Garching/Röhrnbach/Niederperlesreut. Man stelle sich mal vor, ein junger Bursche würde nur ein halbes Jahr, nachdem er das erste Mal gegen einen Ball getreten hat, der beste Fußballer seiner Jahrgangsstufe in ganz Bayern sein. Regionale und überregionale Gazetten würden sich mit Schlagzeilen überschlagen. Die Scouts namhafter Vereine würden Schlange stehen. Nina Putz aus Niederperlesreut hat genau eine solch steile Entwicklung hingelegt. Fernab der Öffentlichkeit jedoch. Denn ihre Sportart, das Bogenschießen, fristet eher ein Mauerblümchen-Dasein – im Schatten von König Fußball.
Umso erstaunlicher ist die Leistung der 13-jährigen Waidlerin. Sie interessiert sich für etwas, das nicht gerade dem Mainstream entspricht – in Zeiten, in denen die meisten ihrer Altersgenossen weitaus trendigeren Hobbys frönen. Zudem hat die Gymnasiastin sehr schnell großen Ehrgeiz für ihre neu gewonnene Leidenschaft entwickelt. Ebenfalls eine Rarität, scheint es doch inzwischen „in“ zu sein, alles etwas „chilliger“ anzugehen. Und, das ist wohl das Maßgeblichste: „Sie ist ein brutales Naturtalent.“ Diese Worte stammen von Mario Seidl. Der 56-Jährige aus Hinterschmiding ist Abteilungsleiter der Sparte Bogenschießen beim SV Röhrnbach, für den Nina Putz an den Start geht.
„Wir sind olympisch – das ist schon was wert“
Freilich, das gibt Mario Seidl zu, gäbe es insgesamt nicht so viele Schützen wie beispielsweise Fußballer. „Nicht jedes Dorf hat eine Sparte für Bogenschützen. So ist es irgendwie logisch, dass bei uns auch viele Auswärtige mit dabei sind – ich gehöre auch dazu. Aber unsere Sportart ist olympisch – und das ist schon was wert.“ Immerhin 45 Aktive zählt seine Abteilung – 18 davon sind Jugendliche. Gute Platzierungen bei Niederbayerischen, Bayerischen und Deutschen Meisterschaften hätten SVR-Mitglieder schon öfter erreicht. Der Weg von Nina Putz ist jedoch einzigartig.
Zum Einstand gab es aber erstmal eine Enttäuschung. „Ich habe im Ferienprogramm gesehen, dass man in Perlesreut Bogenschießen ausprobieren kann. Ich wollte mitmachen – doch leider ist’s dann ausgefallen“, erinnert sich die 13-Jährige. Pfeil und Bogen ließen sie dennoch nicht mehr los. Über Freunde erfuhr sie, dass in Röhrnbach – eben beim SV – Schnuppereinheiten angeboten werden. Die Schülerin nahm daran teil – und fand sofort gefallen. Nicht nur der Sport an sich, „das Konzentrieren und die Ruhe“, hat sie sofort in den Bann gezogen. „Auch die Atmosphäre dort war super. Jeder versteht sich mit jedem.“
Mitte September des vergangenen Jahres war das. Einen Monat später trat die Niederperlesreuterin offiziell in den Verein ein, besuchte von da an regelmäßig das einmal wöchentlich stattfindende Training. Zuerst übte sie nur mit Bogen von der Stange, die ihr der SVR zur Verfügung gestellt hatte. Relativ schnell bekam sie aber von ihren Eltern eine eigene Ausrüstung gestellt. Und noch schneller war Nina Putz erfolgreich. Einen regelmäßigen Ligabetrieb gibt es bei den Bogenschützen nicht, sondern sog. Gaujugendtage. An bisher drei solcher Wettkämpfe – in Grainet, Neureichenau und Röhrnbach – nahm sie bisher teil. „Und alle habe ich gewonnen“, stellt sie nüchtern fest.
„Es war ja mein erster großer Wettkampf überhaupt“
Nina Putz ist keine, die auf den Putz haut. Sie ist eine ruhige junge Dame, was ihr in ihrer Konzentrationssportart gewiss zugute kommt. Doch auch das Körperliche ist nicht ohne, wie sie berichtet. „Anfangs hatte ich schon Muskelkater. Ganz so leicht ist so ein Bogen ja nicht. Mittlerweile tue ich mich aber schon leichter.“ Das Zusammenspiel aller maßgeblicher Komponenten passte – von Anfang an. So verwundert es nicht, dass sie nach nicht einmal 20 Trainingseinheiten bei der Niederbayerischen antreten durfte – und gewann. „Da war ich richtig nervös. Es war ja mein erster großer Wettkampf überhaupt.“
Sie qualifizierte sich somit für die Bayerische Meisterschaft. Diese fand am 12. Februar, also nicht einmal sechs Monate nach ihrem ersten Schuss, auf der Olympia-Schießanlage in Garching-Hochbrück bei München statt. Dort, wo 1972 die beiden US-Amerikaner John Williams und Doreen Wilber neue Weltrekorde aufstellten. Und auch Nina Putz trumpfte – scheinbar selbstverständlich – mit einer Bestleistung auf. In ihrem Jahrgang (Schüler A, Blank(-bogen)) war niemand besser als die Niederperlesreuterin. „Da war ich auch gar nicht mehr nervös“, erinnert sie sich. „Das liegt wohl daran, dass die Teilnahme an sich schon alles war für mich.“
„Das ist schon gefährlich“
Es spricht für Nina Putz, dass sie trotz ihrer schnellen Erfolge weiter Gas geben will. Sie hat noch viel vor. Ihr Weg ist noch lange nicht zu Ende. In absehbarer Zeit möchte sie nicht nur alterstechnisch aufsteigen, sondern auch in anderen Kategorien erfolgreich sein. „Je älter man wird, desto kleiner ist die Zielscheibe. Aktuell hat sie einen Durchmesser von 60 Zentimetern“, berichtet die 13-Jährige. „Zudem gibt es die Möglichkeit, mit Gewichten am Bogen zu schießen – oder mit einem Visier.“ Was ihr liegt, erprobt sie derzeit. Auf dem SV-Trainingsgelände, wo es auch eine 3D-Schießanlage gibt, aber auch im heimischen Garten, der inzwischen kurzerhand umfunktioniert wurde.
Dass sie fast täglich mit einem Sportgerät umgeht, das in den Augen vieler nichts anderes als eine Waffe ist, darüber ist sich die Gymnasiastin im Klaren. Sie wirbt für einen verantwortungsbewussten Umgang. „Das ist schon gefährlich. Man muss aufpassen. Es ist eine Art Ehrenkodex, nie auf Menschen zu zielen – auch nicht zum Spaß.“ Erstaunlich, welch sportlichen, aber auch menschlichen Rohdiamanten der SV Röhrnbach da in seinen Reihen hat. Obwohl auch in der Marktgemeinde der Fußball dominiert, haben die Bogenschützen „einen großen Stellenwert“, wie Vereinsvorsitzender Otto Freund betont. „Die Sparte Bogenschießen ist aufstrebend, allen voran wegen ihrer tollen Jugendarbeit.“ Und Nina Putz ihr momentanes Aushängeschild…
Helmut Weigerstorfer
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Auch die Deutsche Meisterschaft, für die sich Nina Putz als Bayerns beste Schützin qualifiziert hatte, fand inzwischen statt. Die 13-Jährige wurde dabei Letzte. „Dabei sein ist alles“, nimmt sie das Ergebnis überaus sportlich. Nüchtern betrachtet bleibt ihr in nächster Zeit zumindest eine Herausforderung…