Bayerischer Wald/Tschechien. Bald ist es ein Jahr her, dass der Atomausstieg in Deutschland vollendet wurde. Am 15. April 2023 sind die letzten drei Reaktoren vom Netz genommen worden – darunter „Isar 2“ bei Essenbach (Lkr. Landshut). Diesseits der Grenze verzichtet man demnach bewusst auf die risikobehaftete Kernenergie. Jenseits der Grenze wird hingegen verstärkt auf diese Art von Stromerzeugung gesetzt. So gibt es in Tschechien Planungen, bis zu vier neue Reaktorblöcke zu bauen – aufgeteilt auf die Standorte Dukovany und dem grenznahen Temelin, dessen Inbetriebnahme 2000 bereits zu Demonstrationen („Stop Temelin„) im Bayerwald geführt hatte.
Für Diskussionen sorgt nun der neuerlich geplante AKW-Ausbau unserer östlichen Nachbarn. Nur wenige, wie der ehemalige CSU-Parteivorsitzende und einstige Finanzminister Erwin Huber, gehören zu den Befürwortern tschechischer Visionen. Dieser sagte gegenüber der Mediengruppe Bayern: „Angesichts des schwierigen Windkraftausbaus in Bayern ist das eine neue Chance.“ Im politischen Spektrum ist er mit dieser Meinung alleine auf weiter Flur. Vor allem die regionalen Mandatsträger beurteilen die Angelengenheit anders, wie da Hog’n auf Nachfrage erfuhr:
„Erhebliche Auswirkungen auf Lebens- und Standortqualität“
Sebastian Gruber (Landrat des Landkreises Freyung-Grafenau; Vorsitzender des Bezirksverbandes Niederbayern im Bayerischen Landkreistag): „Die grundsätzliche Initiative der Tschechischen Republik zum Atomausbau ist ja leider nicht neu. Das war bekannt. Doch die Dimension und der Umfang der aktuell vorgelegten Pläne, nämlich die Planung von gleich vier Atomreaktoren anstatt eines Reaktors, sind aber schon sehr überraschend und für die Grenzregion besorgniserregend.
Die Realisierung hätte erhebliche Auswirkungen auf die Lebens- und Standortqualität unserer Region. Gerade mit Blick auf die beiden Nationalparke Bayerischer Wald und Šumava als grenzüberschreitendes Großschutzgebiet und grünes Dach Europas sowie die vielfältigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen im bayerisch-tschechischen Grenzraum. Angesichts der einschlägigen Vergangenheit müssen wir berechtigte Befürchtungen hinsichtlich der Sicherheitsstandards haben. Was darüber hinaus nicht vergessen werden darf: Es sind ja auch noch grenznahe Standorte als mögliche Optionen für ein Atommüllendlager auf der tschechischen Seite im Gespräch. Wir haben in diesem Zusammenhang also zwei Themen, die die Region mit Blick auf u.a. Sicherheit und Risiken belasten.
Ich habe das schon mehrmals betont und werde mich auch jetzt wieder klar positionieren: Atomenergie und Atommüll dürfen nicht zu Themen ausschließlich für die ohnehin vor großen Herausforderungen stehenden Grenzräume werden. Derartige Aktivitäten sowie die offensive Vorgehensweise beeinträchtigen und belasten bedauerlicherweise auch die für gewöhnlich vertrauensvolle Zusammenarbeit im gemeinsamen schätzens- und schützenswerten Grenzraum.“
„Würde Sicherheitsgefühl erheblich beeinträchtigen“
MdL Martin Behringer (Freie Wähler/Wahlkreis REG-FRG): „Die Errichtung weiterer Kernkraftwerke an der tschechisch-bayerischen Grenze würde das Sicherheitsgefühl in unserer Region erheblich beeinträchtigen. Insbesondere vor dem Hintergrund des jüngsten Störfalls in Temelin und der mangelnden Auskunftsbereitschaft der Behörden besteht ein großes Vertrauensdefizit. Die Technologie für die Atomkraftwerke, die voraussichtlich verwendet wird, genießt ebenfalls geringes Vertrauen.
