Freyung. So einen verheerenden Brand wie am 27. Juni 1872 hatte es bis dahin in Freyung nie gegeben (da Hog’n berichtete). Das gesamte Zentrum des Marktes lag damals in Schutt und Asche. Die rauchgeschwärzten Kirchenmauern und die Turmruine erinnerten wie ein Fanal an den schwärzesten Tag in der Freyunger Geschichte.
Doch das Leben blieb nicht stehen. Jeder Hausbesitzer war mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln darauf bedacht, das eigene Haus noch vor Einbruch des Winters wieder bewohnbar zu machen. Da musste die Kirche eben noch warten. Dennoch wollten die gläubigen Freyunger ihren Glauben auch weiterhin aktiv ausüben können. Und so diente die noch halbwegs intakte Sakristei der ansonsten total zerstörten Kirche als Raum für Gottesdienste. Die Gläubigen mussten freilich unter freiem Himmel stehen. Klar, dass das keine Lösung war – zumal bei schlechtem Wetter.
Man muss sich nur zu helfen wissen
Fast schon verzweifelt erwogen die Freyunger nun Möglichkeiten, wie man ein passables Provisorium schaffen könnte, um zumindest für eine Übergangszeit das kirchliche Leben erträglich gestalten zu können. Als Retter in der Not erwies sich nun der Schreiner Jakob Eichhorn. Dessen Werkstatt befand sich im heutigen Schramlhaus, das den Großbrand wie durch ein Wunder so gut wie unbeschadet überstanden hatte. Wiederholt hatte das Dach Feuer gefangen, aber der Familie Eichhorn gelang es unter Einsatz ihres Lebens die Brandherde immer wieder zu löschen.
Jakob Eichhorn stellte nun in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Werkstatt ein zehn Dezimal (= ca. 340 Quadratmeter) großes Grundstück für den Bau einer Notkirche zur Verfügung. Allerdings nicht ganz uneigennützig, denn: Er forderte einen jährlichen Pachtschilling von immerhin 50 Gulden. Aber nun gab es zumindest ein zentral gelegenes Areal, das für den Bau einer Notkirche bestens geeignet war. Die Notkirche befand sich in der heutigen Bahnhofstraße, etwa in Höhe der Marien-Apotheke.
Auch eine Notkirche braucht Ausstattung
Am 11. September 1872 begann man mit dem Bau der hölzernen Kirche. Das sonnige Herbstwetter begünstigte den Baufortschritt, bereits an Allerheiligen konnten hier Gottesdienste gestaltet werden. Das Holz für den Bau lieferten Sägemühlen aus der Umgebung von Freyung. Endgültig fertiggestellt wurde die Notkirche acht Tage vor Weihnachten 1872. Die Ausmaße des hölzernen Baus waren beachtlich: Die Notkirche war 25 Meter lang und zwölf Meter breit. Interessanterweise wählte man für die Wände eine Konstruktion, die man heutzutage als höchst ökologisch einstufen würde: Es handelte sich um eine Doppelwandkonstruktion aus Holz, die Zwischenräume füllte man mit Flachsabfällen auf, sodass eine wirkungsvolle Isolierfunktion erzielt wurde.
Die Kirche bekam auch einen hölzernen Turm, der neben dem Hauptportal errichtet wurde. Man organisierte zudem zwei Glocken: Die Fünf-Zentner-Glocke lieh man sich gegen eine jährliche Gebühr von 25 Gulden von der Glockengießerei Gugg, die Zwei-Zentner-Glocke hatte die Dorfgemeinde Promau zur Verfügung gestellt. Jetzt fehlte noch eine Orgel. Die alte war verbrannt. Und in der Tat wurde der Freyunger Pfarrer Johann Huster fündig, und zwar in Mittich bei Neuhaus am Inn. Dort konnte er für 50 Gulden eine betagte Orgel erwerben, die aber in der Notkirche durchaus noch gute Dienste leistete.
