Waldkirchen. Absurde Lustspiele, so kunstvoll wie bunt gemischt, wo sich schwarzer Humor und Hintersinnigkeit lausbubenhaft zusammensetzen – zur Brotzeit danach. All das und vieles mehr kann in der neuen Leihbücherei im Kunstraum in Waldkirchen bestaunt werden.
„Zeig mir deine Muschi!“ – löst das nicht bei ganz vielen sofort einen bestimmten Gedanken aus? Man outet sich gern: Ja, das ist der Fall! Und zumindest beim Autor dieser Zeilen geht es dabei um etwas ganz Anderes, als hier gemeint ist. Etwas, das man erst einmal so nicht im Kopf hat (Auflösung folgt)…
Nicht einschätzbar, unschätzbar, unglaublich!
Ja, man traut sich was in der Jahnstraße 6. Im „Kunstraum“, dem Institut für Kunst und Musik. Franz hat eingeladen. Und er hat den Claus gleich mitgebracht. Sie überraschen gleichermaßen: Sind das wirklich zwei „ältere Herren“, die da vor einem sitzen? Der Hintermann Franz und der Kappl Claus? Und ist das hier wirklich der Kunstraum? Das Wichtigste vorweg: Der Kunstraum ist alles andere als einschätzbar. Doch: Was ist er dann? „Unschätzbar“, so könnte man behaupten. Und unglaublich dazu.
Zwei Lausbuben könnten sie sein. Franz und Claus. Claus und Franz. Mal steht der eine vorn, mal der andere. Mal geht der eine voraus, mal der andere. Nur eins tut keiner: sich vordrängeln. Sich in Szene setzen. Sich aufplustern. Obwohl sie’s könnten. Doch dazu haben sie zu viel gesunde Bodenständigkeit. Und zu viel Intellekt dazu. „Verein…? Ach nein, da bräucht ma‘ ja dann an Vorstand un‘ so Sachen. Mir san lieba a Institut…“, teilt der Franz mit und schmunzelt schelmisch. Und gibt gleich zu, dass man selber nicht so genau weiß, was man von diesem Begriff halten soll. „Zumindest ist er nicht geschützt und klingt schön.“
Was sie aber ganz genau wissen: Seit zehn, elf Jahren läuft das „Team“. Bei ihren Treffen – wenn sie zusammenkommen mit Thomas Scharrenbroich und Andreas Pietzsch – sprudeln nach fünfzehn Minuten Warmlaufen nach wie vor neue Ideen. „90 Prozent davon gehen leider gar nicht“, sagen sie offen heraus, „nicht alles kann gelingen“. Doch es ist ihnen egal, denn: „Zehn Prozent sind richtig toll!“ Und das sagen ganz besonders die, welche sich auf diese Ideen einlassen.
„Über Geld haben wir noch nie gestritten…“
Ja, der Begriff „weltoffen“ braucht hier kein Aushängeschild – er wird wie selbstverständlich gelebt: „Veranstaltungen für alle“ bieten sie an. Und so spannend es hier zugeht, so entspannt darf man hereinkommen. „Das lokale Publikum ist unser Wunsch“, sagt Claus. „Wir wollen was für die kulturell interessierte Bevölkerung tun.“ Und das tun sie: Unabhängig, mit bemerkenswerter Eigenleistung und selbstfinanziert dazu. Um Profit geht es dabei nicht – „über Geld haben wir noch nie gestritten…“
Lieber setzt man sich gemeinsam an einen Tisch. Am besten gleich mit den Künstlern, nach ihrem Auftritt. Um „hinter der Person, die auf der Bühne steht, auch den Menschen entdecken zu können“. Denn: „Bei einer Brotzeit kommen die Leute zum Reden“, weiß Claus Kappl, „Menschen wollen sich austauschen.“ Mit seinem jetzt vierjährigen literarischen Café gibt er auch im Kunstraum Gelegenheit dazu.
