Passau. „Ich bin 19 und habe noch nie in meinem Leben viele Millionen versenkt“ – mit jener unzweideutigen Anspielung auf den amtierenden Bundesverkehrsminister eröffnete Johanna Seitz vor Kurzem den Bundestagswahlkampf. Die Lehramtsstudentin geht auf Platz drei der Landesliste für die ÖDP ins Rennen – und tritt somit als Direktkandidatin gegen Andreas Scheuer (CSU) im Wahlkreis Passau an. Nervös sei sie deswegen nicht, wie sie im Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n verrät. Im Gegenteil: „Ich freue mich auf diese Erfahrung – und habe nichts zu verlieren.“
„Bei den Fridays-for-Future-Demos war ich von Anfang an mit dabei“, erzählt Johanna Seitz beim Hog’n-Interview auf einer Parkbank an der Innpromenade. Nachdem sie ins Passauer FFF-Orga-Team aufgenommen wurde, fand die junge Frau, die 2019 ihr Abitur am Gymnasium Niedernburg machte, nach und nach Geschmack am politischen Leben. Doch die Schüler-Kundgebungen waren ihr nicht genug: „Man kann etwas fordern und mit Politikern ins Gespräch kommen, ja – aber man kann selber nicht mitgestalten, sondern nur darauf hoffen, dass die eigenen Wünschen Anklang finden“, sagt die 19-Jährige.
„100 Prozent gehen nicht“
Erst ein Treffen am Rande einer Demo mit ÖDP-Urgestein Urban Mangold und dessen Nachfrage, ob sie im Rahmen der Kommunalwahl auf der ÖDP-Liste kandidieren wolle, brachte sie dem Politgeschäft einen gewichtigen Schritt näher. Sie stimmte zu, gestaltete den Wahlkampf in der Dreiflüssestadt mit und verpasste am Ende den Einzug in das Ratsgremium nur knapp. Im November vergangenen Jahres wurde sie zur stellv. Vorsitzenden im Kreis Passau-Stadt gewählt.
Seitdem liegen ihr insbesondere die Themen Umweltschutz, Klimaschutz und Sozialpolitik am Herzen. Gerade Greta Thunberg, die Begründerin der Fridays-for-Future-Bewegung, habe die Lehramtsstudentin (für Grundschule, 4. Semester, Uni Passau) nachhaltig geprägt und inspiriert: „Sie setzt sich für etwas ein, das ihr wichtig ist – und zieht ihr Ding durch. Sie ist authentisch und bodenständig.“
Anfeindungen gegen die junge Schwedin, wie sie regelmäßig passieren, findet sie unangebracht und überzogen. „Es geht nicht darum, dass jeder Mensch absolut perfekt ist und sich keiner mehr umweltschädlich verhält. 100 Prozent gehen nicht – das kann auch keine Greta Thunberg“, sagt Johanna Seitz. Jeder verursache mit seinem Konsumverhalten nunmal CO2. Es gehe deshalb darum, dass jeder für sich schaut, was man besser machen und woran man arbeiten könne – „und dass man damit aufhört, sich ständig gegenseitig persönlich Vorwürfe zu machen“.
Für sie steht fest: Jemand, der auf dem Land wohnt und beruflich in die Stadt pendeln müsse, sei auf ein Auto angewiesen – dafür könne er etwa seine Eier vom Bauernhof nebenan beziehen. „Und derjenige, der in der Stadt lebt, kann stattdessen mit dem Rad zur Arbeit fahren – für den Erwerb von frischen, regionalen Lebensmitteln aus dem Umland benötigt dann er hingegen das Auto.“ Es gehe generell darum, mehr bequeme, umweltfreundliche Alternativen zu schaffen – wo dies eben möglich sei.
