Genau ein Jahr ist es nun her, dass ich einen Hog’n-Artikel über meinen Corona-Geburtstag geschrieben habe. Ein Jahr voller Lockdowns und Lockerungen, neuer Erkenntnisse, damit einhergehender Regelungen und Maßnahmen. Doch eine Sache scheint sich seit Beginn des ersten Lockdowns kaum geändert zu haben: die Lauffrequenz der Menschen. Bayern spaziert, walkt und rennt, was das Zeug hält. Es ist ja auch die beste (und leider auch oft die einzige) Alternative: Den Kaffee, den man sonst im Lieblingscafé getrunken hätte, gibt’s eh nur noch „to-go“; Treffen bei Freunden sind – je nach Bundesland und aktuellen Bestimmungen – verboten.
Die Sportlichen unter uns, denen das Fitnessstudio fehlt, gehen vermehrt Joggen – und ich bin nach wie vor erstaunt darüber, wie viele Motivierte anscheinend auch bei Minusgraden nicht auf ein Läufchen an Inn, Ilz und Donau verzichten können, während meine Glieder bereits beim Morgen-Spaziergang einzufrieren drohen…
Volkssport Spazierengehen
„Ick hab heute den janzen Tach so komische Outdoor-Sachen jemacht“, erzählt Comedian Felix Lohbrecht zu Beginn der neuesten Podcast-Episode von „Gemischtes Hack„. Auf die Frage seines Kollegen, was für Sachen er denn meine, antwortet er nur lapidar: „Naja nichts – ick war einfach nur spazieren.“ Outdoor-Sachen in Berlin halt.
Doch nach mehr als einem Jahr scheint das Phänomen allmählich auch die beherztesten Fußgänger zu langweilen. Gerade in Kleinstädten ist man schnell die verfügbaren Routen abgelaufen – und wenn es regnet, sinkt die Motivation ebenfalls. Es ist eben nicht jeder so lauf-affin wie die zuvor erwähnten Minusgrad-Jogger. Trotzdem scheint Spazierengehen zum Volkssport mutiert zu sein, sodass viele fast schon ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nicht voller Begeisterung auf den Zug aufspringen (wobei der ja fahren würde…)
Wieso plötzlich alle Podcasts hören
Wer mich kennt, der weiß, dass ich nicht erst seit Corona sehr viel zu Fuß unterwegs bin. Deshalb finde ich es natürlich umso schöner, dass sich die „Spaziergeh-Dates“ mittlerweile derart etabliert haben. Und gerade jetzt, wo es (hoffentlich) bald etwas wärmer draußen wird, können wir wohl alle etwas Vitamin D gebrauchen, was sich bekanntlich am besten durch „Outdoor-Sachen“ – um Podcaster Felix zu zitieren – aufnehmen lässt.
Apropos Podcasts: Auch die erfreuen sich wachsender Beliebtheit bei Spaziergängerinnen und Spaziergängern. Ist ja auch ’ne tolle Sache: Hände und Augen sind frei – und je nach Präferenz kann man ganz nebenbei aktuelle Informationen erhalten, sich auf einem bestimmten Gebiet Wissen aneignen, das Lieblingsbuch vorgelesen bekommen – oder sich einfach nur berieseln lassen. Für jeden ist etwas dabei, die Podcast-Landschaft ist riesig. So riesig, dass es manchmal schwerfällt, den Überblick zu behalten. Stars, Sternchen, A- bis F-Promis und Privatpersonen – sie alle denken, sie haben der Welt etwas mitzuteilen. Man kann ja auch sonst nicht viel unternehmen zurzeit. Und auch ein weiterer Aspekt kann eine Rolle spielen: die entstehende Routine. Die meisten Podcasts erscheinen immer am gleichen Wochentag, geben den Menschen somit eine gewisse Struktur und das Gefühl von Gesellschaft.
Jan Böhmermann und Podcast-Kollege Olli Schulz begannen während des ersten Lockdowns sogar noch häufiger zu senden, um ihren Hörerinnen und Hörern mit satirischen Gesprächen über aktuelle Themen, eingeladenen Gästen, Jans Rezept für Salzgemüse und natürlich mit der selbst geschriebenen Geschichte über die Yoga-Lehrerin durch den Lockdown zu helfen. Damals, als man noch dachte, es bliebe bei diesem einen. Podcasts sind also ein weiteres Spaziergänger-Phänomen, die es wie Sand am Meer zu geben scheint. Hach ja, Meer… das wäre mal wieder schön!