Zudem ist zu bedenken, dass neue Anlagen zusätzlichen hochradioaktiven Müll erzeugen, der ebenfalls endgelagert werden muss. Die Untersuchungen für ein mögliches Endlager im Grenzgebiet zur bayerischen Seite verstärken die Bedenken, weil seitens der tschechischen Regierung wenig bis gar keine Informationen nach außen gegeben werden. Sowohl der Bau neuer Atomkraftwerke als auch eines Endlagers an der Grenze würden voraussichtlich negative Auswirkungen auf unsere gesamte Region haben.
„Unter dem Eindruck der Energiekrise verständlich“
MdL Roswitha Toso (Freie Wähler/Wahlkreis Passau-Ost): „Die Entscheidung der tschechischen Regierung, nun ganze vier neue Kernreaktoren in Betrieb nehmen zu wollen, kommt sehr überraschend. Unter dem Eindruck der Energiekrise ist es verständlich, dass unser Nachbarland kein vorschnelles Abschalten der bestehenden Kraftwerke in Erwägung zieht. Das liegt wohl daran, um nicht wie wir nach der Isar-II-Stilllegung ein Stück Unabhängigkeit zu verlieren.
Nach der gescheiterten Ausschreibung und Kostenexplosion für einen Reaktor ist nun aber eine noch viel größere Investition geplant, mit einem Zeithorizont bis 2050. Im Angesicht dessen verwundert es, dass alternative Formen der Energiegewinnung für die Zukunft nicht einmal in Betracht gezogen werden. In unserer Region sind die Vorbehalte gegenüber der Kernkraft naturgemäß groß: Vor allem den Älteren ist der Tschernobyl-Vorfall von 1986 als sehr einschneidend in Erinnerung geblieben. Im Ernstfall würden die Auswirkungen eines Unglücks nicht an den Grenzen halt machen.“
„Wir rüsten ab – Tschechien baut lukratives Geschäft auf“
MdL Josef Heisl (CSU/Wahlkreis Passau-Ost): „Wir schalten unsere sicheren Kraftwerke ab und in Tschechien wird die Atomkraft ausgebaut – das war leider zu befürchten und darauf wurde in der Vergangenheit nicht nur einmal verwiesen. Derartige Pläne standen schon früher im Raum. Und während wir fleißig abrüsten, baut sich für Tschechien ein lukratives Geschäft auf – nämlich den Strombedarf aus Deutschland mit abzudecken. Das mag vielleicht in anderen Teilen Deutschlands weniger aufgeregt betrachtet werden, für uns in der Grenzregion ist das absolut inakzeptabel.
Wir dürfen hier nicht tatenlos zusehen, wenn direkt – praktisch in unserer Sichtweite – neue Atomkraftwerke – weg von deutschen Standards – errichtet werden. Wenn ich mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch komme, dann kommt natürlich Unsicherheit auf. Deutschland entsagt der Atomkraft und für uns hier entlang der Grenze sind die Werke plötzlich so nah wie nie zuvor. Ich habe mich in dieser Sache bereits an unseren niederbayerischen CSU-Minister Christian Bernreiter gewandt. Jetzt muss Hubert Aiwanger als Wirtschaftsminister den Bereich der Energieversorgung aktiver angehen.“
„Wir brauchen einheitliche Sicherheitsstandards für Atomstrom“
MdL Stefan Ebner (CSU/Wahlkreis REG-FRG): „Die Pläne der tschechischen Regierung zum Ausbau der Atomkraft im Grenzraum betrachte ich mit Sorge. Ganz besonders, weil die Sicherheitsstandards nicht dieselben sind wie bei den bisherigen deutschen AKWs. Es ist verrückt: Wir schließen in Deutschland sichere Kernkraftwerke und müssen jetzt zusehen, wie im Nachbarland Kernkraftwerke mit deutlich niedrigeren Sicherheitsstandards entstehen.
Das Thema beschäftigt uns jedes Jahr. Deswegen müssen wir auf diese Entwicklungen reagieren. Wir brauchen in Europa einheitliche Sicherheitsstandards für Atomstrom. Denn wenn es europäisch einheitliche Regelungen für die Produktsicherheit von Kinderbetten gibt, sollte es diese auch für Kernkraftwerke geben – und zwar auf höchstem Niveau. Es müssen für die Sicherheit der Kernkraftwerke die höchsten europäischen Standards einheitlich gelten. Außerdem brauchen wir ein europaweit einheitliches System, dass Störfälle meldepflichtig sind. Denn bei einem Störfall sind auch die Nachbarregionen betroffen.
