Die Gretchenfrage rund um den Piks bestimmt (und entzweit) derzeit die öffentliche Diskussion wie selten ein Thema zuvor. Es gibt viele Pro-Argumente, warum man sich immunisieren lassen sollte. Für die Politik ist die Impfung sogar inzwischen der alternativlose Weg, um aus der Pandemie zu kommen. Es gibt aber auch einige Contra-Argumente, die zumindest einen diskussionswürdigen Hintergrund haben. Nichtsdestotrotz werden Menschen, die sich bewusst (oder aus welchen Gründen auch immer) gegen die Produkte von Biontech, Moderna & Co. entschieden haben, in eine Ecke gedrängt: Sie gelten als wirr oder einfach nur dumm, werden pauschal radikal-populistischen Gruppen wie den Querdenkern zugeordnet. Kurz und knapp: Wir befinden uns in einer Phase der Pandemie, in der andere Meinungen nicht mehr nur nicht akzeptiert, sondern torpediert werden. Eine mehr als gefährliche Entwicklung.
Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit lassen sich hier anführen: Da ist zum einen die Mitarbeiterin der Pathologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München (siehe Video). Die junge Dame kritisiert aufs Schärfste die mutmaßlich verpflichtenden und selbst zu bezahlenden PCR-Tests für ungeimpfte Kollegen. Sie bringt ihre Meinung in dem bei YouTube einsehbaren Statement äußerst emotional rüber, was allein dadurch deutlich wird, dass sie mehrmals „den Vogel“ zeigt und eine Vielzahl an Kraftausdrücken verwendet. In den Reaktionen auf dieses Video geht die durchaus streitbare Kernbotschaft jedoch komplett unter. Von ihrem Arbeitgeber, der sich zur Sache nicht äußern möchte, hat sie laut Sueddeutsche Hausverbot erhalten, die Kündigung ist offenbar beschlossen. In den Sozialen Medien wird sie unter anderem als „Bettbeschmutzer“ abgestempelt.
Reaktion der Öffentlichkeit: Anfeindung, Hass, Diskriminierung
Auch die Impfprotest-Aktion in Eggenfelden (Landkreis Rottal-Inn) am vergangenen Wochenende schlägt weiterhin hohe Wellen. Vor allem, seit bekannt geworden ist, dass selbst Pflegekräfte an der Aktion beteiligt waren. „Wir sind weder Corona-Leugner noch -Gegner“, sagte eine der Teilnehmerinnen wörtlich im Gespräch mit dem BR. Man habe ein Zeichen setzen wollen, dass es Klinikmitarbeitende gebe, die ihren Job zwar liebten, aber gerne ungeimpft weiterarbeiten wollten. Ein Zeichen gegen eine Impfpflicht für Pflegepersonal. Und wiederum die beinahe schon reflexartige Reaktion der Öffentlichkeit: Anfeindung, Hass, Diskriminierung. Selbst Landrat Michael Fahmüller und Eggenfeldens Bürgermeister Martin Biber poltern munter drauf los, sprechen von pietätlosem Verhalten „gegen jeden guten Ton“. Die beteiligten Pflegekräfte werden mit den Querdenkern, die diese Gelegenheit natürlich für ihre Zwecke nutzten, über einen Kamm geschert.
Diejenigen, die die Impfskeptiker immer wieder für ihre Haltung kritisieren, prangern deren fehlende Solidarität an – und spalten fleißig mit. „Nur wenn wir alle zusammenhalten und uns alle impfen lassen, kommen wir aus der Pandemie“, ist allerorts zu hören. Auf der anderen Seite werden die Contra-Meinungen – die, was noch einmal betont werden soll, nicht nur aus reinem Trotz entstehen – schlichtweg nicht wahrgenommen. Wo bleibt hier die Solidarität, die menschliche Bereitschaft andere Meinungen zuzulassen, diese auszuhalten und zu differenzieren? Ist das dieses demokratische Grundverständnis von Meinungsfreiheit, von dem immer wieder mal die Rede ist?
Haben wir verlernt, miteinander zu reden?
