Rabenstein. Gelb leuchten die Figuren, die eine Mischung aus Mensch und Fisch sind oder gar wie eine lebendige Galionsfigur an einem Schiffsbug wirken. Die surreale Unterwasserwelt auf der blauen Vase, die im Licht orange und gelb durchscheint, fängt den Blick des Betrachters. Detailverliebt kommt das Motiv daher, wie ein absurdes Theater, eine irreale Zwischenwelt. Je länger man die Vase betrachtet, desto mehr Details kommen zum Vorschein, desto mehr Geschichten aus einer anderen Welt erzählen die Figuren. Und dabei bleibt es dem Betrachter selbst überlassen, was sie einem am Schluss erzählen. Es ist dieser unverkennbare Stil, der die Werke von Christian „ChriSch“ Schmidt besonders macht.
Seine kleine Werkstatt hat Schmidt in Rabenstein im Landkreis Regen. Dort, wo sein Vater bereits als Schuster und später als Holzschnitzer tätig war, arbeitet und lebt der 59-Jährige. Im kleinen Schaufenster mit Blick auf die enge Dorfstraße stehen einige seiner gravierten Stücke, hinten an der Wand hängen Zeichnungen auf Velours oder in Tusche. Hier zeigt sich Schmidts Vielfältigkeit – egal, ob auf Glas, Papier oder auf der Gitarre: Künstlerisch schränkt sich Schmidt in keinster Weise ein. Doch vor allem für seine Glasgravuren hat er internationale Bekanntheit erlangt.
„Was ich nicht sagen kann, graviere ich“
Wenn Christian Schmidt Glas graviert, arbeitet er ganz ruhig und konzentriert im hinteren Teil des alten Hauses. Dort steht der massige Gravurbock auf einem Tisch, hell beleuchtet von zwei Lampen und dem Licht, das durch das Fenster fällt. Nur das surrende Schleifgeräusch des Diamantrades auf der Schale aus rot-überfangenem Klarglas ist zu hören. Langsam entsteht auf dem roten Glas-Überfang ein Auge, dann ein Blick, später ein ganzes Gesicht. „Wenn man zu tief graviert, kann man es nicht mehr rückgängig machen. Ein Fehler ist nicht mehr auszubessern“, erklärt Schmidt, beide Hände fest um die Glasschale gelegt. Seine Figurenwelt ist kaum mit Worten zu beschreiben und schwer zu fassen in ihrem Inhalt. Sie bleibt geheimnisvoll, grotesk. Christian Schmidt ist ein visueller Mensch, erzählt er, ihm ist das Bild näher als das Wort. Ab und an macht sich das auch bemerkbar: Eine Sprachstörung, die ihm in manchen Momenten die Wörter nur schwer über die Lippen kommen lässt, begleitet den Künstler schon sein ganzes Leben – heute jedoch weniger intensiv als noch vor ein paar Jahren. „Was ich nicht sagen kann, graviere ich“, sagt Schmidt und lacht.
Von seiner Werkbank aus sieht Schmidt seine Heimat Rabenstein, die weitläufige Waldlandschaft dahinter und den dicht bewachsenen Kellerberg. Hier ist er fest verwurzelt, spielt im Theater oder gibt Gravur-Kurse im Bild-Werk Frauenau. Seine Kunstwerke jedoch sind weit über diese Landschaft hinaus gekommen, in den großen Metropolen Europas wie London oder Wien wurde Schmidts Kunst bereits ausgestellt, aber auch in Japan oder in den USA standen seine Stücke schon in den Galerien. Ähnlich beeindruckend liest sich auch die Liste seiner internationalen Ehrungen – doch der Künstler selbst zeigt sich bescheiden. Allüren kennt er nicht: „Natürlich habe ich mich über das alles gefreut, aber Talent haben viele. Ich hatte Glück – ich bin dankbar für das, was ich machen darf.“
Der unerwartet erfolgreiche Start als Selbstständiger
Nach der Schule machte Schmidt an der Glasfachschule in Zwiesel eine Ausbildung zum Glasgraveur und arbeitete danach acht Jahre lang in verschiedenen Firmen. Die Branche war Ende der 70er Jahre bereits angeschlagen, oft musste sich Schmidt eine neue Stelle suchen. Doch das Gravieren ewig-gleicher Bilder war im bald zuwider. „Der Drang sich künstlerisch auszudrücken wurde immer stärker“, erzählt „ChriSch“ – und somit wagte er 1986 den Schritt in die Selbständigkeit als Glaskünstler. Nur für ein Jahr, das war der Plan. Danach wollte er sich wieder einen richtigen Job suchen, eine Arbeit mit Sicherheiten. Doch spätestens als er noch im gleichen Jahr seine ersten Stücke in der Galerie Hermann in Drachselsried verkaufen konnte, überlegte er es sich doch nochmal anders. „Dass Leuten meine Stücke gefallen, wow! Das war wie eine Initialzündung“, erzählt Schmidt.
