Eggenfelden. Es dauerte rund zweieinhalb Minuten, bis jemand „runter von der Bühne“ brüllte. Der 18-jährige Adolf Stögbauer nutzte in seiner Heimatstadt Eggenfelden (Landkreis Rottal-Inn) Anfang Dezember die Gelegenheit und hielt auf einer Querdenker-Demo für Meinungsfreiheit eine Rede – über Meinungsfreiheit. Sehr zum Unmut einiger Anwesender:
„Was für ein beeindruckender junger Mann. Wir brauchen mehr solcher überzeugter, begeisterter Demokraten. Ich hab großen Respekt vor ihm, Hut ab! Nicht einschüchtern lassen, weiter dagegen und miteinander reden, demokratischen Diskurs am Leben erhalten!“ So lautete eine von vielen Reaktionen auf Stögbauers Auftritt, über den im Nachgang auch der Deutschlandfunk-Nova und Zeit-Campus berichteten. Ein Gespräch über Zivilcourage, Soziale Medien und die Frage, ob man mit Luther und Kant etwas gegen Querdenker ausrichten kann.
„Angst hatte ich aber trotzdem nicht“
Da Hog’n: Du bist im Dezember bei einer Querdenker-Demo aufgetreten, hast dich anfangs als einer von ihnen ausgegeben und dich später als scharfer Kritiker geoutet. Als schon nach kurzer Zeit die ersten Buhrufe und Beleidigungen aus dem Publikum kamen – hattest du da das Gefühl, dass deine Aktion eine gute Idee ist?
Adolf Stögbauer: Ja, auf jeden Fall. Ich wäre nicht hingegangen, wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, dass es eine gute Idee ist. Mir war klar, dass ich Gegenwind bekommen werde und dass die Leute nicht sehr begeistert sein werden, wenn ich auf ihrer Demo eine Gegenmeinung vertrete. Insofern habe ich auch bei Zwischenrufen und Beleidigungen nie daran gezweifelt, dass das, was ich da mache, das Richtige ist.
Warst du zu irgendeinem Zeitpunkt nervös oder hattest Angst?
Nicht wirklich. Das hatte aber mit meinem Mindset zu tun: Ich bin mit der Einstellung reingegangen, dass das wahrscheinlich sehr hitzig wird. Es wurde letztlich hitziger, als ich erwartet hatte. Angst hatte ich aber trotzdem nicht. Auch wenn manche der Anwesenden sehr geladen waren, wurde mir nie körperliche Gewalt angedroht. Außerdem waren die Polizei und meine Freunde vor Ort. Wenn man weiß, dass Leute da sind, die einen unterstützen, dann fühlt man sich nicht so alleingelassen, dann passt das schon.
Ein offenes Mikro für – fast – jedermann
Wie bist du auf die Idee gekommen, das zu machen?
Ich hatte zwei Tage zuvor von dieser Demo erfahren. Ich habe auf einem Plakat gesehen, dass der Veranstalter „ein offenes Mikro für jedermann“ bietet. Mich hat das sehr wohl beunruhigt, dass so eine Querdenker-Demo hier in Eggenfelden stattfinden sollte. Ich dachte mir: Das will ich mir ansehen – und dagegenreden. Ich habe zu den Querdenkern und Corona-Leugnern schon länger eine klare Meinung – und ich wollte so eine Veranstaltung nicht unkommentiert stehen lassen. Das geht einfach nicht, das hat was mit meinem Gewissen zu tun. Ich dachte: Wenn ein offenes Mikro geboten wird, dann mach ich das auch. Ich habe mich tags zuvor hingesetzt und eine Rede geschrieben, da ich erwartet habe, dass das eher hitzig wird und ich mich auf der Bühne nicht beirren lassen wollte.
Es dauerte zwei Minuten bis die ersten Buhrufe zu hören waren, zweieinhalb Minuten bis jemand „runter von der Bühne!“ brüllte. Hast du dich auf so etwas eingestellt?
Ja, aber es war heftiger als gedacht. Beispielsweise wurde ich als „Scheiß Grüner“ beschimpft. Eine Beleidigung, die überhaupt keine Fundierung hat, weil ich keiner Partei angehöre. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich erreichen möchte. Ich möchte eine Aussprache zwischen Menschen unterschiedlicher Meinungen vorantreiben. Dann solche Beleidigungen zu hören, die unter die Gürtellinie gehen, war etwas erschreckend.
