Zenting. Nachmittags, nach getaner Arbeit als Disponent bei einer regionalen Spedition, führt sein Weg meist als erstes ins Büro des Bürgermeisterkollegen Martin Behringer, wo sich die Kaffeemaschine befindet. Seit gut einem halben Jahr ist Zentings neuer Rathaus-Chef Dirk Rohowski nun Zimmernachbar von Thurmannsbangs Ortsvorsteher. Das hat einen einfachen Grund: Das Dorf im Dreiburgenland ist Sitz der Verwaltungsgemeinde, zu der auch Zenting seit dem 1. Mai 1978 dazugehört.
Bevor er sich dazu entschloss für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren und somit die Nachfolge von Leopold Ritzinger anzutreten, war Dirk Rohowski sechs Jahre lang Mitglied im Zentinger Gemeinderat. Ein Gremium, das wie schon bei seinem Vorgänger auch in dieser Legislaturperiode mit Vertretern der Freien Wähler besetzt ist. Und zwar durchwegs. „Eine Opposition im klassischen Sinn gibt es nicht“, bekennt der 46-Jährige. Und betont sogleich: „Ich kann aber nicht davon ausgehen, dass das, was ich sage, gesetzt ist.“ Jeder bringe seine eigene Meinung mit ein, es gebe oft lange, aber stets konstruktive Diskussionen.
„Wos’d hig’heast, g’heast hi – des is a so“
Seine neue Aufgabe gefalle ihm sehr. In die Details müsse sich Dirk Rohowski aber noch einarbeiten. Aber: „Ich weiß jetzt grundsätzlich, wie der Laden läuft.“ Die meiste Freude bereitet ihm das Entwickeln von Ideen. „Ich will versuchen weiter zu kommen. Darum bin ich angetreten. Weil ich das, was ich im Kopf habe, umsetzen möchte.“ Gedanken mache er sich permanent, auch im Privaten – über den neuen Friedhof, die Restauration des alten Wirts, die Dorferneurung, den Kanalbau, die ILE Sonnenwald, deren Vorsitzender er ist. Und so weiter und so fort.
Die Bürger kämen immer wieder auf ihn zu, sogar mit privaten Problemen wie Nachbarschaftsstreitigkeiten – „das hätte ich mir nicht gedacht“, zeigt sich der Vater zweier Töchter (8 und 13) überrascht. Somit schlüpft er des Öfteren nicht nur in die Rolle des Politikers und Gemeindevorstehers, sondern auch in die des Zuhörers, Moderators und Ratgebers. „Ich wusste, dass sie mir ihre Sorgen und Nöte darlegen, aber ich wusste nicht, mit was sie alles auf mich zukommen werden.“ Seine Frau bezeichnet er als „Ansprechpartnerin Nummer eins“ – auf ihre Sicht der Dinge legt er großen Wert.
Genauso wie auf die Feststellung, dass er ein Hiesiger ist. Denn das ist er erst geworden. Damals, vor 30 Jahren, als es ihn nach dem Fall der Mauer in die Region Sonnenwald verschlagen hatte. Von seiner Heimatstadt Dessau in Sachsen-Anhalt aus ist er mit 15 Jahren im Bayerischen Wald gelandet. Durch einen Zufall: „Ich habe einen Freund begleitet, der seine Verwandten in Passau besuchen wollte. Während er bei Onkel und Tante vorbeischaute, bin ich ins Arbeitsamt gegangen und hab nach einer Ausbildungsstelle gefragt.“ Der Beginn seines zweitens Lebens, wie er es nennt.
Die Zeit vor dem Mauerfall sei für ihn heute „abgehakt“ – und „nichts, was ich an die große Glocke hängen will“. Seine Bande in die einstige Heimat hat er gekappt. Das Thema gehört der Vergangenheit an. „Ich habe immer gesagt: Ich war 15 Jahre auswärts, jetzt bin ich wieder dahoam.“ Als er in den Woid kam, um seine Lehrstelle als Schreiner anzutreten, stand für ihn fest: „Wos’d hig’heast, g’heast hi – des is a so.“ Und an diesem Gefühl hat sich Rohowski zufolge bis heute nichts geändert.
Seit Mai 2020 führt er ein Doppelleben
Die Waidler-Identity habe er sofort angenommen, die sprachliche Barriere schnell gemeistert. Zu letzterem hat vor allem die berufliche Laufbahn und der damit verbundene Umgang mit den Bayerwäldlern beigetragen: Nach der abgeschlossenen Schreiner-Lehre machte er den Lkw-Führerschein und war zunächst mit dem Sattelzug quer durch Europa unterwegs. Im Anschluss ging’s für zwei Jahre ins Büro („das war aber nicht meins„), dann wieder zurück auf den Brummi-Sitz, den er jedoch schnell wieder gegen den Büro-Sessel tauschte. In der Spedition, in der er seit 15 Jahren tätig ist. Und somit führt Dirk Rohowski seit Mai 2020 ein Doppelleben: vormittags als Disponent, nachmittags als ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Zenting.
