zu zeigen, oder aus einem gewissen Kalkül heraus, um mehr Follower zu generieren?
Vielleicht steckt ein gewisser gesellschaftlicher Druck dahinter?
Ich bin da noch zu keinem finalen Schluss gelangt. Eigentlich bin ich eine große Verfechterin davon, dass jede und jeder tun und machen soll, wie sie bzw. er will. Wer bin ich, mich hinzustellen und zu sagen: So oder so gehört das gemacht!? Aber wenn man sich als Gitarristin positioniert, dann sollte doch definitiv die Musik im Vordergrund stehen – und nicht der Look …
Womit wir bei der alten Frage angelangt sind: Muss man als Frau besser sein als die männlichen Kollegen und Mitbewerber?
Müssen definitiv nicht. Aber wenn ich auf mich schaue: Ich habe schon oft das Gefühl, besser spielen zu müssen als meine Bandkollegen. Das ist aber ein Zwang, den ich mir selbst auferlege. Keine Ahnung, warum. Vielleicht deshalb, weil ich sicher sein will bei dem, was ich tue.
Damit keiner sagt: „Naja, für eine Frau war’s okay“?
Genau. Es ist ein paar Jahre her, da war ich noch nicht so gut, da habe ich indirekt folgende Aussage über mich mitgekriegt: ‚Ja, die Cora, die spielt schon gut – für eine Frau halt.‘ Meine Traumvorstellung ist, dass diese Kategorisierung ‚wie Männer‘ vs. ‚wie Frauen‘ einfach nicht mehr relevant ist. Und dass es völlig wurscht ist, wie viele Männer und wie viele Frauen gemeinsam in einer Band spielen. Aber das ist in unserer heutigen Zeit leider immer noch nicht normal.
„Es gibt schlicht zu wenig Vorbilder und Role Models“
Warum ist das so?
Ab einem gewissen Alter – ich sag mal ab der Pubertät – geht es bei vielen Mädchen nur noch darum, hübsch zu sein und einen gutaussehenden Partner abzukriegen. Die Option zum Instrument zu greifen, gerät darüber oft völlig in Vergessenheit. Und schon ist man in der Konsumentenhaltung: Man hört nur noch Musik, statt selbst welche zu machen.
Wieder stellt sich die Frage nach dem Warum…
Gesellschaftliche Konventionen… zu wenig weibliche Rollenvorbilder. Ich würde behaupten, dass Frauen von der Gesellschaft immer noch in die Richtung gedrängt werden: ‚Ich kümmere mich‘, ‚Ich sorge für meine Familie‘, ‚Ich bin häuslich‘. Es wird besser, aber diese Tendenz ist immer noch da. Nach Auftritten kommen regelmäßig Mädels zu mir und sagen Dinge wie: ‚Ich finde das voll super, was Du machst. Ich hab auch mal Gitarre gespielt, aber dann irgendwann aufgehört.‘
Während die Jungs in der Pubertät oft wie die Besessenen üben und richtig gut werden, gehen viele Mädchen in dieser Zeit verloren. Und das sind leider oft die entscheidenden Jahre…
Wie gesagt: Ich glaube, es gibt schlicht zu wenig Vorbilder und Role Models – zu wenig Frauen, die sich trauen, beispielsweise mit dieser eingefahrenen Welt des männerdominierten Metal-Codes zu brechen – von wegen: Ich häng mir eine Gitarre um und bin jetzt einfach da. Vielleicht ist das die einfachste Antwort auf diese schwierige Frage…
„Es ist so wichtig, darüber Bescheid zu wissen“
Ein Thema, das du im Vorfeld des Interviews angesprochen hattest, dreht sich um die Frage: Wie ist es, mit PMS einen Auftritt zu spielen? Magst du was darüber erzählen?
