Tippt man in der hiesigen Monopolsuchmaschine „versnobt M“ ein, bekommt man als ersten Suchvorschlag: „Versnobt München„. Vielleicht nicht ohne Grund. Die bayerische Landeshauptstadt genießt landläufig den Ruf des gelebten Bobotums, die Stadt der G’schdudiadn, der Anzugträger, G’schafftlhuawa und „Isarpreissn“. Und ausgerechnet hier, dem als Epizentrum der bayerischen Antikultur imaginierten Fleckchen Erde, im Stimmkreis München-Mitte, konnten die Grünen mit 42,5 Prozent ihr bestes Ergebnis einfahren. Die Grünen. Jener Verein, der einstmals den Ruf der „Ökospinner-Partei“ genoss – und dessen Mitglieder mit der Attitüde „Strickpulli ist fürs Parlament gerade gut genug“ in den Deutschen Bundestag stolzierten. Von Glattrasur keine Rede.
Der Aufstieg der Grünen in Bayern, die sich bei der Landtagswahl 2013 noch mit 8,6 Prozent begnügen mussten, ist der demokratiepolitische Gegenentwurf zum bayerischen Rechtsruck. Während sich CSU und AfD im Getöse um schärfere Grenzkontrollen, Islam, Integration und Brauchtum im gegenseitigen „Überbrüllen“ versuchten, setzten die Grünen auf eher gelassenere, ruhigere Umgangsformen. Hart in der Sache, aber sanft im Ton. Mit Erfolg: 17,5 Prozent entschieden sich für die Ökopartei – in Bayern wohlgemerkt.
200.000 Wähler wechselten von der SPD zu den Grünen
Doch dasselbe ließe sich auch für eine weitere Partei behaupten: Mit Natascha Kohnen an der Spitze setzte auch die Bayern-SPD auf Gelassenheit, eine eher ruhigere Herangehensweise. Auf die verbale Schlammschlacht von Rechts ließ man sich bei den Sozialdemokraten nur selten ein. Auch hier überwogen die konstruktiveren Töne. Jedoch mit weit weniger Erfolg: Von einst 20,6 Prozent im Jahr 2013 erlebten die Roten ein historisches Wahldebakel – mit nur noch 9,6 Prozent ein Allzeittief im Freistaat.
Während sich die einstiege Volkspartei mit einem desaströsen Ergebnis unterhalb der Zehn-Prozent-Marke wiederfindet, sind die Grünen auf dem besten Weg genau jenen Platz einzunehmen: den der Volkspartei. Rund 170.000 ehemalige CSU- und 140.000 Nichtwähler, machten ihr Kreuzchen bei den Grünen. In der Hoffnung auf eine sozialere, offenere, gerechtere und menschlichere Politik? Mag sein. Die Frage ist nur: Wenn sich derart viele Menschen nach einer „linken“ Alternative sehnten – wieso landeten so viele bei den Grünen und so wenige bei den Roten? Die Wahlanalysen zeigen nämlich auch: Rund 200.000 Wähler wanderten von den Roten zu den Grünen.
Zugegeben: Leicht hatte es die SPD im Freistaat noch nie. Das klassische Wählerklientel (Arbeiter und Angestellte) ist vor allem im ländlich geprägten (und CSU-dominierten) Bayern nur schwer auszumachen – und anzusprechen. Eine etablierte Arbeiterkultur sucht man außerhalb der (wenigen) bayerischen Städte vergeblich. Mit prominenten SPD-Wahlkampfthemen wie sozialem Wohnen ist in der bayerischen Provinz nur wenig zu holen.
Zu viel Urbanes, zu wenig Ländliches? Oder zu viel Berlin?
Doch unter Umständen sitzt das Problem der Sozialdemokraten viel tiefer. Auf aktuelle Herausforderungen wie unsichere und prekäre Arbeitsverhältnisse, Kettenverträge und Minijobs scheint man auch bundesweit weder bei der SPD noch in den Gewerkschaften eine adäquate Lösung präsentieren zu können. Hinzu kommt der Dauerzwist in Berlin. Seit der erneuten GroKo-Zweckgemeinschaft aus SPD und Union machen die Koalitionspartner vor allem durch Streit, Reibereien und Sticheleien medial auf sich aufmerksam. Konstruktive, lösungsorientiere Politik sieht anders aus. Das muss nicht nur an der SPD liegen – der Koalitionspartner (sowie insbesondere ein übermotivierter Innen- und Heimatminister) haben einen mindestens ebenso großen Anteil daran. Doch ob Wahrheit oder nur gefühlte Wahrheit – am Ende zählt das Empfinden der Wählerschaft. Und die findet, dass die Bundes-SPD derzeit eine eher unglückliche Figur macht.
Für die stv. SPD-Vorsitzende des FRG-Kreisverbands, Hilde Greiner, sitzen die Schuldigen für das dürftige Abschneiden ihrer Partei eindeutig in Berlin. Sie findet, „dass die Wechselwähler vor allem einer Partei ihre Stimme geben wollten, die in Berlin nicht an der Regierung beteiligt“ ist. Vor allem der Diesel-Skandal und der Fall Maaßen hätten entscheidenden Einfluss auf die Landtagswahl in Bayern gehabt. Deshalb, so schlussfolgert Greiner, setzten viele Wähler lieber auf (oppositionelles) Grün als auf (regierendes) Rot.