Und schon sprudelt die nächste Idee: Ab September planen sie eine Leihbücherei in ihren Räumen, da in Waldkirchen die Bibliothek eingestellt wurde…
„Wir stellen uns selbst permanent in Frage…“
Ja, sie haben „Ansprüche“ im Kunstraum. Zum Beispiel auch, dass ihr Programm bunt gemischt ist, dass den Künstlern immer Gagen gezahlt werden – und dass es Live-Musik dazu gibt. Und den Anspruch, „grundsätzlich eine Bühne zu geben“. Auch für (junge) Künstler, die vielleicht erst eine Handvoll Bilder oder Lieder haben und noch kein raum- oder abendfüllendes Programm bieten können. Und die (noch) nicht „perfekt“ sein müssen, solange sie mit Herz bei der Sache sind. Sie sind genauso herzlich und kostenfrei willkommen, wie zum Beispiel Autoren. „Wir füllen den Raum gerne auch von außen“, da sind sich Franz und Claus einig – „und bieten Präsentationsmöglichkeiten zum sich Ausprobieren“.
Doch: Wo kommt sie her, diese unbändige Energie und Lebensfreude, auch für andere? „Wir haben einfach einen Riesenspaß, wir machen’s für unsere Gaudi, wir sind Kindsköpfe. Wir nehmen uns selbst nicht zu ernst – und wer dabei mitmachen mag: gern!“
Mit so einer Einstellung war dann selbst die Veranstaltung „Misslungener Abend“ im Juli dieses Jahres ein voller Erfolg. Wer jetzt auf den Gedanken kommt, hier wäre nur „Albernheit“ am Werk, der sei gewarnt: „Wir wollen alles aus verschiedensten Perspektiven betrachten – und zeigen.“ Und das bringt immer wieder Dinge zutage, die anders, die neu, aufregend, spannend und damit auch nicht immer bequem sind. Denn es werden nicht nur Fragen aufgeworfen, sondern es wird dabei auch so manches in Frage gestellt. Doch wer sich auf den Kunstraum einlässt, bekommt auch viele, oft überraschende Antworten zu vielfältigsten Themen…
Weitere Eindrücke vergangener Kunstraum-Happenings:
Wie Claus so schön sagt: „Wir stellen uns selbst permanent in Frage…“ Und Franz fügt dem verschmitzt hinzu: „Und finden trotzdem oft keine Antwort.“ Dass man gerade deshalb weitermacht, auch darin sind sich beide einig. Spontan sein ist dann Trumpf: Jahrelange Vorausplanung sucht man vergebens. Dafür findet sich so manche Überraschung, die nachhaltig beeindruckt. Und den Wunsch weckt: „Da will ich bald mal wieder hin.“ Das gilt besonders für alle – ob jung oder alt –, die nicht nur „aufs Dorffest gehen wollen“…
Offen sein. Zuhören. Miteinander reden.
Und selbst die „Unbequemen“ sind hier willkommen: Egal, ob es die „Fridays for Future“-Anhänger wären oder sogar die sog. Klimakleber: „Die dürfen sich hier festkleben“, sagt Claus. „Und die dürfen hier auch gerne klebenbleiben“, fügt er dann noch hinzu – natürlich nach einer gekonnten Kunstpause.
Bei Claus und Franz gibt es anscheinend ein offenes Ohr für jeden und für alles. Sie haben verstanden, worum es wirklich geht. Über oberflächliche Betrachtungen hinaus. Und über reflexartiges Verhalten auch. Und sie haben einem damit unwiderlegbar und mehr als eindrücklich vorgeführt: Weil man so denkt, wie man nun mal denkt, steht der im Kunstraum geplante „Abend für Katzenliebhaber“ in Sekundenbruchteilen beim Betrachter im falschen Licht da. Stichwort: „Zeig mir deine Muschi!“
Doch man hat bei Claus und Franz gesehen, wie sich das ganz schnell und einfach ändern kann. Offen sein. Zuhören. Miteinander reden. Sich etwas sagen, etwas erzählen, etwas zeigen, sich auch mal etwas erklären lassen. Oder, wie es im Kunstraum formuliert wird: „Miteinander ins Gespräch kommen und Barrieren abbauen – wenn nötig, durchaus auch einmal mit ein wenig Provokation.“ Dass man dafür neben allem Darüberreden auch immer wieder tatkräftig und mutig ins Tun kommt, versteht sich hier von selbst…
Holger Lipp
–> Die spannenden Ergebnisse davon erfährt man am einfachsten über den Veranstaltungsverteiler: Eine kurze E-Mail an franz.hintermann@icloud.com genügt – und schon weiß man, was aktuell im Kunstraum läuft.