Perlesreut. Der deutschlandweite Aufschwung der Grünen ist nun auch auf kommunaler Ebene angekommen – im Landkreis Freyung-Grafenau in Form des ersten Ortsverbandes. Auf Initiative von Hans-Jürgen „HaJü“ Hödl wurde Anfang September in Perlesreut die erste Grünen-Ortsgruppe gegründet – und der 37-Jährige (neben Inge Ilg) zum Vorsitzenden gewählt. Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n spricht der Geschäftsführer des Freyunger Cineplex-Kinos über die Beweggründe seines Einstiegs in die Politik, die Entwicklung der Grünen im Allgemeinen und über den Status der Ökopartei im Bayerischen Wald.
Herr Hödl: Woher rührt Ihr politisches Interesse?
Für die Grünen und deren Ideen interessiere ich mich bereits seit Längerem. Den Entschluss, selbst politisch aktiv zu werden, habe ich im Nachklang der vergangenen Bundestagswahlen gefasst. Ich wollte einen bewussten Kontrapunkt zum Rechtsruck setzen.
Warum haben Sie sich für die Grünen entschieden?
(überlegt) … schwierig zu beantworten. Mein Elternhaus hat darauf keinen Einfluss. Meine Mama, eine Altenpflegerin, und mein Papa waren eher der SPD zugeneigt – zum damaligen Zeitpunkt noch die logische Partei für die Arbeiterschaft (schmunzelt). Meine Vorliebe für die Grünen liegt wohl eher darin begründet, dass ich generell ein weltoffener Mensch bin und diese Partei all das ausstrahlt, was ich als wichtig empfinde. Jeder Mensch sollte so leben, wie er leben möchte – unabhängig von der Nationalität, Sexualität oder irgendwelchen anderen Voraussetzungen. Darüber hinaus bin ich ein Verfechter des Tier- und Umweltschutzes. Es passt also alles (lacht).
In diesem Zusammenhang käme aber beispielsweise auch die ÖDP in Frage, oder?
Natürlich. Aber die ÖDP ist mir zu konservativ, eher der CSU zugewandt.
Der Schockmoment Bundestagswahl 2017 und seine Folgen
Vom ersten politischen Interesse bis zur Gründung eines Ortsverbandes war es ein weiter Weg, nicht?
Ja, das stimmt. Nach dem Schockmoment bei der Bundestagswahl 2017 habe ich mich immer mehr mit politischen Themen auseinandergesetzt. Dazu zählte unter anderem, dass ich mir regelmäßig TV-Debatten im Bundestag angeschaut habe. Auch Diskussionsrunden und anderweitige politische Berichterstattungen haben mich immer mehr interessiert. Gleichzeitig habe ich festgestellt, dass man in der Politik nicht nur immer dahinmotzen darf, sondern selber anpacken muss.
Nachdem ich erfahren habe, dass es eigentlich relativ leicht ist, in die Politik zu gehen, habe ich einfach mal losgelegt. In der Theorie kann ja beispielsweise auch mein Nachbar bei der nächsten Wahl Bürgermeister werden. Den Stein ins Rollen brachte schließlich meine Vorstellung von einer ausgewogenen, insbesondere das Alter betreffenden Volksvertretung in der Politik. Dort sind ja überwiegend – mit Verlaub – alte Herren aktiv. Ich bin jedoch der Meinung, dass junge Leute in die Politik gehören. Es werden immerhin Entscheidungen getroffen, die deren Zukunft bestimmen. Und da ich mich selbst noch als jungen Menschen sehe, wollte ich auch vor diesem Hintergrund anpacken.
Ein langer Prozess also, der am 5. September 2019 seinen zwischenzeitlichen Höhepunkt fand.
Richtig. Aus diesem Grund wurde an diesem Tag der Grünen-Ortsverband Perlesreut gegründet. Ich komme ja ursprünglich aus Passau, bin jedoch vor Kurzem mit meinem Freund nach Perlesreut gezogen. Logischerweise habe ich dann den Kreisverband gewechselt. Dabei ist mir aufgefallen, dass es in Freyung-Grafenau bis dato keine Ortsgruppe der Grünen gibt. Und nachdem ich in meiner neuen Heimat relativ schnell Gleichgesinnte getroffen hatte, stand der Entschluss schnell fest, selbst aktiv zu werden. Von der ersten Idee bis zur Umsetzung hat es dann doch etwas länger gedauert, da viele Formalien und Regularien beachtet werden mussten.
Die Gruppe ist also organisch gewachsen.
So kann man es sagen. Und das gefällt mir ganz besonders gut. Es wäre doch schwachsinnig, wenn wir irgendjemanden dazu überreden, bei uns mitzumachen. Politik soll Spaß machen – und wenn man sich privat gut miteinander versteht, nimmt man die doch recht vielen Aufgaben gar nicht als Arbeit wahr.
Die Aufstellung einer entsprechenden Liste für die Kommunalwahl 2020 wird demnach kein Problem darstellen?
