Freyung. Zusätzlich zu den „Beinlichkeiten“ bei den Aushubarbeiten gab es beim Bau der neuen Kirche noch weitere Schwierigkeiten, wie bereits im ersten Teil rund um das Entstehen der „neuen“ Pfarrkirche Freyung berichtet. An sich hatte der Maurermeister Stadler, der die Bauarbeiten leitete, als Baumaterial für die neue Kirche die Bruchsteine der alten eingeplant. Doch diese hatten sich bereits weitgehend verflüchtigt…
Die vom Brand betroffenen Freyunger Bürger hatten sich beim Wiederaufbau ihrer Häuser bereits an den Überresten der alten Kirche bedient. Für sie war die Ruine der Kirche ein willkommener Steinbruch, Besitzverhältnisse hin oder her. Folglich musste der Maurermeister neues Baumaterial besorgen. Allein für das Kirchengewölbe wurden 42.000 Ziegel benötigt.
Und dann passierte zu allem Überfluss am 9. Oktober 1875 beim Bau auch noch ein tragisches Unglück. Mit einem Kran wurde ein großer Quaderstein in luftige Höhen gehievt. Als der Kran seitwärts drehte, um den Stein auf die Mauer zu heben, riss das Seil, an dem der Stein hing. Dieser donnerte in die Tiefe und zerschlug eine Gerüststütze. Daraufhin brach das gesamte Gerüst zusammen. Ein Arbeiter konnte sich mit einem waghalsigen Sprung auf die Mauer retten. Vier Personen aber stürzten aus einer Höhe von etwa 13 Metern auf den Kirchplatz. Wie durch ein Wunder überstanden drei der Gestürzten den Aufprall relativ glimpflich. Für den vierten, einem Handlanger aus Aigen in Oberösterreich, kam jede Hilfe zu spät. Er verstarb noch an der Unfallstelle.
Ein höchst stattlicher Kirchenbau – die Ausmaße der neuen Kirche
Für den verantwortlichen Bauleiter, Maurermeister Stadler, hatte der Unfall tragische Folgen. Möglicherweise war das Seil, das gerissen war, schon vorher schadhaft gewesen. Trug er dafür die Verantwortung? Es wurde Anzeige erstattet gegen Stadler wegen fahrlässiger Tötung, eine Gerichtsverhandlung drohte. Der Beschuldigte nahm sich die Angelegenheit sehr zu Herzen. Zu sehr! Als Stadler ein Gespräch mit seinem Anwalt führte, erlitt er einen Schlaganfall. Er war sofort tot.
„Wenn schon, denn schon …“, dachten sich die Freyunger wohl bei dem neuen Kirchenbau. Kleckern wollte man nicht, dann schon eher klotzen. Und so entstand ein äußerst stattliches Gotteshaus. Die Länge beträgt 47 Meter, die Breite 16 Meter. Der Kirchturm mit der neugotischen Spitze misst 56 Meter. Selbst das Kirchturmkreuz ist stattliche 2,77 Meter hoch.
Eine Innenausstattung wie aus einem Guss
Die neue Freyunger Pfarrkirche wurde im neugotischen Stil erbaut. Auch die Innenausstattung sollte neugotisch gestaltet werden. Und sie sollte etwas hermachen, v.a. was das zukünftige Prunkstück, den Hochaltar, betraf. Also beauftragte man eine sehr renommierte Kunstwerkstätte mit der Anfertigung der künstlerischen Innenausstattung. Die Werkstätte Michael Mayer hatte kurz zuvor einen Hochaltar für die Stadtpfarrkirche in Amberg gefertigt, der bei Kunstkennern Aufsehen erregte.
Der Kunstschreiner Mayer legte sich nun auch bei der Gestaltung des Freyunger Hochaltars mächtig ins Zeug. Der Altar sollte für ihn eine Art Referenzwerk werden, das die Leistungsfähigkeit der Werkstätte belegte. Deshalb wollte er das Prunkstück bei der Kunstausstellung in München im Jahr 1876 präsentieren. Aufgrund einer Erkrankung des Kunstmalers, der die Altarblätter malte, klappte das mit der Ausstellung jedoch nicht.