Wir haben im Zuge der Corona-Pandemie offensichtlich verlernt, wie man miteinander kommuniziert. Auch denjenigen Gehör verleiht, die anderer Ansicht sind als man selbst. Wir bekommen Schnappatmung, sobald ein Gegenüber sich erdreistet, eine Sicht der Dinge darzulegen, die gerade nicht mit dem übereinstimmt, was man selbst denkt und glaubt, dass es der unanfechtbaren, allgemein gültigen Wahrheit entspricht. Statt dem anderen zuzuhören, ihn mit seinen Sorgen und Nöten wahrzunehmen, packen wir – hüben wie drüben – die Pauschal-Keule aus und reagieren mit stigmatisierendem Schubladen-Denken. Wir machen uns lustig über den anderen, verhöhnen und verspotten ihn, anstatt ihn ernst zu nehmen und im Anschluss ruhigen Tones die eigenen Gegenargumente vorzubringen. Wir leben, wie es scheint, in einer Kommunikationskultur – befeuert von Social-Media und Co. -, die alles andere als demokratisch, respektvoll, solidarisch und gesellschaftlich wertvoll ist. Dieser „Impfschaden“ wäre definitiv vermeidbar.
Kommentar: Helmut Weigerstorfer
Danke Helmut für diesen wertvollen Beitrag 🙏 Akzeptanz wäre hier das Zauberwort 🌟
Liebe Grüße und bleib gesund
Andrea
chapeau! prost, helmut :)
Vielen vielen Dank, es tut gut das zu lesen und zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die Verständnis haben und auch hinter die Fassade schauen.
Vielen Sank für den Bericht. Es ist schlimm zu sehen wie schlecht es um die Freiheit geht. Geimpft oder ungeimpft, spielt keine Rolle. Wir müssen zusammen halten und gemeinsam dagegen ankämpfen.
ich bitte mal um mitteilung, welches die ernst zu nehmenden argumente der impfgegner sein sollen.
es wäre auch zu bedenken, welche folgen die impfverweigerer für die gesundheit, das gesellschaftliche leben und die wirtschaft zeitigen. da ist es, bei allem recht auf freie meinungsäußerung, dann schon etwas albern, sich über selbst zu bezahlende tests zu beschweren. wer will als verantwortlicher betreiber einer klinik oder firma ( organisationsverschulden )zu verantworten haben, dass durch eben diese geschäftstätigkeiten patienten oder kunden zu schaden kommen, ungünstigenfalls ums leben.
freie meinung, ja bitte. aber dummheit darf man dummheit nennen ( ist übrigens auch nur eine „freie“ meinung).
Lieber Herr Weigerstorfer,
leider tief im Netz verborgen – endlich ein Artikel, der mir – als Privatperson und Diplom-Psychologin – aus der Seele spricht. Danke!
Die Entwicklung in unserem Land lässt mich in Fassungslosigkeit erstarren. Ich höre / lese fast stündlich Äußerungen von Politikern und Trägern öffentlichkeitswirksamer Rollen gegen Menschen, die – wie in Ihrem Artikel korrekt formuliert – berechtigte Zweifel an den derzeitig verfügbaren Impfstoffen haben. Sehr viele Menschen kennen mindestens eine Person, die nach einer Impfung schwere Nebenwirkungen durchgemacht bzw. sogar einen Impfschaden erlitten hat. Das wird jedoch nicht öffentlich gemacht. Anstatt den Zweifeln und Bedenken der Menschen mit Achtung zu begegnen und nach Maßnahmen zu suchen, die einer modernen Gesellschaft würdig sind, werden Besorgte von Politikern und Trägern öffentlichkeitswirksamer Rollen vollkommen undifferenziert radikal-populistischen Gruppen zugeordnet, verhöhnt und verbal an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Erstaunlicherweise benutzen eben diese Politiker und Träger öffentlichkeitswirksamer Rollen einen Ausdrucksstil, der sich am ehesten genau in solchen radikal-populistischen Gruppen wiederfinden lässt und in unserem Land zuletzt in diesem Ausmaß in den 1930er und 1940er Jahren zu finden war. Das Menschen für Hetz- und Stigmatisierungsparolen von Trägern öffentlichkeitswirksamer Rollen empfänglich sind und was daraus entstehen kann, zeigte unsere deutsche Geschichte…