Überhaupt nicht. Wir brauchen im Idealfall 14 Leute für eine Liste. Es ist aber auch möglich, mit weniger anzutreten.
„Wir haben nach wie vor mit vielen Klischees zu kämpfen“
Glauben Sie, dass die Grünen im doch eher konservativ geprägten Bayerischen Wald bzw. in Perlesreut Gehör finden?
Bisher hatte es ja im Landkreis Freyung-Grafenau nur wenige Grüne gegeben – und die waren politisch eher ruhig unterwegs. Die guten Wahlergebnisse sowie der bundesweite Zuwachs an Sympathien, Wählern und Mitgliedern haben dazu geführt, dass sich das Bild der Partei etwas verändert hat. Hinzu kommt, dass die Themen der Grünen nun auch an der Basis angekommen sind. Das Waldsterben als Folge des Klimawandels führt etwa dazu, dass wir besser wahrgenommen werden, da wir uns ja schon lange auf unsere Fahnen geschrieben haben dagegen anzukämpfen. Das alles hat dazu geführt, dass wir besser gehört werden.
Das heißt aber nicht, dass wir mit dem Status quo zufrieden sind. Wir haben nach wie vor mit vielen Klischees zu kämpfen. Wir müssen beispielsweise immer wieder erklären, dass wir eben gerade nicht wollen, dass alle Autos mit Verbrennungsmotor verboten werden sollten. Das ist ein Mythos, der alle Waidler in deren ländlichem Wohnraum selbstverständlich schockieren muss. Die Themen der Grünen sind etwas komplexer – und müssen deshalb etwas ausführlicher erklärt werden. Das alles nimmt Zeit in Anspruch. Wir sind auf einem guten Weg, jedoch noch nicht am Ziel.
Oftmals wirkt Politik als etwas Kompliziertes, recht Theoretisches. Viele Themen sind, wie Sie soeben angesprochen haben, komplex. Erklären Sie uns deshalb doch bitte, welche konkreten Ziele der Grünen-Ortsverband Perlesreut in nächster Zeit verfolgen möchte?
Ein großes Anliegen sind uns die Busverbindungen im Bereich der Marktgemeinde. Hier gibt es weiterhin Nachhol- bzw. Änderungsbedarf. Uns ist es allgemein wichtig, zunächst einmal mit kleineren Projekten anzufangen. Perlesreut hat etwa Probleme mit herumstreunenden Katzen. Deshalb werden wir hier in Sachen Kastration aufklären – vielleicht in Zusammenarbeit mit dem Landkreis. Ein Thema, das viele betrifft, aber nur wenige wahrnehmen. Darüber hinaus werden wir den Kontakt zu den örtlichen Einzelhändlern aufnehmen und mit diesen darüber sprechen, wo sie etwa Plastik vermeiden können.
Wir müssen jedoch davon wegkommen als große Bevormundungspartei wahrgenommen zu werden. Unser Ziel ist es deshalb, nichts zu verbieten, sondern vielmehr Verbesserungsvorschläge zu machen und Alternativen aufzuzeigen.
Zeitenwende? „Wir stecken praktisch mittendrin“
Themawechsel: Während es in Passau bereits große Demos in Sachen „Fridays for Future“ gegeben hat, ist Freyung-Grafenau in dieser Hinsicht noch jungfräulich. Eine Tatsache, die die Grünen doch ändern sollten, oder?
Das wäre der falsche Ansatzpunkt. FFF ist keine grün-angeleiherte Aktion, sondern wurde von den jungen Menschen selbst initiiert. Das ist deren Erfindung – und das soll es auch bleiben. Es käme doch komisch, wenn wir nun an die Schulen gehen und die Schüler dazu animieren jeden Freitag auf die Straße zu gehen (lacht). Die Grünen sehe ich da eher in der Beraterrolle. Wir müssen erklären, welche Hintergründe die Inhalte haben, die die jungen Leute fordern. Dann haben wir alle was davon.
Zum Beispiel überragende Wahlergebnisse. Die Grünen sind aktuell die zweitstärkste Kraft in Deutschland. Das riecht gehörig nach einer Zeitwende, oder?
Wir stecken praktisch mittendrin. Das wird allein durch die vielen Jugendlichen deutlich, die auf ihr Recht auf Zukunft pochen. Dadurch wird diese Generation besser gehört – und auch die Älteren nehmen wahr, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, denen nicht alles egal ist. Die Oma macht sich inzwischen Sorgen über unseren Wald, immerhin sollen auch die Enkel noch diese Schönheit erfahren dürfen. Insofern hat sich die Einstellung der Gesellschaft sehr wohl geändert.
Negativ behaftete Themen wie Borkenkäfer, Engerlinge im Kleinen und Klimawandel im Großen sind also die große Chance der Grünen?