Ausmalung der Kirche dauerte 70 Tage
Ende 1877 wurde der Hochaltar von Landshut aus mit der Bahn nach Passau transportiert. Von dort transportierte man ihn mit zwei Pferdefuhrwerken von Passau nach Freyung. Die Kunstschreinerei Mayer fertigte auch noch eine Reihe weiterer Austattungsstücke, z.B. die beiden Seitenaltäre.
Die qualitätvollen Statuen auf den Altären stammen aus der Kunstwerkstatt des ebenfalls in Landshut ansässigen Martin Ziegler. Dieser besorgte auch die Ausmalung der Kirche, die immerhin 70 Tage in Anspruch nahm.
Bei den Holzarbeiten, z.B. Kirchengestühl, Sakristei-Schränke und Kirchenportale, kamen dann auch einheimische Betriebe zum Zuge, z.B. Schreinermeister Josef Pfaffinger aus Freyung und Tischler Johann Kanamüller aus Grainet.
Die „zickige“ Turmuhr mit dem gewöhnungsbedürftigen Eigenleben
Die Orgel mit zwei Manualen und 17 Registern war ein Werk des Passauer Orgelbaumeisters Martin Hechenberger. Auf zwei Bruckwagen transportierte man sie von Passau nach Freyung. Das Aufstellen und Stimmen des Instrumentes dauerte zwei Wochen.
Unter keinem glücklichen Stern stand das Installieren der neuen Turmuhr. Zum einen konnte der Uhrmachermeister Matthias Terzer aus Hofkirchen den vereinbarten Liefertermin nicht einhalten. Als er sie dann endlich im Dezember 1877 installiert hatte, legte die Uhr beträchtliche Zicken an den Tag. Sie blieb fast täglich stehen und das Schlagwerk glich einer Wundertüte. Nur selten bequemte sich die Uhr dazu, die richtige Anzahl von Schlägen zu produzieren. Unermüdlich ölte man die Gewichte und experimentierte man mit deren Gewichten. Vergeblich. Die Uhr zickte. Bis man schließlich im Juni 1878 völlig neue Gewichte bestellte und installierte. Erst das half.
1870/71: Freyung profitierte vom Kriegssieg über Frankreich
Ein schönes Geläut ist wichtig und gute Glocken brauchen Zeit. Das wusste man in Freyung. Deshalb bestellte man bereits im Brandjahr 1872 in der Passauer Glockengießerei Gugg einen Satz neuer Glocken. 18 Zentner Glockenmaterial hatte man von der abgebrannten Kirche retten können. Daraus goss man die 16 Zentner schwere „Herz-Jesu-Glocke“. Dann folgte die Glocke „Sankt Heinrich“ mit 9,30 Zentnern und die kleine Glocke „Sankt Sebastian und Florian“ mit 4,07 Zentnern. Jetzt fehlte nur noch das „Flaggschiff“ des zukünftigen Geläuts, die große Glocke „Sancta Maria“ mit 31,64 Zentner Gewicht.
Und hier profitierte Freyung von dem Sieg der deutschen Staaten über die Franzosen im 1870/1871er Krieg. Da wurde Beute gemacht, auch Metall war als Siegestrophäe begehrt. So schmolz man z.B. das Metall erbeuteter französischer Kanonen ein. Insgesamt 24 Zentner dieses Kanonenmetalls fanden in der insgesamt 31,64 Zentner schweren Glocke „Sancta Maria“ eine neue friedliche Bestimmung.
Disharmonien beim Zusammenspiel der neuen Glocken
Am 15. September 1877 wurden die neuen Glocken im Turm aufgehängt. Aber das Zusammenspiel des neuen Glockenquartetts enttäuschte. Kakophonie statt Harmonie! Ein zu Rate gezogener Glockensachverständiger fällte ein hartes Urteil: „Ein Missgeläute! Ein seltenes Durcheinander!“ Ausgerechnet die kleinste Glocke, die Sebastianiglocke, brachte den Misston hinein. Ähnlich verstimmt wie das Glockenquartett waren die Freyunger Bürger.