Ich möchte nicht die kleine Gruppe Radikaler leugnen, die tatsächlich die „Gunst der Stunde“ nutzt und unter dem Vorwand, Impfgegner zu sein, staatsfeindliche Gesinnungen pflegt. Die Mehrheit der derzeit noch ungeimpften Besorgten gehört jedoch nicht zu einer kleinen Gruppe hakenkreuzschwingender Randalen. Stattdessen handelt es sich um einige Millionen (!) Deutsche mit ganz normalem bürgerlichen Hintergrund ohne jegliche Tendenz nach Rechts. Wäre dem nicht so, wäre es erschreckend, dass sich in unserem Land trotz Aufklärung, Staatsschutz etc. solch eine Masse an Staats- und Demokratiefeinden hätte bilden können…Dass eben diese Politiker, die Impfbesorgte als Staats- und Demokratiefeinde bezeichnen, für solch eine Entwicklung die Verantwortung zu tragen hätten, geht wohl an ihnen vorbei. Wird doch der Bürger auch maßgeblich vom Staat und dessen leitenden Rollenträgern geprägt…(!)
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass in der FORSA-Studie vom Oktober 2021 (als PDF im Internet runterzuladen) auch in einer für Nicht-Wissenschaftler verständlichen Form nachzulesen ist, dass die Mehrheit der Ungeimpften in dieser Umfrage eine Impfung mit einem alternativen Impfstoff in Erwägung zieht. Leider habe ich keine differenzierte Stellungnahme der politisch vorrangig Verantwortlichen gefunden, in der dieser Umstand wirklich ernst genommen wird. Nur ganz am Rande liest man mal darüber, dass (beispielsweise von Frau von der Leyen und von Frau Wagenknecht) darin eine weitere, demokratische und humane Chance gesehen wird, die Impfkampagne voranzutreiben. Stattdessen wurde zum einen eine Impfpflicht damit gerechtfertigt, dass man alle möglichen Maßnahmen bereits ausgeschöpft habe und zum anderen wird in ausführlicher Weise das Unverständnis zum Ausdruck gebracht, dass es Menschen mit Präferenzen für einen alternativen Impfstoff gibt. In vollkommen unqualifizierter Weise gibt unser neuer Gesundheitsminister an, kein Verständnis für die Menschen zu haben und behauptet dann noch u.a., dass Langzeitnebenwirkungen bei den mRNA-Impfstoffen ausgeschlossen seien. Ich habe auch mal gelernt, wissenschaftlich zu arbeiten und zu denken, diese Aussage kann ich aber nicht nachvollziehen bzw. ich weiß gar nicht, woher er das Wissen nimmt. Ich habe gelernt, dass man solche Aussagen nur machen darf, wenn man wissenschaftliche Belege – in diesem Fall durch Langzeitstudien – dafür vorlegen kann.
Meine persönliche Haltung (und die häufig vertretene in meinem Freundes- und Bekanntenkreis): ich lasse mich sofort impfen, wenn der erste Todimpfstoff bzw. Novavax verfügbar ist. Notfalls schon vor der Zulassung. Dann nehme ich einfach einige Wochen Lock-down weiter hin, bin aber vor einer Infektion sicher. Ich habe keine Probleme damit, den Impfstoff sogar selbst zu bezahlen und spritze ihn mir notfalls auch selbst :) Sicher beruht das auch auf einer subjektiven Einschätzung und ein Impfschaden ist auch damit nicht auszuschließen. Das ist mir bewusst. Trotzdem ist mein subjektives Gefühl der Sicherheit damit genügend befriedigt und ich wäre zudem geimpft und nicht mehr einer der „Staatsfeinde Nummer 1“. Ich wette: wären genügend alternative Impfstoffe verfügbar, wären wir ganz schnell bei einer Impfquote von 90%.
Herzliche Grüße, ich wünsche Ihnen gute Gesundheit und allzeit festen Stand, K. Jäger