Es wäre der falsche Ansatzpunkt, irgendwelche negativen Entwicklungen als Aufhänger zu nehmen – das wäre ja fast schon populistisch. Aber natürlich ist es unsere Aufgabe, bei diesen Themen aufzuklären. Wir wollen nicht durch Angstmache wachsen, sondern vielmehr durch gute Aufklärungsarbeit.
Sind die Grünen nicht ohnehin schon längst eine Volkspartei?
Nein (mit Nachdruck). Wir müssen uns generell von diesem Volkspartei-Gedöns verabschieden. Menschen haben ein sehr großes Spektrum an Interessen. Deshalb überschneiden sich in jedem Individuum die Ideen mehrerer Parteien. Eine 100-prozentige Übereinstimmung mit dem Programm einer Partei erreicht wohl keiner mehr – nicht mal ich (lacht). Aus diesem Grund ist die Zeit der Volksparteien vorüber.
Es stimmt schon, dass die CSU in letzter Zeit viele grüne Themen übernommen hat – vor allem seitdem wir zweitstärkste Kraft im Lande sind (schmunzelt). Demnach lässt sich feststellen, dass die Grünen durchaus den Takt in der aktuellen Politik vorgeben – obwohl sie nicht regieren. Mir ist’s egal, wer etwa eine gute ökologische Idee hervorbringt. Mir geht’s um das Ergebnis. Deshalb freut mich die aktuelle Entwicklung sehr.
„Die Bürger haben Lust auf neue Politik“
Könnte es denn sein, dass die momentane Stärke der Grünen in einer Art Protestwahl gegen die ebenfalls erstarkte AfD begründet liegt?
Protest würde ich es nicht nennen. Einen gewissen Prozentsatz interpretiere ich als Widerstand gegen den Rechtsruck. Der Großteil, denke ich, hat die Grünen jedoch aufgrund der thematischen Aktualität gewählt. Hinzu kommt, dass die Bürger Lust auf neue Politik haben. In Deutschland haben wir gefühlt 200 Jahre dieselbe Bundeskanzlerin – und gefühlt 150 Jahre dieselbe GroKo. Die Menschen verspüren einen Stillstand. Aus diesem Grund ist eine Partei wie Bündnis 90/Die Grünen, die sich nicht nur an der Spitze immer wieder grundlegend erneuert, derart gefragt.
Besteht die Gefahr, dass die Grünen nicht auch mal gewöhnlich werden?
Nein – entsprechende Gegenmaßnahmen sind ja in den Grundsätzen der Partei verankert. Die Parität und regelmäßige Neuwahlen der Vorsitzenden sind so beispielsweise unumstößlich.
Zurück auf die Kommunalebene: Welche Grünen-Zugpferde gibt es in der Region?
Heinz Lang ist das Zugpferd der Grünen in Freyung. Vertreter unserer Partei sind in den jeweiligen Städten immer gut bekannt. Das liegt vor allem daran, dass sie besonders ökologisch leben. Sie gelten deshalb oft als elitär, weil dieser Lebensstil als teurer empfunden wird. Doch das ist nicht so. Wobei wir wieder bei Heinz sind. Lernt man ihn und seine Ansichten näher kennen, merkt man sehr schnell, dass er kein Hardliner ist, sondern mit Fingerspitzengefühl die grünen Ideen weitergibt.
Wie beurteilen Sie es, dass er für die CSU im Freyunger Stadtrat sitzt?
Heinz ist Mitglied im FRG-Kreisverband der Grünen. Nachdem es in Freyung keinen grünen Ortsverband gab und auch noch nicht gibt, hatte er beschlossen, für die CSU in den Stadtrat zu gehen, um politisch etwas zu bewegen. Es weiß dennoch jeder, dass der Heinz ein Grüner ist. Er setzt sich maßgeblich für grüne Themen ein.
„… dann werden wir den ersten grünen Bürgermeister erleben“
Wie bewerten Sie die Arbeit des neuen Perlesreuter Bürgermeisters Gerhard Poschinger?
Es wäre völlig gegen meine Ideale, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine Zwischenbilanz zu ziehen. Mein erster Eindruck: Er ist genau das junge, unverbrauchte und sympathische Gesicht, das eine Marktgemeinde wie Perlesreut benötigt. Er ist noch in der Findungsphase, hat aber sehr gute Ansätze.
Wann wird es den ersten grünen Bürgermeister im Landkreis Freyung-Grafenau geben?
(überlegt) … vielleicht in rund sechs Jahren? In Perlesreut steht ja so schnell keine Bürgermeister-Wahl mehr an. Ich hoffe, dass wir das grüne Flämmchen entfacht haben und viele unserem Beispiel folgen werden. Dann werden wir in absehbarer Zeit gewiss auch den ersten grünen Bürgermeister erleben dürfen.
Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer
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Der nächste Stammtisch des Grünen-Ortsverbandes Perlesreut findet am Donnerstag, 17. Oktober, ab 19 Uhr im Wirtshaus Hafner in Perlesreut statt. Weitere Infos sind erhältlich per Mail an hj.hoedl@live.de.