Als Ivona Brandic begann, zu Künstlicher Intelligenz (KI) zu forschen, sorgte sich die Öffentlichkeit um wildgewordene Killerroboter, die ein algorithmisches Eigenleben entwickeln und die Menschheit unterjochen. Brandics Antwort lautete damals: „Bevor das passiert, wird uns eher der Strom ausgehen“. Rund sechs Jahre sind seither vergangen, Brandic arbeitet als Professorin für „High Performance Computing Systems“ an der Technischen Uni Wien und das EU-Parlament hat mit dem jüngst verabschiedeten „AI-Act“ das erste umfassende KI-Gesetz auf den Weg gebracht.
Dadurch sollen die Gefahren der Künstlichen Intelligenz durch strenge Regulierung und auch Verbote – zum Beispiel für Verhaltensklassifizierung oder Gesichtserkennung im öffentlichen Raum – eingedämmt werden. Die neuen Regeln werden aber voraussichtlich frühestens 2026 in Kraft treten…
Schaden KI-Anwendungen mehr, als sie nutzen?
Womit Ivona Brandic jedenfalls recht behalten sollte: Killerroboter sind derzeit nicht das große Problem; die Energiefrage schon eher. Mit Blick auf Energieknappheit sowie Umwelt- und Klimakrise lasten große Erwartungen auf KI-Anwendungen. Sie sollen Industrieprozesse effizienter, emissionsärmer und energiesparender gestalten, Frühwarnsysteme verbessern, Prognosen präzisieren und Umweltschäden zuverlässiger erkennen. Gleichzeitig sind die Emissionen, die KI-Systeme verursachen, enorm. Allein die Entwicklung von GPT-3, der KI hinter ChatGPT, benötigte rund 550 Tonnen CO₂-Äquivalente – so viel, wie 66 Durchschnittsösterreicher pro Jahr. Schaden KI-Anwendungen Umwelt und Klima am Ende gar mehr, als sie zu deren Schutz beitragen?
„Anwendungsfälle sind potenziell unendlich“
Rund 40 Millionen Datenpunkte von Satelliten, Flugzeugen oder GPS-Stationen fließen derzeit in eine einzelne Wettervorhersage ein. Irene Schickers Aufgabe ist es, diese Vorhersagen zu optimieren. 2016 begann die Meteorologin der Forschungsanstalt „GeoSphere Austria“ (vormals ZAMG und GBA), künstliche neuronale Netze in ihre Arbeit zu integrieren. Neuronale Netze sind dem menschlichen Gehirn nachempfunden und die Grundlage für maschinelles Lernen und KI. „Mittels Künstlicher Intelligenz können wir die Daten besser säubern, aufbereiten und gezielte Prognosen erstellen“, erklärt Schicker.
Ihre Vorhersagen würden damit zeitlich und räumlich präziser und Prognosen sogar auf kleine Täler oder auf einzelne Straßenzüge anwendbar. Auch die Vorhersehbarkeit von Extremwetterereignissen wird dadurch verbessert – was in der Praxis Leben rettet, da Warnungen früher und zielgerichteter ausgeschickt werden können.
Mit einem internationalen Forschungsteam erstellte Schicker im vergangenen Jahr einen KI-generierten „Wind-Atlas“ für Finnland. Windenergie ist im hohen Norden reichlich vorhanden – aber auch nur dann, wenn der Wind bläst. Durch die Auswertung historischer Wetterdaten lassen sich günstigere Zeitfenster besser vorhersagen. Ihren Alltag können die Finninnen und Finnen mit dem „Wind-Atlas“ grüner gestalten, indem sie etwa ihre Waschmaschine entsprechend programmieren. Schicker betont: “ Das ist nur eines von vielen Beispielen für die Alltagstauglichkeit von KI, die Anwendungsfälle sind potenziell unendlich.“
Die KI muss „trainiert“ werden
Auch Informatikerin Brandic hält einige Beispiele parat, in denen die Komplexität einer KI greifbarer wird. Derzeit entwickelt sie im Rahmen des EU-Projekts „Swain“ eine Art Frühwarnsystem für Verschmutzungen in Flüssen. Im ersten Schritt erstellen Brandic und ihre Kolleg(inn)en ein digitales Modell und erfassen darin sämtliche biologische Eigenschaften des Flusses. Durch ein permanentes digitales Screening können Rückschlüsse auf schädliche Substanzen gezogen werden. „Anhand der Sensoren können wir ablesen, aus welcher Fabrik die Substanz kommt, welche Auswirkungen sie auf die Landwirtschaft haben wird und vieles mehr.“ Da die KI im Vergleich zum Menschen schneller große Datenmengen analysiert, können Behörden im Ernstfall schneller reagieren und das Ausmaß der Schäden begrenzen.