Seine erste große Ausstellung im Ausland hatte ChriSch in San Francisco. Vielleicht war es sein Talent, vielleicht war es Glück, vielleicht überzeugte den Galeristen der eigenwillige Stil, vielleicht war es von allem ein bisschen was – Schmidt weiß es selbst nicht so genau. Erst ein paar Monate war der junge Künstler damals selbständig und brach mit ein paar Freunden zu einer Autotour durch Nordamerika auf. „Wir sind im Zick-Zack durch die USA und Kanada gefahren und am Schluss der Reise in San Francisco gelandet“, erzählt Schmidt. Mehr spontan als geplant entschloss er sich, eine Galerie in der Millionenstadt zu besuchen.
Dort traf er auf den Galeristen: einen Deutschen, der begeistert auf die Fotografien von Schmidts Werken reagierte und versprach anzurufen, wenn er zurück in Deutschland ist. „Eines Nachts klingelte dann das Telefon zuhause in Rabenstein. Ich hab‘ zu der Zeit nicht mehr daran geglaubt, dass er anruft“, erzählt der Künstler. Doch in jener Nacht war tatsächlich der deutsche Galerist aus der Kunstgalerie in den USA am Telefon – und bot ihm kurzerhand eine Einzelausstellung an.
Ausstellung in den USA – als „absoluter Grünschnabel“
„Und mir blieb nichts anderes übrig, als abzulehnen“, sagt Schmidt und schmunzelt. Tatsächlich hatte der Glaskünstler zu wenige Stücke für eine ganze Ausstellung zusammen. Er war erst seit Kurzem selbständig und hatte durch die vielen Wochen in den USA noch nicht viel gearbeitet. „Dann haben wir ausgemacht, dass ich ein Jahr später die Ausstellung mache – bis dahin hatte ich dann noch etwas Zeit ein paar Stücke zu kreieren. Und schließlich durfte ich 32 Stücke in San Francisco ausstellen. Als absoluter Grünschnabel!“, sagt Schmidt, der dabei ein so überraschtes Gesicht macht, dass man meinen könnte, es wäre erst gestern passiert.
Christian Schmidts Bilder sind und waren selten kritisch – Politik oder Gesellschaft sind nur Themen am Rande, die er in seiner Kunst behandelt. Auf ein paar Kisten steht eine dunkle Zeichnung, schwarz, fast depressiv kommt sie daher. „Es ist ein Gefühl, das miteinfließt, wenn ich arbeite. Zum Beispiel laufen im Fernsehen die Nachrichten, ich höre mit einem Ohr von all den schlimmen Geschehnissen und irgendwie fließt das dann unterbewusst mit ein“, sagt der Künstler und rückt das dunkle Bild zurecht. Als junger Mann wollte er immer kritischer sein, sagt er, doch bis auf ein paar wenige Werke habe er sich das nie wirklich getraut. „Manchmal denke ich, ich hätte es einfach machen sollen“, sagt er heute.
Auf die Frage, ob er jemals in Rente gehen wird, überlegt Christian Schmidt kurz. „Ich denke nicht“, sagt er schließlich. „Etwas zu tun, etwas zu erschaffen, das bleibt, ist ein Drang. Unsereins wird immer etwas tun müssen.“
Text und Fotos: Stephanie Probst