Das Prämenstruelle Syndrom – wobei ich sagen würde, dass es kein Syndrom in dem Sinn ist, weil das ja jede Frau hat – ist bei der einen mehr und bei der anderen weniger ausgeprägt. Jedenfalls sind andere Hormone im Spiel nach dem Eisprung als wie davor, dementsprechend anders ergeht es einem – physisch wie psychisch. Bei mir hat das extreme Auswirkungen: Ich fühle mich aufgebläht, bin niedergeschlagen, reizbar – total durcheinander. Und das hat dann natürlich auch Auswirkungen auf mein Selbstbewusstsein, was vor Auftritten oft ganz schön tricky ist. Das Coole dabei: Seit ein paar Monaten weiß ich, was in meinem Körper abgeht und welche Hormone gerade zugange sind, weshalb ich meine jeweiligen Reaktionen viel besser deuten kann.
Du bist auf Ursachenforschung gegangen?
Genau. Ich war in so einer komischen Opferhaltung: Warum passiert mir das? Warum passt es schon wieder nicht? Ich hatte oft das Gefühl, dass ich anderen hinterher hechle, weil ich in bestimmten Momenten nicht so leistungsfähig war wie meine männlichen Kollegen. Die Erkenntnis, dass man als Frau hormontechnisch komplett unterschiedlich tickt und dass ‚Leistung‘ eine Maxime einer Welt ist, die von Männern gemacht wurde, war für mich ein absoluter Game Changer.
Es ist so wichtig, darüber Bescheid zu wissen. Im Körper einer Frau passiert jeden Monat voll das krasse Zeug, man hat Energielevels, die rasen auf und ab. Allein nur das aktive Bewusstsein darum gibt schon sehr viel innere Ruhe, weil man sich endlich auskennt. Das Schlimme: Im Biologieunterricht wird der weibliche Zyklus überhaupt nicht thematisiert. Die Welt geht unter, alles ist ganz schrecklich, irgendetwas stimmt nicht mit mir, ich bin komisch – mit all diesen Gefühle lassen sie einen allein. Dabei ist das alles nur PMS. Krass, dass das immer noch nicht in unserem Allgemeinwissen angekommen ist.
„Meistens ist man in solchen Momenten total überfahren“
Stichwort: Mansplaining. Gibt es im Metal viel Mansplaining?
Jein. Es ist definitiv besser geworden. Die Metal-Welt an sich ist sehr technik-affin, es gibt E-Gitarren, Verstärker, Pedale etc. Und da sind wir schon wieder bei einem gesellschaftlichen Phänomen: Frauen werden so erzogen, dass technische Angelegenheiten Männersache sind – zumindest ist das meine Wahrnehmung. Ich hab’s tatsächlich ein paarmal erlebt, dass mir etwas erklärt wurde, obwohl ich gar nicht danach gefragt habe.
Aber ich will die Frauen in diesem Kontext auch nicht vollständig in Schutz nehmen. In dem Gitarrenladen, wo ich seit zehn Jahre arbeite, habe ich schon so oft den Satz gehört: ‚Ich kenn‘ mich eigentlich ja gar nicht aus.‘ In den meisten Fällen kommt er von Frauen. Das ist schade. Die Bereitschaft, sich auch als Frau eingehend mit technischen Dingen auseinanderzusetzen, ist einfach nach wie vor nicht gegeben – und ich bin der festen Überzeugung, dass die Gründe dafür in unserer patriarchal aufgebauten Gesellschaft liegen.
Wenn Männer in den Laden kommen – blicken die sich nach männlichen Beratern um?