Der Neubau: Großzügig sollte er werden – und repräsentativ
Letztlich kostete der Bau der Notkirche rund 2.300 Gulden. Wobei das Bauholz von der Pfarrei Freyung und den benachbarten Gemeinden kostenlos zur Verfügung gestellt worden war. Ab dem Ende des Jahres 1872 verfügten die Freyunger nun wieder über ein Gotteshaus, wenngleich es sich hier um eine Notkirche handelte, die den Zeitraum bis zur Fertigstellung der neuen, der „richtigen“ Kirche, überbrücken sollte. Das sollte bis zum Oktober 1877 dauern. Fünf Jahre also erfüllte das Provisorium in der Bahnhofstraße ihren Zweck.
Bevor man mit dem Bau der neuen Kirche beginnen konnte, musste die Brandruine beseitigt werden. Nichts von der abgebrannten alten Kirche war mehr verwertbar. Alles musste weg. Eine Baufirma erledigte dies – für die stattliche Summe von 400 Gulden. Bereits im Jahr 1872 begannen die Planungen für die neue Freyunger Pfarrkirche. Dazu betraute man einen anerkannten Fachmann.
Die Vorarbeiten dauerten zwei Jahre
Der Landshuter Regierungsbaurat Josef Tanera, der schon diverse Kirchenbauprojekte betreut hatte, übernahm die Planung. Die Bauausführung wurde an den Tittlinger Maurermeister Josef Stadler übergeben, die technische Bauleitung übernahm Bauamtmann Lukas aus Passau, die Gesamtorganisation des Kirchenbaus lag in den Händen des Pfarrprovisors Matthias Speckbacher. Zwei Jahre dauerten die Vorarbeiten, im Jahr 1874 sollte dann endlich mit dem Bau begonnen werden.
Die alte Pfarrkirche hatte den Vorgaben für die Ausrichtung katholischer Kirche entsprochen: Der Altar stand im Osten, ebenso der Turm. Der Eingang befand sich im Westen. Damit entsprach die alte Kirche dem Prinzip der „Ostung“, der Ausrichtung der Kirche nach Osten, zum Sonnenaufgang hin. Der Sonnenaufgang stand symbolisch für die Auferstehung Christi. Die Gebetsrichtung war folglich der Osten, hin zur aufgehenden Sonne.
Eine Kirche, die „verkehrt herum“ steht
Bei der Planung der neuen Freyunger Pfarrkirche musste das Prinzip der „Ostung“ nun offenbar ganz profanen praktischen Erwägungen weichen. Die neue Kirche sollte deutlich länger werden als die alte. Ein im Westen liegender Haupteingang hätte deshalb zum Beispiel längere Wege für die Kirchenbesucher nach sich gezogen. Vom Marktplatz kommend, hätte man quasi die Kirche halb umrunden müssen, um zum Eingang zu gelangen.
Viel praktischer und auch repräsentativer war es hingegen, den Haupteingang zum Marktplatz hin zu öffnen. Folglich rückte der Altar in den Westen. Damit beteten die Gläubigen nun zukünftig quasi verkehrt herum, nicht dem Sonnenaufgang zugewandt, sondern dem Sonnenuntergang. Der Turm rückte nun ebenfalls nach Osten. Aus städtebaulichen Erwägungen war das sicherlich ein Gewinn und dem Glauben der Kirchgänger dürfte die verkehrt herum stehende Kirche wohl kaum geschadet haben. Im Gegenteil: Der dem Marktplatz zugewandte Haupteingang präsentierte sich wesentlich einladender als ein im Westen „versteckter“ Zugang.
Der Bau beginnt – gewaltige Erdaushubarbeiten
Am 16. September 1874 dann Nägel mit Köpfen: Der Bauplatz wurde abgesteckt. Sogleich begann man mit den Erdaushubarbeiten und dem Ausgraben und Ausmauern der Fundamente. Diese waren großzügig dimensioniert. Zwischen zwei Meter und 3,75 Meter musste man in die Tiefe. Das Fundament für den Kirchturm wurde sogar 4,15 Meter tief ausgehoben. Da fiel eine enorme Menge Erdaushub an, insgesamt 825 Kubikmeter. Dabei gab es bei den Aushubarbeiten ein beträchtliches Problem: Rund um die alte Kirche war der Friedhof angelegt gewesen, im Boden ruhten zahlreiche Leichname.
