Regen. Es ist ungefähr 5 Uhr morgens, als ich zum ersten Mal wach werde. So genau weiß ich das nicht, da ich weder Uhr noch Handy bei mir habe. Ich stelle aber fest, dass es schon leicht dämmert. Der Grund meines Erwachens sitzt keine zwei Meter von mir entfernt in den Bäumen und zwitschert sein erstes Lied des Tages. Noch ist es ein Solo-Konzert, doch nach und nach steigen erst ein, zwei, dann immer mehr mit ein – bis ich das Gefühl habe, von einem Vogel-Orchester in Dolby Surround beschallt zu werden.
Aber von vorne: Vor zwei Tagen haben mein guter Freund Dominik und ich mein Auto mit Camping-, Wandersachen und Verpflegung vollgepackt und sind Richtung Bayerischer Wald aufgebrochen. In der Nähe von Regen wollen wir zwei Nächte in einem Baumzelt verbringen. Auf der Fahrt stimmen wir uns mit Deichkinds “In der Natur” auf unser Abenteuer ein. Genau das wollen wir – Natur pur! Die Idee dazu kam uns recht spontan und bei der Planung eines Kurztrips bin ich zufällig auf Monikas Unterkunft und das Baumzelt gestoßen.
Wir können die absolute Ruhe genießen
Nachdem uns das Navi quasi ins Nirgendwo gelotst hat, kommen wir dort am frühen Abend an und werden von der Hausherrin und ihrem Lebensgefährten Karsten freundlich in Empfang genommen. Ihr Refugium liegt auf einer kleinen Anhöhe am Waldesrand. Hier befinden sich lediglich drei kleine Häuschen, die Monika von ihrem Großvater geerbt hat. Eines davon hat sie zur Ferienunterkunft umfunktioniert.
Wenn man die Übernachtung im Baumzelt bucht, steht einem zudem immer auch ein Zimmer in diesem Häuschen zur Verfügung, kann hier das Badezimmer und die Küche nutzen. “Es ist schon öfters mal vorgekommen, dass Gäste die Nacht im Zelt abgebrochen haben. Entweder, weil es ihnen zu kalt war, oder weil sie sich im Wald gefürchtet haben”, erklärt uns Monika. Ich nehme mir fest vor, dass uns das nicht passiert… Wir haben jedenfalls richtig Glück: Da weitere Gäste kurzfristig abgesagt haben, haben wir das Häuschen für uns allein – und auch das zweite Zelt wird dieses Wochenende leer bleiben. Wir können wirklich die absolute Ruhe genießen.
Unsere „Herbergsmutter“ zeigt uns zunächst das Haus und bietet uns Lammfell-Unterlagen fürs Zelt an. Dann geht es endlich in den Wald. Das Zelt wird erst sichtbar, als wir die erste Baumreihe passiert haben. Wir bekommen eine kurze Einweisung. Das Zelt ist zwischen drei Bäumen gespannt und befindet sich in einer Höhe von ca. eineinhalb Meter. Ein abgesägter Baumstumpf dient als Einstiegshilfe. Es gibt eine Regenplane, aber viel schöner ist es natürlich, wenn man nur mit dem Moskitonetz schläft und so den Himmel über sich hat. Wir richten uns “häuslich ein”, während Monika uns in der Küche ein Feuer im Holzofen entfacht. Dort machen wir Brotzeit und feiern unsere Freundschaft, die nun schon fast 20 Jahre besteht.
Ein ganz besonderer Moment
Als es draußen schon dunkel ist, brechen wir in unser Nachtquartier auf. Ich spüre eine freudige Aufregung. Ich habe schon länger nicht mehr gezeltet und auch noch nie in der Luft schwebend und mitten im Wald geschlafen. Dominik hat seine Stirnlampe eingeschaltet und der unruhige Lichtkegel, der über die Bäume streift, erinnert mich unwillkürlich an den Film “Blair Witch Project”. Darin verläuft sich eine Gruppe Studenten im Wald und wird Opfer der dort lebenden Hexe. Ein leichtes Gruselgefühl überkommt mich, vergeht aber gleich wieder.