Der Moderator hat mich dann irgendwann wegen meinem Vornamen beleidigt. Auf persönlicher Ebene stört mich das nicht, das ist mir egal, aber es war für mich erschreckend zu sehen, wie jemand so offensichtlich in einer Diskussion aufgibt. Wenn ich schon gegen den Namen von jemanden schießen muss, heißt das schlichtweg: Ich habe keine Argumente. Das hat dann auch nichts mehr mit einer Diskussion zu tun. Als mich der Moderator noch „arme Sau“ nannte, da war mir klar, dass er sich damit, dass er keine Argumente hat, auch gar nicht verstecken will. Somit hat sich diese Bewegung auch ein Stück weit selbst enttarnt: als nicht-diskussionsbereit und festgefahren. Wenn sie auf solche Beleidigungen zurückgreifen müssen, ist dies ein echtes Zeichen von Schwäche…
Mit Kant und Luther gegen Querdenker
Du würdest deine Rede also als Erfolg verbuchen?
Ja, absolut. Ich konnte das sagen, was ich sagen wollte. Das war mir das Wichtigste. Dass ich meine Gedanken ausspreche, zu diesen Menschen rede und trotz Gegenwind auf der Bühne bleibe. Ich weiß nicht, ob ich damit jemanden zum Umdenken bewegt habe, aber ich kann mir vorstellen, dass vielleicht der ein oder andere danach darüber nachgedacht hat, ob er auf der richtigen Seite steht und ob er sich dieser Bewegung wirklich anschließen will – und wenn es nur ein einziger war, dann war es schon ein Erfolg.
Ein Teil des Publikums, zu dem du gesprochen hattest, glaubt an Verschwörungsmythen, daran, dass Bill Gates uns Chips implantieren möchte und dergleichen. Ist dies das Publikum, das man mit Zitaten von Martin Luther und Immanuel Kant, mit einer Rede über den Wert von Vernunft, Aufklärung und Demokratie erreichen kann?
Wenn ich argumentiere, dann muss ich das richtig machen. Ich kann das nicht für jemanden runterbrechen, weil Demokratie kann man nunmal nicht einfach so runterbrechen. Das ist ein komplexer Prozess – aber durch diese Komplexität wird sie gerade zu dem, was sie ist. Auch wenn man vielleicht meinen könnte, ein Zitat von Kant oder Luther sei für den ein oder anderen zu hoch, finde ich, dass meine Rede sehr verständlich war. Zu sagen, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die des anderen beschnitten wird – das ist ein ganz logischer Satz, den man im Alltag anwenden kann. Ich denke nicht, dass das zu dick aufgetragen war. Für mich war es die Art und die Sprache mich auszudrücken, um meine Gedanken so vorzubringen, wie ich es wollte. Ich bin der Meinung man darf nicht suggerieren, Demokratie sei etwas Einfaches, eine einfache Staatsform. Das wäre falsch.
„Ich möchte gar nicht sagen, dass sie alle so denken“
Du trittst bei der Rede als glühender Verfechter von Meinungsfreiheit und Demokratie auf – und das mit einer argumentativen Kraft, die man bei 18-Jährigen wohl eher selten beobachten kann. Woher kommt das?
Ich war für zwei Jahre Schülersprecher und Bezirksschülersprecher. Dort habe ich demokratische Prozesse kennengelernt. Dort werden verschiedene Punkte beschlossen, es gibt entsprechende Verfahren und Abstimmungen – demokratische Prozesse, mit denen man vertraut wird. Da gehört auch sehr viel Diskussion dazu. In diesen Diskussionen habe ich gelernt, wie wichtig es ist, miteinander zu diskutieren – und vielleicht zu merken, dass auch mein Gegenüber mal einen guten Punkt hat. Das ist etwas, das meiner Meinung nach in der heutigen Gesprächs- und Debattenkultur vernachlässigt wird.
Heutzutage wird nur noch auf dem eigenen Standpunkt beharrt – aber das ist nicht der Sinn von Demokratie. Der Sinn ist, dass es verschiedene Meinungen gibt und man daraus einen goldenen Mittelweg findet – oder zumindest versucht, einen solchen zu finden. Aber wenn dieser Meinungsaustausch nicht erhalten bleibt, dann wird’s schwierig. Meine Rede auf der Demo war ein anschauliches Beispiel: Ich stehe auf der Bühne, halte meine Rede, aber mir wird nicht zugehört. Obwohl ich meinen Vorrednern auch zugehört habe.
Deine Rede hast du vor einer Menschenmenge gehalten, die das genaue Gegenteil von dir vertreten: Sie lehnen die etablierte Wissenschaft ab, hängen Verschwörungstheorien nach, von Meinungsfreiheit halten sie offenbar wenig. Kannst du dir erklären, wie so etwas zustande kommt, diese Ablehnung der Grundwerte unserer Gesellschaft?