Rede-Duell mit Andreas Scheuer vorstellbar
Ein politisches Rede-Duell mit Andreas Scheuer könne sie sich durchaus vorstellen, sagt sie. „Das würde ich mir zutrauen, denn: Nur so wächst man. Wenn man Dinge tut, die einen aus der Komfort-Zone zwingen.“ Ob und wie der Bundesverkehrsminister die junge ÖDP-Politikerin bereits wahrgenommen hat, wisse sie nicht. Gesprochen habe sie bis dato noch nicht mit ihm. Doch: „Nur weil man politisch nicht einer Meinung ist, heißt das noch lange nicht, dass man kein Gespräch führen kann.“ Ihr sei prinzipiell wichtig, dass man mit jedem respektvoll und höflich umgeht – „das würd ich mit Andi Scheuer freilich auch so machen“.
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Frau Seitz: Mit gerade einmal 19 Jahren kandidieren Sie als Direktkandidaten gegen den amtierenden Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer – das ist schon mutig, oder?
Das ist eine große Verantwortung, klar. Aber nur so kann man sich weiterentwickeln – wenn man sich Dinge zutraut, die man zuvor noch nicht gemacht hat. Viel passieren kann mir ja nicht – ich habe nichts zu verlieren, kann nur an Erfahrung gewinnen. Deshalb würd ich’s jetzt nicht unbedingt als mutig bezeichnen.
„Es ist die Wahrheit – aber auch provokant…“
Welche Chancen rechnen Sie sich realistischerweise aus?
Keine großen. Die ÖDP liegt bundesweit bei knapp einem Prozent. Aber am Ende entscheidet der Wähler. Viele denken, dass eine Stimme für die ÖDP eine verlorene Stimme sei, da sie ja nicht auf Bundesebene vertreten ist. Doch genau dafür sind die Direktmandate gut, die mit der Erststimme gewählt werden.
„Ich bin 19 und habe noch nie in meinem Leben viele Millionen versenkt“ – das klingt schon sehr plakativ, sehr provokant, oder?
Genauso war’s auch gemeint. Ich selbst kann natürlich noch mehr als keine Millionen versenken. Aber es gibt ebenen Kandidaten, die das schon gemacht haben – daher ist es ein gutes Argument dafür, nicht mehr diese Person zu wählen, sondern jemand anders – zum Beispiel mich.
War das Zitat Ihre eigene Idee oder die Idee Ihres Wahlkampf-Teams?
Für die Direktkandidatur musste man sich ja bewerben. Zu den Auswahlkriterien gehörte neben der Tatsache, dass man bis dato noch keine Millionen versenkt hat, die Eigenschaft, dass man Scheuers Bekenntnis, ein Tempolimit sei gegen jeden Menschenverstand, nicht teilt. Zudem sollte der künftige Bundestagskandidat vorab garantieren können, dass man parlamentarische Untersuchungsausschüsse nicht bei der Arbeit behindern wird.
Finden Sie die Aussage mit den Millionen nicht etwas zu populistisch?
Nein, es ist die Wahrheit – aber auch provokant…
Wieso dieser eindeutige Anti-Scheuer-Kurs? Warum richtet man den ÖDP-Wahlkampf so massiv nach seinen Unzulänglichkeiten aus? Weil es gerade so einfach ist, auf den Bundesverkehrsminister verbal einzuschlagen?
Wir sind eine Oppositionspartei – somit ist es unsere Aufgabe, auf die Fehler von amtierenden Politikern hinzuweisen. Und wenn jemand so viel falsch gemacht hat wie der Andi Scheuer, ist es unser gutes Recht zu sagen: So geht’s nicht weiter! Aber wir haben freilich auch eigene Themen, die mir wichtig sind.
„All das könnte unterschiedlicher nicht sein“
Die da wären?