Um den Erdaushub kostengünstig von der Baustelle wegzubekommen, erlaubte man den Bauern, das ausgehobene Erdreich auf ihre Äcker hinauszufahren. Aber was die Bauern da wegkarrten, bestand nicht nur aus Erdreich, sondern eben auch aus zahlreichen Gebeinen. Der Pfarrprovisor Matthias Speckbacher war nicht gerade erfreut, als er erfuhr, dass auf den Äckern um Freyung zahlreiche Totengebeine verstreut lagen. Sofort griff er energisch ein: Die Totengebeine müssten gefälligst umgebettet werden.
Wohin mit all den Gebeinen?
Und so sammelte man die bei den Aushubarbeiten zutage geförderten Gebeine akribisch und brachte sie auf den neuen Friedhof (heute der „Alte Friedhof“). Dort wurden sie sorgfältig bestattet. Auf vielen Bruckwagen traten dann zahlreiche Freyunger Verstorbene ihre allerletzte Reise auf den neu angelegten Friedhof an. Gar mancher Freyunger wird sich angesichts der seltsamen Fracht auf den Wägen die Augen gerieben haben und anderen wird ein Schauder in ihre eigenen Knochen gefahren sein.
Mit der Verlegung des Friedhofs trug man nun auch den Vorgaben der kirchlichen Obrigkeit Rechnung. Diese hatte nämlich schon vor Jahrzehnten eine Verlegung des Friedhofs gefordert. Die Hartnäckigkeit der Freyunger Geistlichen hatte dies bisher verhindert. Und nun passierte es eben doch, verursacht durch „höhere Gewalt“, sprich den Brand.
Die Grundsteinlegung für die neue Pfarrkirche
Am 8. Juli 1875 erfolgte die Grundsteinlegung für die neue Pfarrkirche. Da wollten sich die Freyunger nicht lumpen lassen und inszenierten eine recht pompöse Veranstaltung. Die Donauzeitung vom 9. Juli 1875 schrieb hierzu:
„Von der Notkirche aus bewegte sich der Festzug – voran die Schuljugend, dann der Jungfrauenbund, hierauf weiß gekleidete und festlich geschmückte Mädchen mit Hammer, Kelle und Mörtel-Schaff, sowie verschiedenen zum Einlegen bestimmten Gegenständen – nach diesen die Geistlichkeit, die Beamten, die Kirchen- und Gemeindeverwaltungen und endlich die beim Bau beteiligten Arbeiter mit Herrn Maurermeister Stadler an der Spitze – durch den reichbeflaggten Markt in einem Bogen nach dem Bauplatze. Dort wurde eine auf Pergament geschriebene Urkunde über Veranlassung, Beginn usw. des Baues vorgelesen, von den anwesenden Herrn Geistlichen, Beamten und sonstigen Honoratioren unterzeichnet und mit verschiedenen Münzen alter und neuer Währung, dem Portrait Sr. Majestät und einigen Photographien in den Grundstein gelegt, vom geistl. Rath Donaubauer von Hutthurm geweiht und unter dem inneren Portale in die Erde gesenkt…“
So oder so ähnlich würde eine Grundsteinlegung auch wohl heute noch ablaufen.
Gerhard Ruhland
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Im zweiten Teil der von Kreisheimatpfleger Gerhard Ruhland ausgearbeiteten Geschichte über die Entstehung der „neuen“ Pfarrkirche in Freyung wird deutlich, welch große Mühen der Bau des Gotteshauses mit sich brachte. U.a. kam bei den Arbeiten ein Handlanger aus Aigen (Oberösterreich) zu Tode. Bauleiter Stadler erlitt aufgrund dieses Unfalls einen Schlaganfall – und starb daran…