Straßburg/Brüssel/Niederbayern. Rund 24 Millionen Euro flossen unlängst aus Brüssel nach Niederbayern. Rund 1,2 Millionen davon zum Beispiel an die Realschule nach Simbach am Inn. Dank den Geldern des Europäischen Solidaritätsfonds (EUSF) wird aktuell am Wiederaufbau der Turnhalle gearbeitet, die im Zuge der Hochwasserkatastrophe 2016 den Wassermassen zum Opfer fiel. „Hier in Niederbayern sehen wir“, erklärte Europaminister Florian Herrmann (CSU), „wie wichtig die Europäische Union ist“. Doch wie wichtig ist – umgekehrt – den Niederbayern eigentlich Europa?
Etwa 512 Millionen Menschen leben derzeit im europäischen Staatenverbund. Damit auch keine Region zu kurz kommt, entsendet jedes Fleckchen Europas ihre Vertreter ins Straßburger EU-Parlament. In Niederbayern kämpfen Agnes Becker aus Wegscheid (ÖDP), Alexander Hannes aus Zwiesel (CSU), Eric Tylkowski aus Passau (SPD) und Muhanad Al-Halak (FDP) aus Grafenau um den Einzug ins Europaparlament. Wir haben sie gefragt, was ihnen an Europa liegt, wo es in der EU noch Nachholbedarf gibt und wie ihrer Meinung nach Niederbayern von der EU profitiert. Der Hog’n-EU-Kandiatencheck.
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Alexander Hannes, CSU, Listenplatz 28
Die Europäische Union steht immer wieder – von verschiedensten Seiten – massiv in der Kritik. Was ist Ihrer Meinung nach das stärkste Argument für die Europäische Union?
Der jahrzehntelange Frieden und die große Stabilität sind für mich der großartige Erfolg der europäischen Gemeinschaft. Diese Errungenschaften sind nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis eines demokratischen Zusammenschlusses. Der Brexit zeigt uns, welche Nachteile wir ohne die EU hätten. Wir sind nicht nur wirtschaftlich und politisch mit 27 Nationen verbunden – Europa ist unsere Identität.
Vom Hochwasserschutz bis zur Wirtschaftsförderung
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, von heute auf morgen eine einzige Sache an der EU zu ändern – welche wäre das?
Unsere gewählten Volksvertreter im europäischen Parlament brauchen ein eigenes Vorschlagsrecht für Gesetze. Bislang hat dies nur die Kommission. Damit würde die unmittelbare Demokratie in der EU gestärkt und Europa bürgernäher.
Werden niederbayerische Interessen Ihrer Meinung nach auf europäischer Ebene ausreichend berücksichtigt?
Unser niederbayerischer Europaabgeordneter und Kandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, Manfred Weber, hat sich stets für die niederbayerischen Bürger eingesetzt. Von der Unterstützung beim Hochwasserschutz bis zur betrieblichen Förderung hat Niederbayern beispielsweise 42 Millionen Euro Wirtschaftsförderung und fast 20 Millionen Euro für bayerisch-böhmische Kooperationen von der EU erhalten. Allein der Landkreis Regen hat mit fast fünf Millionen Euro für ländliche Entwicklung profitiert. Als CSU wollen wir noch weiter gehen und den Kommunen eine stärkere und verbindlichere Stimme auf europäischer Ebene im Ausschuss der Regionen geben.
Friede, offene Grenzen und der Binnenmarkt
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich EU-politisch zu engagieren bzw. für den Einzug ins Europäische Parlament zu kandidieren?