Es gibt drei Punkte. Zum einen das Erziehungsgehalt, das die ÖDP einführen möchte. Das heißt: Eltern sollen für die Kindererziehung Geld vom Staat bekommen, um damit den Kita-Platz zu finanzieren oder das Kind zuhause zu betreuen. Es ist eine Art Wertschätzung von staatlicher Seite gegenüber der Arbeit der Eltern. Des Weiteren ist mir wichtig, dass die ÖDP keine Parteispenden annimmt und gegen Lobbyismus und Korruption ankämpft, womit die Union ja immer wieder mal Probleme hat. Außerdem liegt mir die Verkehrspolitik am Herzen…
…womit wir wieder bei Andi Scheuer wären…
…(lacht) Richtig. Tatsache ist: Man hätte den ÖPNV in den vergangenen Jahren mehr ausbauen müssen. Das Verhältnis zwischen Autobahnausbau und Schienenausbau ist nicht gerade ausgeglichen. Zugfahren ist immer noch sehr teuer, Carsharing ist noch nicht wirksam umgesetzt. Das sind nur einige Punkte von vielen, bei denen man aktiv werden muss, sonst läuft uns die Zeit davon.
Sie verkörpern „den größtmöglichen Unterschied zum Bundesverkehrsminister“, sagen die ÖDP-Kreisvorsitzenden Agnes Becker und Urban Mangold. Welche Unterschiede gibt es da konkret?
Bis auf die Tatsache, dass wir beide aus Passau kommen, gibt es wohl keinerlei Gemeinsamkeiten. Alter, Optik, Werdegang etc. – all das könnte unterschiedlicher nicht sein. Er ist seit vielen Jahren in der Politik amtierend, ich bin seit zwei Jahren ÖDP-Mitglied. Thematisch-inhaltlich gehen wir auch völlig verschiedene Wege…
„Bisher keine Berührungspunkte mit Sebastian Frankenberger“
Warum die ÖDP? Warum nicht die Grünen?
(lacht) Das Fragen mich viele. Die beiden Parteien haben freilich viele Schnittpunkte, insbesondere in Sachen Klimapolitik. Aber gewisse Punkte bei der Sozialpolitik unterscheiden sich dann doch, wie etwa das bereits angesprochene Erziehungsgehalt. Das ist für mich schlüssiger als nur die Forderung nach kostenlosen Kita-Plätzen wie bei den Grünen. Die klare Ablehnung von Parteispenden ist ein weiterer Pluspunkt, weil nur so unabhängige Politik umgesetzt werden kann.
Gibt es eigentlich Parallelen zwischen der Politik und Ihrem künftigen Beruf als Lehrerin?
Ja: In beiden Bereichen muss man wahnsinnig gerne reden (lacht). Das gehört zum täglich Brot. Zudem sollte man gut mit Menschen umgehen können. Als Lehrer sollte man empathisch sein mit den Schülern, Kollegen und Eltern – genauso in der Politik: Hier gilt es einen guten Zugang zu den Bürgerinnen und Bürgern zu haben, auch zu den Parteikollegen und anderen Politikern, mit denen man auch mal nicht d’accord ist.
Möchten Sie auch einmal den ÖDP-Bundesvorsitz übernehmen, so wie einst Sebastian Frankenberger?
Momentan ist das nicht mein Ziel. Ich will mich auf mein Studium konzentrieren. Zudem haben wir mit Christian Rechholz einen guten Bundesvorsitzenden.
Fehlt der ÖDP eine schillernde Figur wie Frankenberger?
Ehrlich gesagt, hatte ich mit ihm keine Berührungspunkte, weil ich zu seiner Zeit noch sehr jung war (lacht). Unabhängig davon: Auf kommunaler Ebene sind wir gerade sehr gut vertreten. Und ich denke, dass wir auch auf überregionale Ebene wahrgenommen werden, etwa durch das Volksbegehren Artenvielfalt, das Agnes Becker mitinitiiert und federführend begleitet hatte.
„Eine Politik, die umsetzt, was sie verspricht“
Abschließend: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsch mir, dass ich weiterhin politisch aktiv bleibe und nicht die Lust an der Politik verliere. Ansonsten wünsche ich mir eine konsequente Politik, die all das umsetzt, was sie verspricht. Dass wir jetzt endlich aktiver werden, was Klima- und Umweltschutz betrifft. Dass die Politik transparenter wird, wir ein Lobbyregister bekommen und Parteispenden weiter offengelegt werden.
Vielen Dank fürs Gespräch und alles Gute für Sie.
Interview: Stephan Hörhammer