KI kann ebenso bei der Erfassung von Vogelpopulationen helfen, Waldbrände orten, Erdbeben vorhersagen, das Verkehrsaufkommen verringern und den öffentlichen Verkehr optimieren. Bis eine KI aber so weit ist, muss sie „trainiert“ werden – und das ist der Umwelt weit weniger zuträglich. Bevor eine KI in Betrieb geht, muss sie mit Daten gefüttert werden – sehr vielen Daten. Dieser Prozess findet in gigantischen Rechenzentren statt, die betrieben und gekühlt werden müssen.
Auch die Anwendung hat negative Umweltfolgen: „Jedes Mal, wenn ich eine KI benutze, füttere ich sie mit Daten und erhalte Antworten – das verursacht jedes Mal Emissionen“, weiß Brandic. Prinzipiell aber seien die Emissionen von KIs schwer zu erheben: Einerseits sind sie schwer zu lokalisieren, denn Emissionen werden in den Rechenzentren, auf den Endgeräten (zum Beispiel Smartphones) und beim Datentransfer verursacht. Und je nach Gegend, in dem das Rechenzentrum steht, wird es mal mit Kohlestrom, mal mit Windenergie betrieben. Andererseits gehen große Techkonzerne zwar gerne mit ihren KI-Innovationen hausieren, halten sich über deren Auswirkungen auf die Umwelt aber bedeckt.
Keine technische, sondern eine politische Frage
Forschende der University of Massachusetts schätzten 2019, dass die Entwicklung aufwendiger KI-Modelle rund 284.000 Kilogramm CO₂ verbraucht – so viel wie 300 Flüge von New York nach San Francisco. Rechenzentren insgesamt – auch solche, die keine KI-Modelle trainieren – brauchen derzeit etwa ein Prozent des weltweit erzeugten Stroms. Laut Prognosen könnte dieser Wert innerhalb einer Generation auf 20 Prozent ansteigen. Je leistungsfähiger eine KI wird und je flächendeckender sie eingesetzt wird, desto drastischer die Umweltfolgen.
Trotz unverkennbarer Vorteile bringt KI in puncto Umwelt- und Klimaschutz also auch Gefahren mit sich. „Die Politik muss Verantwortung übernehmen, mit Gesetzen und Richtlinien den Gebrauch regeln“, fordert Informatikerin Brandic. Einen zentralen Hebel sieht sie in der Bildung. Digitale Bildung bedeute nicht, Kinder die Installation der neuesten Smartphone-Apps nahezubringen, sondern zu vermitteln, wie ein nachhaltiger Umgang mit digitaler Infrastruktur aussieht.
Die Frage, ob KI nun Fluch oder Segen für den Klimaschutz ist, kann nur gesamtgesellschaftlich beantwortet werden. Wie Technik im Allgemeinen ist auch KI nicht neutral, kein politisch unverfängliches Terrain – ob sie dazu beiträgt, den CO₂- Fußabdruck zu mindern oder nur noch mehr zur Eskalation der Klimakrise beiträgt, ist keine technische, sondern eine politische Frage. Die gute Nachricht: Um Killerroboter brauchen wir uns zumindest derzeit weiter nicht zu sorgen…
Johannes Greß