Gäbe es die EU nicht, der Kontinent wäre heute ein anderer. Mein Großvater, der noch den Zweiten Weltkrieg als junger Bursche miterleben musste, hat immer gesagt: Heute geht es uns besser. Die EU hat uns viele positive Rahmenbedingungen gebracht: Frieden, offene Grenzen und der Binnenmarkt sind heute Grundlage unseres guten Zusammenlebens. Für den Bayerischen Wald als Grenzregion besonders wichtig – davon bin ich überzeugt. Erfolgsgeschichten, wie das Studentenprogramm ERASMUS oder die Abschaffung von Roaming-Gebühren sind bürgernahe Errungenschaften. Einzelne Normen kann und darf man freilich diskutieren. Es gilt für den europäischen Gedanken zu werben.
In einer idealen Welt: Wie steht’s um die EU in zehn Jahren?
Die EU ist unsere Zukunft, die wir beständig weiterentwickeln müssen. Ich möchte eine EU, die bürgernah ist, schützt, zusammenhält und schneller auf die großen Herausforderungen des Kontinents reagiert. Die EU von Morgen spricht in der Außenpolitik mit einer starken Stimme, um mit den USA, Russland und China weiterhin auf Augenhöhe zu verhandeln. Sie garantiert konsequent die Einhaltung von Stabilität und Rechtsstaatlichkeit, entwickelt ein Mittel gegen Krebs und Alzheimer und sorgt für noch fairere und gerechtere Lebens- und Arbeitsbedingungen für über 500 Millionen Menschen. Dafür wollen wir am 26. Mai die Weichen stellen.
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Anges Becker, ÖDP, Listenplatz 11
Die Europäische Union steht immer wieder massiv in der Kritik. Was ist Ihrer Meinung nach das stärkste Argument für die Europäische Union?
Die EU ist bei aller Reformbedürftigkeit – vor allem in Sachen Demokratie – ein Garant für Frieden. Das klingt vielleicht wenig spektakulär, ist aber meine tiefe Überzeugung!
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, von heute auf morgen eine einzige Sache an der EU zu ändern – welche wäre das?
Ich würde den rund 25.000 Lobbyisten in Brüssel den Stuhl vor die Türe stellen und Spenden von Konzernen an Parteien verbieten. Sorry, sind zwei Sachen – aber die Beeinflussung von politischen Entscheidungen durch Lobby-Vertreter ist Gift für das Vertrauen in die Demokratie.
„Mein Herz schlägt für die bäuerliche Landwirtschaft!“
Werden niederbayerische Interessen Ihrer Meinung nach auf europäischer Ebene ausreichend berücksichtigt?
Wenn Sie mit niederbayerischen Interessen Dinge meinen wie das Artensterben, das Verschwinden der gewachsenen Kulturlandschaft unter Asphalt und Beton sowie das Höfesterben – dann ein ganz klares Nein. Deshalb kandidiere ich.
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich EU-politisch zu engagieren bzw. für den Einzug ins Europäische Parlament zu kandidieren?
Mein Herz schlägt für die bäuerliche Landwirtschaft! Mit jedem Hof, der aufhört, stirbt eine kleine Welt. Das Höfesterben findet seit Jahrzehnten übrigens parallel mit dem Verlust an Artenvielfalt statt. Bauern und Bienen leiden gleichermaßen unter einer völlig verfehlten Agrarförderpolitik, die den Strukturwandel in der Landwirtschaft nicht abmildert, sondern sogar befördert. Ich will in Europa endlich eine Förderpolitik erreichen, die die Bauern rechtssicher und fair für Gemeinwohlleistungen – Schutz des Trinkwassers, Klimaschutz, Erhalt der Artenvielfalt etc. – entlohnt.
In einer idealen Welt: Wie steht’s um die EU in zehn Jahren?
Mein Traum, für den ich kämpfe: Die EU ist ein wirksames Gegengewicht zu global agierenden Großkonzernen und sorgt dafür, dass diese Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards einhalten sowie darüber hinaus gerechte Steuern zahlen. Die EU ist zu einer Wertegemeinschaft geworden, für die Menschenrechte, faire Handelsbedingungen, Meinungsfreiheit, Demokratie und Gerechtigkeit unverhandelbar sind – und die bereit ist, für diese Werte einzutreten. Ich glaube, das wäre eine europäische Gemeinschaft, in der wir alle gerne leben.