Ja. Manchmal frage ich sie, ob ich helfen kann – aber die meisten möchten dann mit dem Chef reden, weil sie den kennen. Kürzlich hatte ich aber so einen Fall, da wusste ich nicht sofort, wo die Kondensatoren sind und sagte deshalb dem Kunden, dass ich kurz den Kollegen fragen muss. Da kam dann der wohl witzig gemeinte Spruch: ‚Ist das wohl zu kompliziert für eine Frau?‘ Gottseidank ist mir die richtige Antwort eingefallen: ‚Ob ich weiß, wo die Kondensatoren liegen, das mache ich nicht unbedingt an meinem Geschlecht fest.‘
Ich hab das so rausgeschnauzt, aber er hat auch nur gelacht – das war dann einfach eine doofe Situation. Meistens ist man in solchen Momenten total überfahren. Ich bin froh, dass ich überhaupt was gesagt habe. Es kam auch schon vor – nicht oft, aber immerhin –, dass ich bei Konzerten backstage komplett ignoriert wurde, weil alle dachten, ich sei die Freundin oder irgendeine Begleitung. Inzwischen läuft das so, dass ich mich direkt als Gitarristin der Band vorstelle, sobald wir in der Location ankommen. Weil es mich nervt…
„Trash- und Epic-Metal erfordern unterschiedliches Equipment“
Lass uns über dein Equipment reden: Du spielst Jackson-Gitarren – eine Gitarrenmarke, die gefühlt vor allem in den 1990er Jahren im Metal sehr beliebt war…
Ich habe mich damals mit 19 für meine erste Jackson entschieden, weil ich eine Gitarre wollte, die einerseits optisch auffällt und andererseits ein Floyd-Rose-System hat. Im Gegensatz zum herkömmlichen Tremolo-System kann man mit einem Floyd Rose allerlei verrückte Sounds erzeugen – allen voran die berühmten Dive Bombs, etabliert vor allem durch Dimebag Darrell von Pantera. Also ja, ich wollte mir gewissermaßen eine Spielart draufschaffen, die aus den 90ern stammt.
Ich würde meinen Solostil aber definitiv nicht ausschließlich in den 90ern verorten. Bei meiner zweiten Jackson handelt es sich um das Signature-Modell von Phil Demmel von Machine Head, ebenfalls eine Band, die sich in den 90ern gegründet hat. Allerdings habe ich mich mit ihr musikalisch nie auseinandergesetzt. Ich habe mir die King V Demmelition Pro zugelegt, weil sie eine unglaublich vielseitige und kraftvolle Thrash-Metal-Gitarre ist und noch dazu echt fetzig aussieht. Interessanterweise spielen ziemlich viele Frauen Jacksons, wie etwa Linnea Landstedt von Tyranex und Sonia Anubis von Crypta/Cobra Spell.
Du spielst Thrash-Metal und Epic-Metal – zwei unterschiedliche Sounds. Wirkt sich das auf deine Ausrüstung aus?
Definitiv. Bei AntiPeeWee spiele ich meine King V Demmelition Pro und als Backup-Gitarre meine King V Cobalt Blue. Als Verstärker nutze ich seit etwa einem Jahr ein Kemper Profiler Rack. Bei der Aufnahme zu ‚Infected By Evil‘ haben wir damals im Studio meinen Vollröhren-Verstärker gekempert, also den analogen Sound meines Powerball II über Mikrofon in den Kemper eingespeist und digitalisiert. Der gut kontrollierbare und definierte Kemper-Sound eignet sich hervorragend für die zum Teil komplexen und dynamischen Spielarten von AntiPeeWee, zumal mein Gitarrenkollege Jogi auch einen Kemper nutzt.
Bei Atlantean Kodex jedoch fahre ich meinen Vollröhren-Verstärker Engl Powerball II, weil die Spielart von Kodex einen druckvollen Sound verlangt, den ein digitaler Amp meiner Meinung nach nicht gewährleisten kann. Aus ähnlichen Gründen spiele ich deshalb auch keine Jacksons bei Atlantean Kodex – das würde stilistisch einfach nicht passen. Ich brauche dafür eine Gitarre mit einem grundigen, tiefen Punch und einer klassischen Optik. Deshalb nutze ich bei Kodex eine Gibson L6 aus den Siebzigern und eine 2012er Gibson Explorer als Backup.
„Lemmy kommt von selbst!“
Abschließend: Stell dir vor, du feierst eine Gartenparty und hast drei Bands frei, die an diesem Tag für deine Freundinnen und Freunde aufspielen. Der Clou: Leichen willkommen! Also Bands, die es nicht mehr gibt und Musiker, die schon tot sind, dürfen für diesen Nachmittag zurückkommen. Wer tritt auf?
Bei mir sind’s drei Musiker: Ronnie James Dio, Cliff Burton und Philthy Animal Taylor. Bei Lemmy habe ich mir gedacht, der braucht keine Einladung – der kommt von selbst!
Interview: Karin Rabhansl