Man wird sich beim Läuten dann wohl auf die beiden größeren Glocken verlassen haben, die gut harmonierten. So traf es dann im Jahr 1918 als erstes die kleinen Glocken, als Kirchenglocken zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurden. Den beiden großen Glocken blieb dieses Schicksal erspart. Erst im Jahr 1923 wurde der Glockensatz dann wieder komplettiert. Das neu zusammengestellte Quartett soll wunderbar harmoniert haben. Bis zum Jahr 1942. Da schmolzen die drei größeren Glocken wieder zu Kriegszwecken dahin.
Wer soll das bezahlen?
Für heutige Verhältnisse sind 182.772 Mark ein Schnäppchen, wenn es um Baukosten geht. Im Jahr 1878 aber war das eine Riesensumme. So viel hatte der Bau der Freyunger Kirche gekostet. Wie konnte die Pfarrei Freyung diese Kosten stemmen? Von den Bürgern konnte man nicht viel an Spendengeldern erwarten, denn sie hatten selber schwer an den Folgen des Marktbrandes zu leiden. Und zudem hatte die Pfarrbevölkerung schon viel beigesteuert durch kostenlose Holzlieferungen und zahlreiche Hand- und Spanndienste.
Letztlich mobilisierte man alle möglichen Geldquellen: Die Brandversicherung zahlte 21.141 Mark für die abgebrannte alte Kirche, das Holz der Notkirche wurde versteigert, immerhin 8.658 Mark kamen durch freiwillige Spenden der Bürger herein. Aber das reichte bei weitem nicht.
Den Löwenanteil steuerte die Diözese Passau bei. Sie organisierte in den Kirchen der Diözese eigens für den Wiederaufbau der Freyunger Kirche diverse Sammlungen. Und die brachten richtig Geld. Über 100.000 Mark kamen auf diese Weise herein. Damit deckte man schon deutlich mehr als die Hälfte der Baukosten.
Großes Herz von Anna Pyrsagg
Und da gab es noch eine sehr spendable Dame in Freyung. Die Apothekerswitwe Anna Pyrsagg stiftete zur Finanzierung des Hochaltars aus ihrer Privatschatulle beachtliche 5000 Gulden. Auf der Rückseite des Altars sind die Stiftung und der Name der Stifterin verewigt.
Die Wohltätigkeit der Frau Pyrsagg beschränkte sich im Übrigen nicht auf die Unterstützung der Kirche. Im Jahr 1877 stellte sie 39.000 Mark für die Erziehung verwahrloster Kinder zur Verfügung – die so genannte Pyrsagg’sche Stiftung. Ein hoher Betrag, wenn man bedenkt, dass ein Lehrer im Jahr weniger als 800 Mark verdiente.
Letztlich flossen die Geldquellen also doch überraschend reichlich. Im Jahr 1878 blieb für die Pfarrei Freyung noch der eher bescheidene Restbetrag von 3.000 Mark zu zahlen. Das war zu schaffen. Man hatte das gewaltige Bauprojekt erfolgreich zu Ende gebracht, auch was die Finanzierung betraf.
Der Tag der Einweihung der neuen Kirche im Oktober 1877
Wenn man schon so ein Mammutprojekt wie den Neubau der Freyunger Kirche bewältigt hat, dann darf man das auch gebührlich feiern. Die Einweihung der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt erfolgte am 23. Oktober und am 24. Oktober 1877. Natürlich standesgemäß. Der Passauer Bischof Josef Franz von Weckert weihte die Kirche ein, zahlreiche religiöse Zeremonien verliehen der Einweihung einen würdigen Rahmen.
Freyung hatte eine neue Kirche. Die Pfarrei und die Freyunger Bürger können auch heute noch stolz auf diesen stattlichen Bau sein. Und immer wieder sollte man daran denken, was die Pfarrei Freyung, die Freyunger Bürger und insbesondere der Pfarrprovisor Matthias Speckbacher beim Neuaufbau der Freyunger Pfarrkirche leisteten. Chapeau!
Gerhard Ruhland