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Eric Tylkowski, SPD, Listenplatz 54
Die Europäische Union steht immer wieder massiv in der Kritik. Was ist Ihrer Meinung nach das stärkste Argument für die Europäische Union?
74 Jahre ohne Krieg zwischen den zentraleuropäischen Staaten. Mein Großvater war Jahrgang 1911 – was er durchlebt hat, sollte uns allen Mahnung genug sein.
Niederbayern als großer Profiteur der Europäischen Union
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, von heute auf morgen eine einzige Sache an der EU zu ändern – welche wäre das?
Wer ein starkes Europa will, braucht eine starke Demokratie! Das europäische Parlament ist durch Wahlen direkt legitimiert. Ich möchte es stärken und zur zentralen Entscheidungsinstanz der EU machen. Dafür braucht es – anders als bisher – ein eigenes Initiativrecht in der europäischen Gesetzgebung.
Werden niederbayerische Interessen Ihrer Meinung nach auf europäischer Ebene ausreichend berücksichtigt?
Niederbayern ist einer der großen Profiteure der Europäischen Union. Dies lässt sich beispielsweise bei den unzähligen LEADER-geförderten Projekten, die ohne die Förderung aus den Töpfen der EU nicht umsetzbar wären, eindrucksvoll belegen. Hier gilt es nun daran zu arbeiten, dass auch bei der Vergabe der nächsten Projektrunde Niederbayern weiter profitiert.
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich EU-politisch zu engagieren bzw. für den Einzug ins Europäische Parlament zu kandidieren?
Als überzeugter Europäer sehe ich den fahrlässigen Umgang mit diesem existentiellen Projekt, wie ihn Konservative vorbereitet haben und Rechtspopulisten ihn auf die Spitze treiben, als Gefahr für den Frieden, den wir als selbstverständlich ansehen. Dem sollten wir uns entgegenstellen und die Menschen mit guten Programmen – wie dem der SPD – aber auch mit persönlichem Einsatz überzeugen.
In einer idealen Welt: Wie steht’s um die EU in zehn Jahren?
In einer idealen Welt haben wir die temporär abgestufte Integration überwunden und bewegen uns auf die Vereinigten Staaten von Europa zu. Das Minimalziel sollte sein, den Wandel von einer Wirtschafts- zu einer Sozialunion abgeschlossen zu erleben.
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Die Europäische Union steht immer wieder massiv in der Kritik. Was ist Ihrer Meinung nach das stärkste Argument für die Europäische Union?
Nie wieder Krieg. Die EU ist das beste Beispiel für ehemalige Gegner, die jetzt zusammenarbeiten, um Probleme durch Diskussionen und Kompromisse zu schlichten.
Von der EU zu den „Vereinigten Staaten von Europa“?
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, von heute auf morgen eine einzige Sache an der EU zu ändern – welche wäre das?
Für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eintreten und eine parlamentarisch kontrollierte europäische Armee fordern.
Werden niederbayerische Interessen Ihrer Meinung nach auf europäischer Ebene ausreichend berücksichtigt?
Eher nicht – aber das Ergebnis der Europawahl gilt als wichtiger Faktor, wie stark Niederbayern vertreten sein wird und welche Rolle Niederbayern in Zukunft spielt.
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich EU-politisch zu engagieren bzw. für den Einzug ins Europäische Parlament zu kandidieren?
Der wohl größte Verdienst der Europäischen Union ist die Vermeidung von zwischenstaatlichen Konflikten auf dem Kontinent – und dies soll so bleiben.
In einer idealen Welt: Wie steht’s um die EU in zehn Jahren?
Europa wird enger zusammenrücken und ein eigener Staat, die Vereinigten Staaten von Europa, sein.
Umfrage: Johannes Greß