Über die Spaziergeh- Schuldgefühle
Wenn die Berieselung jedoch nicht mehr genossen wird, sondern helfen soll, die Zeit des Laufens schneller vergehen zu lassen, sollte man vielleicht doch einmal darüber nachdenken, ob man nicht in die Ich-muss-nun-auch-spazierengehen-Falle getreten ist. Denn auch (oder gerade) in Pandemiezeiten scheint der Drang, produktiv oder fleißig zu sein (sein zu müssen), viele Menschen vor sich her zu treiben. Und auch das ist zunächst nicht schlecht zu bewerten – solange es guttut. Hat man hingegen ein schlechtes Gewissen, weil man nicht wie „alle anderen“ (mit Sicherheit!) den ganzen Tag Start-Ups aus dem Boden stampft, sich persönlich weiterentwickelt, ein Instrument lernt oder sich mit Home-Workouts zum nächsten Arnold Schwarzenegger formt, sollte man vielleicht eher das schlechte Gefühl hinterfragen, statt das nicht gebackene Sauerteig-Brot…
Wieso muss ich mich mit anderen messen und immer „produktiv“ im Sinne der Gesellschaft sein? Schließlich ist dieses Attribut etwas sehr Deutsches. Und für viele ist es sogar die größere Herausforderung, sich freizumachen von dem Drang, den Lockdown bestmöglich zu nutzen. Aber gut – es wäre gelogen, würde ich behaupten, das sei einfach…
Doch zurück zum Laufen. Es kommt mir immer wieder zu Ohren, wie „faul“ die betreffende Person doch sei, man könnte ja gerade jetzt so viel auf die Beine stellen (sich selbst zum Beispiel – und dann losgehen). Und klar, ein gewisser Schweinehund schlummert in uns allen – und ich meine auch nicht, dass man sich gar nicht mehr überwinden sollte. Doch wenn man nicht aus einer intrinsischen Motivation heraus handelt, ist es meiner Meinung nach nicht unbedingt gesund. Und erfolgreicher ist man meist auch, wenn man etwas nicht nur aus Gründen des Vergleichs anpackt – oder angeht. Kurz gesagt: spazieren, laufen, walken, joggen etc – alles wunderbare Möglichkeiten, sich zu bewegen, an die frische Luft zu kommen, beim Telefonieren die ersten Sonnenstrahlen zu genießen oder sich mit einem Podcast auf den Ohren durchpusten zu lassen. Man sollte sich jedoch nicht aus Schuldgefühlen dem „Trend“ anschließen…
Der neueste Trend heißt Müllsammeln
Ein Anliegen habe ich jedoch noch: Als Viel-Geherin kann ich den vielerorts herumliegenden Müll nicht unbeachtet lassen.
Liebe Leute, bitte schmeißt doch den Coffee-To-Go Becher, die Verpackung der Spaziergeh-Zigarette und die Tüte Chips, die euch als Wegzehrung dient, einfach in den nächsten Mülleimer! Und wenn sich im Umkreis von fünf Metern keiner finden lässt, muss man den Abfall trotzdem nicht auf dem Boden entsorgen – schließlich konnte man die Packung ja auch mitnehmen, bis sie leer war. Ich habe mir angewöhnt, immer mal wieder Müll aufzuheben und wegzuschmeißen. Natürlich nicht immer und ganz sicher nicht alles, doch je mehr Leute sich diesen „Müll-Blick“ angewöhnen, desto besser.
Aber ich will mal nicht so tun, als käme die Idee von mir. Denn es wäre nicht 2021, wenn es nicht auch fürs einfache Abfall-Sammeln einen hippen Begriff gäbe – Plogging bezeichnet die Mischung aus Joggen und dem schwedischen Wort „plocka“ (sammeln). Und natürlich handelt es sich – wie sollte es anders sein – auch hier um eine neue TREND-Sportart…
Malin Schmidt-Ott