Wir machen es uns im Zelt bequem und es ist überraschenderweise wirklich sehr gemütlich. Dann heißt es: Taschenlampe aus, Sternenhimmel an! Durch die Baumkronen sehe ich den Mond direkt über mir und das Zelt und der ganze Wald sind in ein silbriges Licht getaucht. Um uns herum ist es ganz still. Ich kuschle mich in meinen Schlafsack und fühle mich ganz selig. Ein ganz besonderer Moment. Irgendwann überkommt mich die Müdigkeit. Ich versuche noch meine Augen offen zu halten, weil es einfach so schön ist nach oben zu gucken.
Am nächsten Morgen wecken mich die Sonnenstrahlen, die sanft durch die Bäume fallen. Ich fühle mich sehr ausgeruht und erholt. Monika empfängt uns auf der Terrasse des Gästehäuschens mit einem leckeren Frühstück. Mein Favorit am Tisch ist die selbstgemachte Holler-Marmelade. Monika erzählt uns von ihrer Unterkunft und wie sie zu dem Baumzelt gekommen ist: Beim Betrachten des Nachthimmels, der hier aufgrund der geringen Lichtverschmutzung beeindruckend ist, entstand die Idee, ihren Gästen eine Schlafmöglichkeit mit Blick auf die Sterne zu ermöglichen. Das Baumzelt erweist sich dafür als optimal. Seither besuchen Monika und Karsten Gäste aus aller Welt, was beide sehr genießen. „Ansonsten ist es hier schon sehr abgeschieden. Das haben wir vor allem während Corona gespürt.“
So lässt es sich aushalten!
Wir wollen den Tag nutzen und wandern gehen. Unsere Gastgeberin empfiehlt, die Waldbahn zu nutzen, um zu unserem Ausgangspunkt in Bodenmais zu gelangen. Auf ihrem alten Schulweg gelangen wir zu Fuß in 20 Minuten zur Bahnstation Bettmannshöhe. Das erste Stück begleitet uns Monika noch, um uns die Richtung zu weisen.
Dabei stoßen wir unmittelbar hinter ihrem Haus auf Luchsspuren. Sie erzählt uns, dass es in der Gegend sehr viele Luchse gibt. Letzten Winter sei die gesamte Wiese vor ihrem Haus voll mit Spuren im Schnee gewesen – und sowohl sie als auch ihr Lebensgefährte haben schon einmal neben dem Gebäude ein Tier gesehen. Wir sind ganz fasziniert. Wie aufregend wäre es, nachts in unserem Zelt so eine Sichtung zu machen.
Wir wandern von Bodenmais aus über die wunderschönen Rißlochwasserfälle hinauf auf den Arbergipfel. Dort genießen wir die Aussicht und gönnen uns in der Arberschutzhütte eine üppige Portion Käsespätzle.
Am Abend kehren wir erschöpft, aber zufrieden zu unserer kleinen Unterkunft zurück. Auf der Wiese am Waldrand genießen wir die letzten Sonnenstrahlen und ein kühles Osser-Bier. So lässt es sich aushalten! Wir verewigen uns noch in Monikas Gästebuch. Darin finden wir allerhand Erfahrungsberichte vorhergehender Gäste. Einige haben sich scheinbar auch von der Natur inspirieren lassen und die Ruhe genutzt, um den Wald zu zeichnen.
Ob das ein Luchs war?
Ich bin ein bisschen wehmütig, weil es schon wieder die letzte Nacht ist, die wir hier verbringen dürfen. Auch diesmal versuche ich die Augen so lange wie möglich offen zu halten und in den Wald hinein zu lauschen.
Am Morgen ist Dominik bereits vor mir wach. Er streift mit Einsetzen des Vogel-Orchesters durch den Wald. Später erzählt er mir, dass er aus den Augenwinkeln ein Tier gesehen hat, das recht groß zu sein schien. Bis er sich umgedreht hat, war es jedoch leider schon weg. Ob das ein Luchs war?
Der Abschied von Monika und Karsten ist sehr herzlich. Als wir den langen Schotterweg vom Haus wegfahren, winken uns die beiden hinterher, bis wir sie nicht mehr sehen können. Für uns steht fest – hier kommen wir auf jeden Fall nochmal her…
Ausprobiat von Gabriela Haslböck