Ich möchte gar nicht sagen, dass sie alle so denken. Die Gruppe, die auf einer Querdenker-Demo steht, ist sehr heterogen. Die kann man gar nicht so verallgemeinern – und das soll man auch nicht. Man kann nicht sagen, dass alle Verschwörungstheoretiker sind oder alle mir gegenüber abweisend waren. Aber es ist die Tendenz da, dass diese Querdenker-Bewegung von Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen unterwandert wird.
„Echokammern tragen zur Radikalisierung bei“
Insgesamt kann ich mir das schon erklären. Ich denke, dass die Sozialen Medien eine sehr große Rolle spielen. Die Menschen vernetzen sich viel einfacher als das früher der Fall war. Man kennt diese berühmt-berüchtigten Telegram-Gruppen mit Wortführern wie Attila Hildmann. In solchen Gruppen bildet sich eine Art Parallelwelt – und die darin kursierenden „alternativen Fakten“ geben innerhalb dieser Gruppen dann auch ein stimmiges Bild. Das ist das Gefährliche. Die Mitglieder dieser Gruppen bestätigen sich einfach nur beständig selbst. Es bilden sich Echokammern, in denen man nur seine eigene Meinung hört. So etwas trägt zur Radikalisierung bei.
Was ist nach deiner Rede passiert?
Ich bin von der Bühne und dem Demogelände runter. Dort haben meine Freunde auf mich gewartet. Dann kamen auch direkt zwei Demonstrantinnen auf mich zu und wollten mit mir diskutieren. Die waren sehr freundlich, nicht irgendwie sauer auf mich oder gar gewaltbereit, sie wollten mit mir über den Global Reset diskutieren. Dieser These nach haben die Mächtigen der Welt diese Pandemie geplant und wollen sie nun zu ihren Gunsten ausnutzen. Ich habe mit einer der beiden dann lange diskutiert, aber hier war einfach keine Diskussionsbasis da.
Wenn Leute in ihrer Meinung so festgefahren sind, ist es wirklich schwierig, sich auszutauschen. Die Demonstrantin hat mir dann Dokumente mitgegeben, mit ihren Fakten für den Global Reset. Ich habe das angenommen und werde mir das auch noch ansehen, denn ich finde es wichtig, dass man das auch respektiert. Das hat etwas mit Höflichkeit zu tun. Sonst bin ich im Endeffekt nicht besser als die. Wenn ich schon einen Meinungsaustausch will, dann muss ich es auch versuchen.
Vielen Dank, dass du dir für unsere Fragen Zeit genommen hast.
Interview: Johannes Greß
Joachim Hellmer, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Kiel und Direktor des
Kriminologischen Instituts dieser Universität meint zum Thema Querulanz: „Querulanz ist weder eine
Geisteskrankheit noch ein die Geschäfts-, Prozeß- oder Zurechnungsfähigkeit berührender Zustand,
sondern die hartnäckige Kritik und furchtloser Widerspruch gegen irgendwelche Zu- oder Mißstände,
meistens besonders intelligenter und sensibler Menschen, gewiß oft überzogen und eskalierend bis
zum Exzeß. „Querulant“ war z.B. Michael Kohlhaas, „Querulanten“ waren aber auch Martin Luther,
Voltaire, Galileo Galilei und Giordano Bruno, Fritz Reuter, Heinrich Mann. „Querulanten“ sind Martin
Niemöller, Sacharow und Solchenizyn. Wenn es keine Querulanten gäbe, wäre die Welt ärmer. Das
weiß auch unser Staat, der Querulantentum allgemein gewähren läßt, vor allem aber die vielen
kleinen, Behörden und Justiz arg belästigenden Querulanten. Nur wenn gegen den Staat selber
geklagt wird, wenn seine eigenen Entscheidungen, seine eigene Praxis überprüft werden sollen,
dann ist seine Liberalität, sein Rechtsstaatsverständnis zu Ende, dann entpuppt er sich plötzlich als
legitimer Nachfolger jenes preußischen Staates, in dem Querulantentum unter Strafe stand
(Preußische Gerichtsordnung von 1795). Der Begriff „Querulanz“ sollte aus dem Vokabular der
Sachverständigen ein für alle Male gestrichen werden. Wo dieser Begriff in einem Gutachten
vorkommt, sollte man gleich wissen, daß gegen den Beurteilten nichts Fundiertes vorzubringen ist,
daß kein wirklich krankhafter Befund vorliegt, geschweige denn eine Geisteskrankheit, sondern eine
gesunde , aber unbequeme Person zum Schweigen gebracht, statt Freiheits- oder Geldstrafe eine
„Äußerungsstrafe“ verhängt werden soll. „