Zudem seien ihrer Meinung nach die Wahlkampfthemen ihrer Partei zu wenig auf den ländlichen Raum zugeschnitten gewesen. „Digitalisierung, Umweltschutz, Leiharbeit, ausreichende Rente“ und das Thema „ökologische Landwirtschaft“, so Greiner, wurden zu stark vernachlässigt – oder es „fehlte an der richtigen Außendarstellung und an der konsequenten Umsetzung“.
Ganz so einfach möchte es sich ihr Parteikollege Axel Scherzer nicht machen. „Ob das Wahlprogramm der SPD rückwirkend zu wenig auf die Landbevölkerung ausgerichtet war“, könne er nicht einschätzen, erklärt der stv. Vorsitzende des SPD Kreisverbandes Freyung-Grafenau auf Nachfrage. Auf dem Land hätten die Sozialdemokraten – bis auf wenige „Hochburgen“ – seit jeher einen schlechten Stand. Zukünftig, so fordert Scherzer, solle dem Thema Klimawandel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden – auch im Zusammenhang mit „wirtschaftlichen Vorteilen von Ökologie und Umweltschutz“ und der „Schaffung neuer Arbeitsplätze“. Rot mit etwas mehr Grün also.
Höhenflug dank Hitze
Doch ohnehin mag man den Eindruck gewinnen, dass die Zeichen dieser Tage einfach mehr auf Grün als auf Rot stehen. Europaweit kämpfen sozialdemokratische Parteien gegen den Verfall an, zerreiben sich zwischen den Ansprüchen der globalisierten Wirtschaft und den der heimischen Arbeiterschaft. Grüne Parteien hingegen werden von einem obsiegend stolzen „Wir haben’s doch schon immer gewusst“ begleitet. Dass sich der Klimawandel von einer eher abstrakten Bedrohung zu einer sehr greif- bzw. spürbaren Realität gewandelt hat; viele Menschen leiden darunter, Ökoparteien profitieren.
Nicht zuletzt der Zwist um den Hambacher Forst setzte das Thema Klimawandel und Umweltschutz medial sehr weit oben auf die Agenda. Und entsprechend entwickeln sich auch die Beliebtheitswerte der Grünen: Zuerst Platz zwei bei der Bayernwahl. Mittlerweile auch zweitbeliebteste Partei im Bundestag – vor AfD und SPD. Und auch bei der jüngsten Hessen-Wahl erreichten sie mit 19,8 Prozent das bisher beste Ergebnis auf Landesebene, das sie weiterhin in der schwarz-grünen Regierung mitreden lässt.
Städter „lassen sich nicht so viel gefallen“
Hans Madl-Deinhart, Kreisvorsitzender der FRG-Grünen, erklärt sich den Wahlerfolg der eigenen Partei vor allem mit dem durchwegs geschlossenen Auftritt. Seiner Meinung nach haben die Grünen die „realen Probleme unserer Region und des Landes wie Klimaveränderung, Flächenverbrauch, Migranten-Situation und Infrastruktur“ erkannt – und damit einen Nerv bei Wählerinnen und Wählern getroffen.
Besonders bei jenen, die sich von der CSU abgewandt haben, vermutet Madl-Deinhart. Dass man am Land bisher weniger überzeugen konnte als in der Stadt, erklärt sich der Kreisvorsitzende vor allem durch eine gewisse ländliche „Trägheit“. Städter, so Madl-Deinhart, „informieren sich tiefgründiger und lassen sich nicht so viel gefallen“. Zukünftig wolle man aber auch in ländlichen Gebieten präsenter sein, zum Beispiel durch „beständige Informationsarbeit, Fachgespräche“ oder mehr Öffentlichkeitsarbeit.
Ein Blick auf die Bayern- sowie auf die Hessenwahl zeigt: Madl-Deinhart und seine Kollegen werden in Zukunft noch einiges an Arbeit vor sich haben. Waren es in den Großstädten 26 Prozent, entschieden sich am Land nur zehn für seine Partei. Und ein Blick ins Nachbarland Österreich beweist: So ein grüner Höhenflug kann auch schnell zu einer Bruchlandung werden. Dort hievten die Grünen 2017 ihren Kandidaten als Staatspräsidenten in die Hofburg. Danach spaltete sich die Partei jedoch – und verpasste bei der nächsten Nationalratswahl den Einzug ins Parlament. In den vier Landtagswahlen Anfang 2018 war vom Glanz der grünen Präsidentschaft nur noch wenig übrig. Vor allem in den bayerischen Städten konnten die Grünen punkten. Zukünftig wolle man auch am Land zulegen, erklärt Hans Madl-Deinhart. Foto: Madl-Deinhar
Ob die Grünen in Deutschland ein ähnliches Schicksal ereilt, wird sich zeigen. Diese Frage entscheidet sich wohl auch daran, ob sich enttäuschte CSU- oder SPD-Wähler aus Protest oder aus inhaltlicher Überzeugung für die Grünen entschieden haben.
Johannes Gress
Grün ist für mich in erster Linie Agenda 2010 bzw. Hartz-Reformen, die dafür gesorgt haben, dass ganze Landstriche und Bevölkerungspruppen verarmen und verelenden und das ganze nur noch mit schöngerechneten und frisierten Statistiken z.B. Arbeitslosenstatistik zu verschleiern ist!
Das ganze war nicht nur eine Mißgeburt der spd sondern auch der grünen!