Passau. Unvorstellbare Wassermassen haben sich in Passau ausgebreitet: die Fußgängerzone, die Alt-, die Ilz- und die Innstadt – so gut wie alles steht unter Wasser. Doch nicht nur öffentliche Plätze und Gebäude sind in der Dreiflüssestadt betroffen, vor allem die Zivilbevölkerung hat mit der Naturkatastrophe, dem Jahrhunderthochwasser, zu kämpfen. Das Onlinemagazin „da Hog’n“ hat mit Helfern und Betroffenen in Passau gesprochen.
Selwitschka: „Von links, von rechts – von überall her kam das Wasser“
Klaus Selwitschka (51), dessen Großmutter eine gebürtige Philippsreuterin ist, ist mit seiner Familie seit Sonntagabend im zweiten Stock seines Hauses in Passau-Hals eingesperrt. Nur mit Booten können sie mit dem Nötigsten versorgt werden. „Am Sonntagmorgen um 5 Uhr haben wir damit begonnen, das Erdgeschoss auszuräumen – gegen 16 Uhr hatten wir den Kampf gegen die Wassermassen dann endgültig verloren“, erzählt der Speditionskaufmann. „Von links, von rechts – von überall her kam das Wasser. Wir hatten keine Chance.“ Das Erdgeschoss wurde geflutet, die dortige Bäckerei komplett überschwemmt. Der Halser Familie blieb nichts anderes übrig, als sich in den zweiten Stock zurückzuziehen.
Strom ist da, auf Warmwasser und Telefon müssen die Selwitschkas aber verzichten. „Man kämpft den ganzen Tag gegen die Wassermassen an“, sagt der 51-Jährige verzweifelt. Dennoch, betont er, werde er nicht allein gelassen: die örtliche Feuerwehr, die Wasserwacht und auch die Bundeswehr helfen, wo es nur geht. „Mir wurden fünf Soldaten versprochen. Dann können wir mit den Aufräumarbeiten anfangen – zuerst muss der Teppichboden raus.“ Selwitschka hofft, am heutigen Dienstag sein Haus wieder verlassen zu können. Dann beginnt der schwierigste Teil: die Aufräumarbeiten. „Den Schaden kann ich noch nicht beziffern – aber alles muss erneuert werden: die Heizung, die Böden, die Mauern, die Decken!“
„Lediglich in der Tiefgarage steht das Wasser einen halben Meter hoch“
Glück im Unglück hatte hingegen der Freyunger Notar Josef Massinger. Seine Erdgeschosswohnung in der Passauer Altstadt (Theresienhof) wurde bislang von den Wassermassen nur knapp verschont. Das Haus liegt leicht erhöht auf einem Hügel – eine Art „Insel der Glückseligen“ könnte man meinen. „Lediglich in der Tiefgarage steht das Wasser einen halben Meter hoch“, schildert Massinger. Die Nachbarn hatten weniger Glück: Dort sind die Keller alle vollgelaufen. Beim angrenzenden Weinkeller treiben die Weinflaschen im Wasser.
Dass sein Auto nicht „untergegangen“ ist, verdankt er seinem umsichtigen Vermieter. Denn der gebürtige Waldkirchener war am Wochenende mit seiner Frau und seiner Tochter in Berlin beim Pokal-Finale. „Als wir am Sonntag nach Hause gefahren sind, hörten wir im Radio zum ersten Mal vom bedrohlichen Hochwasser. Da hat der Vermieter schon die ganze Zeit versucht, uns zu erreichen, damit irgendjemand unser Auto in Sicherheit bringt.“ Dieses konnte letztlich vom Vermieter vor dem Passauer Gefängnis abgestellt werden. Dort ist es nun von den Wassermassen eingeschlossen – wie so viele andere Autos und Stadtbewohner auch.
„Ein paar Zentimeter mehr und das Wasser wäre bei uns reingelaufen“
„Aber das Auto ist jetzt wirklich Nebensache“, betont Massinger. Sicherheitshalber hat er jedoch wichtige Erinnerungsstücke einen Stock höher getragen, weil sich das Wasser schon im Innenhof sammelte. Er kann es immer noch nicht fassen: „Nur ein paar Zentimeter mehr und das Wasser wäre auch bei uns reingelaufen … wir hatten bislang wirklich einen Riesendusel!“ Seit Sonntag ist die kleine Familie nun bei Massingers Schwester in Waldkirchen untergebracht. „Wir wollen aber vielleicht heute Abend schon wieder in unsere Wohnung zurückkehren,“ zeigt sich der 37-Jährige positiv gestimmt. Auch er unterstreicht die Hilfsbereitschaft der Helfer vor Ort: „Wir wurden von den Einsatzkräften wirklich unglaublich gut unterstützt – die leisten im Moment eine Wahnsinnsarbeit!“
„Zeitungsbilder sind harmlos – vor Ort ist es viel, viel schlimmer“
Einer dieser Helfer ist Toni Moritz. Der Stabsunteroffizier aus Herzogsreut ist für den Nachschub im Hochwasser-Gebiet rund um Passau zuständig. Er ist einer von rund 90 Soldaten der Freyunger Kaserne, die momentan in der Dreiflüssestadt im Einsatz sind – Schlamm entfernen, Keller ausräumen, Wohnungen säubern und Sandsäcke befüllen zählen zu ihren Aufgaben. Das Bild, das der 27-Jährige und seine Kollegen in Passau zu sehen bekommen, lässt einem den Atem stocken. „Die Bilder in den Zeitungen und bei Facebook sind harmlos gegen das, was sich tatsächlich abgespielt hat und teilweise immer noch abspielt – vor Ort ist es noch viel, viel schlimmer.“ In diesem Zusammenhang betont Toni Moritz die herausragende Leistung der zahlreichen Helfer. „Ich bin ja nur für den Nachschub zuständig – die wahren Helden arbeiten direkt vor Ort.“
„Alle Helfer zeigen sich fassungslos angesichts der Wassermengen“
Auch das BRK Freyung-Grafenau unterstützt die Kollegen in Passau. „An die 30 Personen waren gestern tagsüber mit dabei“, berichtet Rettungsdienstleiter Günther Karl, der unter anderem den Einsatz seiner Leute koordiniert. Mit Rettungs- und Betreuungswagen, der Wasserwacht Freyung-Grafenau, der Betreuungskomponente und der Untersützungsgruppe Sanitätseinsatzleitung hilft man, wo es nur geht. Personen werden mit Booten transportiert, Anwohner mit Lebensmitteln versorgt und Feldbetten aufgebaut.
Ein Hauch von Erleichterung – die Aufräumarbeiten in Passau haben heute begonnen:
„Alle Helfer zeigen sich fassungslos angesichts der Wassermengen“, fasst Karl die Eindrücke der Einsatzkräfte zusammen. „Das sind bleibende Erinnerungen, die man so schnell nicht vergessen wird!“ Bis Donnerstagabend werden die BRK-Helfer in Passau auf jeden Fall noch tatkräftig mit anpacken. „Und dann schaun wir, wie es weitergeht“, so der Rettungsdienstleiter. An all diejenigen, die den Passauern helfen wollen, hat Karl noch eine dringende Bitte: „Die Hilfe im Katastrophengebiet muss so geordnet wie möglich ablaufen. Wer also gerne mithelfen möchte, kann sich zum Beispiel bei den Kollegen vom BRK Passau melden. Die wissen ganz genau, wo und für was sie noch Hilfe benötigen.“
Helmut Weigerstorfer und Dike Attenbrunner