Wir müssen als Grenzregion auch davon ausgehen, dass die neuen AKWs grenznah entstehen. Das sorgt uns natürlich. Hinzukommt, dass die Suche für sowohl ein tschechisches Endlager als auch für ein deutsches Endlager im Gange ist und für beide Lager die Grenzgebiete im Fokus stehen. Dies hätte für die Regionen und Nationalparke beiderseits der Grenze negative Folgen, sowohl touristisch als auch für den Wert der Regionen im Allgemeinen. Es kann nicht sein, dass diese Fragen alle nur in unserer Grenzregion gelöst werden sollen.“
„Bayerischer Wald wird in der Todeszone liegen“
MdL Toni Schuberl (Die Grünen/ Wahlkreis REG/FRG): „Die Pläne Tschechiens zum Neubau von Atomreaktoren sind die natürliche Folgerung dessen, was die CSU ständig fordert. Rein aus machtpolitischen Erwägungen hat sich die CSU zu einer massiven Atompartei zurückentwickelt, obwohl sie weiß, dass eine Rückkehr zur Atomkraft bei uns in Deutschland technisch innerhalb der nächsten Jahrzehnte gar nicht mehr möglich ist. Das Pferd ist tot, es wird Zeit, dass die CSU davon absteigt. Aber die Lobbyarbeit für die gefährliche Atomkraft durch die CSU – auch hier bei uns in Niederbayern – hat Konsequenzen. Und das sieht man nun an unserer Grenze in Tschechien.
Stattdessen vernachlässigen Markus Söder und Hubert Aiwanger den Ausbau der Windkraft in Bayern und machen uns abhängig von Importen.
Wir müssen aufstehen und der Tschechischen Republik zeigen, dass wir die Atompläne nicht akzeptieren werden. Atomkraft ist hochgefährlich. Der Bayerische Wald wird in der Todeszone dieser Anlagen liegen. Demonstrieren wir in Tschechien und tragen die Debatte über die Gefahren der Atomkraft in unser Nachbarland. Die Zukunft ist Sonnen- und Windkraft. Ich lade die CSU und die Freien Wähler ein, mit uns Grünen gemeinsam in Tschechien gegen die Atomkraft zu demonstrieren.
ÖDP denkt an Volksbegehren
Bezirksrat Urban Mangold (ÖDP): „Die Pläne der tschechischen Regierung gefährden die Sicherheit der bayerischen Bevölkerung. Der Ministerpräsident und sein Stellvertreter sollten an der Seite Österreichs protestieren und nicht, wie von Erwin Huber empfohlen, zum atomaren Gedankenaustausch nach Prag reisen. Sollten Herr Söder und Herr Aiwanger im Falle eines Regierungswechsels ähnliches für Bayern planen, sei ihnen gesagt:
Die bayerische ÖDP steht in den Startlöchern, um den von Markus Söder geforderten Neubau von Atomkraftwerken mit einem Volksbegehren zu stoppen. Sollte die Landtagsmehrheit versuchen, neue AKWs im Landesentwicklungsprogramm zu verankern, würden wir das mit den Mitteln der direkten Demokratie bekämpfen. Wir würden sofort ein Volksbegehren ‚Kein neues Atomkraftwerk in Bayern!‘ starten.
Atomkraft ist teuer, gefährlich und verfestigt die Abhängigkeit von Uranlieferungen aus despotisch regierten Ländern. Im schlimmsten Fall können Atomreaktoren sogar ein militärisches Angriffsziel sein. Regenerativer Strom ist viel schneller verfügbar, umweltfreundlich, klimaneutral und aufgrund der dezentralen Verteilung kein Ziel für einen militärischen Angriff. Mit der Errichtung einer rein regenerativen Energieversorgung schaffen wir das Beste, was wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen können: eine unabhängige Energieversorgung in einer immer unübersichtlicheren Welt.“
Umfrage: Helmut Weigerstorfer