Für alle, die ihn nicht kennen: „Kurt Albert war einer der größten und geistreichsten Kletterer aller Zeiten.“ Zumindest in den Augen von Buchautor Tom Dauer, der mit seinem Buch, das den Untertitel „frei denken, frei klettern, frei sein“ trägt, gegenüber dem Vorreiter der Freikletterbewegung seine Ehrerweisung zum Ausdruck bringt. Im Klappentext heißt es daher vielsagend: „Sein scharfer Verstand, seine Offenheit gegenüber Menschen und Ideen, seine Abenteuerlust und sein Witz machten ihn zum Mittelpunkt einer sportlich-gesellschaftlichen Subkultur, deren Einflüsse weit über das Klettern und Bergsteigen selbst hinausgingen.“
Und ja, man wünscht sich als bergsport- und kletterbegeisterter Leser bereits nach den ersten Zeilen tatsächlich einmal mit Kurt Albert draußen in der Natur, am Fels, unterwegs gewesen zu sein. Mit ihm, der am 28. September 2010 vermutlich aus Unachtsamkeit in die Tiefe stürzte – in einem Moment, den er zuvor tausende Male abgespult hatte, eine Routinehandlung, die ihm beim Führen einer Klettersteiggruppe zum Verhängnis wurde. Er, der große Kletterer, der sich etliche Erstbegehungen im Frankenjura, in den österreichischen, italienischen und französischen Alpen, in Grönland und Patagonien ans Revers heften durfte, ließ sein Leben am Höhenglücksteig in der Nähe von Hirschbach in der Oberpfalz. Als „das Unvorstellbare“ bezeichnet der Autor jenen Vorfall, der auch ihn tief berührt hatte – und ihn mitunter dazu veranlasste, das Leben seines Freundes biografisch festzuhalten.
Ein freier wie unabhängiger Lebensstil
Die Bewunderung, die Dauer ihm entgegenbringt, ist durchaus ansteckend. Er schildert jedoch das Wirken des Erfinders des sog. Rotpunkt-Kletterns, ohne sich dabei in überschwängliche Huldigungstiraden zu verlieren. „Er hat dazu beigetragen, dass das Klettern, und auch der Bergsport insgesamt, keine Außenseiternische mehr ist“, schreibt der Literatur- und Politikwissenschaftler, der für sein Standardwerk „Cerro Torre – Mythos Patagonien“ mehr als ein Jahr am Fuße des sagenumwobenen Granitbergs an der argentinisch-chilenischen Grenze mit Kurt Albert eine Hütte im Basislager des Fitz Roy teilte, in seinem Vorwort.
Das Buch ist in zehn Kapitel unterteilt, die Namen wie „Rotpunkt“, „1977“, „Freundschaft“ oder „Welterkundungen“ tragen. Auf mehr als 300 Seiten, die mit vielen Schwarzweiß- und Farbfotos aus der Vita der Kletter-Legende gespickt sind, geht es sowohl um deren alpinistische Leistungen, aber insbesondere auch um den freien wie unabhängigen Lebensstil, den der gebürtige Nürnberger mit ganzem Herzen pflegte. „Das Schreiben von Kurt Alberts Biografie“, so Dauer, „ist der Versuch, die entscheidenden Zufälle – Abenteuer, Erlebnisse, Begegnungen – in seinem Leben herauszufiltern.“ Den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt er dabei nicht.
„Die Beschreibungen des Beschriebenen“
Tom Dauer gelingt es, mit seinem Buch eine große Nähe zum Protagonisten herzustellen. Ihn so darzustellen, wie ihn seine Freunde und Begleiter wohl gerne in Erinnerung behalten. „Das Leben eines Menschen zu erzählen, selbst oder gerade wenn man ihn gekannt hat, ist ein schwieriges Unterfangen“, gibt der Autor offen zu. Das Nachzeichnen der Lebensgeschichte basiert auf dem privaten Text- und Bildarchiv von Kurt Albert sowie auf Gesprächen mit Weggefährten und Zeitzeugen des Kletterers. Oder wie Dauer es aus seiner Sicht formuliert: „Der Schreibende beschreibt die Beschreibungen des Beschriebenen.“ Seine Hoffnung bleibt jedoch am Ende die, dass „er (Albert) sich beim Blick auf sein Lebensmosaik wiedererkannt hätte“.
Stephan Hörhammer
Tom Dauer: „Kurt Albert – frei denken, frei klettern, frei sein“, Tyrolia Verlag, 336 Seiten, gebundene Ausgabe, 3. Auflage, 29,95 Euro, ISBN: 978-3-7022-3874-2.