Stephan Hörhammer
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Bürgermeister Dirk Rohowski im Hog’n-Interview
Stichwort Corona: Welche gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Auswirkungen hatte die Krise bis dato auf die Gemeinde Zenting? Wie ist die momentane Stimmungslage?
Es ist recht belastend. Jeder steht irgendwo auf Anschlag. Aber ich möchte ein Teil der Lösung sein und akzeptiere daher die Situation. Die Maßnahmen machen aus meiner Sicht Sinn – alles andere lässt uns ins Verderben laufen. Die Regierung Söder macht einen guten Job. Was mich jedoch traurig stimmt, ist die Lage der Kinder, denn die müssen sehr darunter leiden. Die Sozialkontakte fehlen. Ich sehe das bei meinen beiden Töchtern. Und gerade die jüngere braucht die Unterstützung der Lehrerin, die sie führt und anleitet. Das können wir als Eltern nicht leisten, ich und meine Frau sind keine Pädagogen.
Das Vereinsleben ist zum Erliegen gekommen. Das ist schlimm, ja fatal, weil die Leute sich nicht mehr treffen können. Ich selbst bin Mitglied in der Vorstandschaft bei der Garde- und Showtanzgruppe „Zenturia“ – und man merkt, die Leute entwöhnen sich allmählich und suchen sich etwas anderes. Die Vereine brechen auseinander. Einige Fußballer sagen zum Beispiel: Jetzt haben wir schon so lange nicht mehr gespielt, jetzt mag ich auch nicht mehr. Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung, weil eine Ortschaft wie Zenting von ihren Vereinen lebt.
Herr Rohowski: Denken Sie, dass das Vereinsleben wieder aufblühen wird, sollte sich die Corona-Lage irgendwann einmal entspannen?
Das wird wieder aufblühen, ja – aber nicht von heute auf morgen. Es dauert gewiss eine Weile, bis die Leute sich wieder trauen auf ein Fest zu gehen. Das Tragen der Maske ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Das ist in den Köpfen drin. Und bis das wieder aus den Köpfen heraus ist und wir unbeschwert ein Fest besuchen können – das dauert.
Die Strategie, die die Regierung zur Pandemie-Bekämpfung anwendet, empfinden Sie prinzipiell als nicht verkehrt. Gibt es dennoch Kritikpunkte?
Ein Kritikpunkt wäre etwa die Unlogik hinter der Regelung, dass meine Mutter mich und meine Frau besuchen kommen darf, ich und meine Frau allerdings nicht meine Mutter besuchen dürfen. Das passt nicht zusammen. Meiner Meinung nach wäre es auch legitim unter gewissen Umständen Generalversammlungen oder Vorstandssitzungen abzuhalten. Es gibt zwar laut Amtsblatt die Regelung, dass bis zu zehn Vereinsvertreter für maximal eine Stunde zusammenkommen dürfen, aber das ist eben auch nur eine Notlösung.
„Ich bin kein Verwalter. Ich bin ein Macher“
Welche konkreten Themen konnten Sie als Neu-Bürgermeister bereits ins Rollen bringen?
Vor allem viele Kleinigkeiten, die schnell umsetzbar waren. Die Feuerwehr wurde etwa neu eingekleidet, weil deren Anzüge nicht mehr auf dem neuesten Stand waren. Wir haben einen Wanderwege-Wart installiert, der sich um die Wanderwege kümmert. Die Aufgabe hat ein Dorfbewohner übernommen – auf 450-Euro-Basis. Projekte, die von meinem Vorgänger Leopold Ritzinger bereits angestoßen worden sind, wollen wir natürlich umsetzen und vollenden.
„Gut Ding braucht Weile“ war die Kernbotschaft ihrer Zwischenbilanz in der Tageszeitung. Was meinen Sie damit konkret?
Ich komme aus der Wirtschaft und weiß daher, wie wichtig es ist, schnell zu handeln. Als Disponent einer Spedition gilt es, rasche Entscheidungen zu treffen, die logistisch sinnvoll sind. Dann müssen gewisse Abläufe reibungslos funktionieren. Als Bürgermeister muss ich im Vorfeld oftmals mehrere Ämter kontaktieren, um gewisse Informationen zu bekommen und Prozesse in Gang zu bringen. Das kann sehr lang dauern. Denn die Mühlen der Verwaltung malen manchmal recht langsam. Da bin ich manchmal einfach zu ungeduldig, weil ich jemand bin, der etwas ausrichten will. Ich bin kein Verwalter, ich bin ein Macher. Mein Kopf ist immer voller Ideen.
Reicht eine Amtsperiode aus, um all diese Ideen zu verwirklichen?
Vermutlich nicht, denn ich möchte noch sehr vieles umsetzen. Ich werde in fünf Jahren ein erstes Resümee ziehen und bilanzieren, was wir bis dato erreicht haben. Und dann schauen wir weiter, was wir als nächstes machen können. Ich plane aber jetzt noch nicht, was in acht oder neun Jahren sein könnte. Ich konzentriere mich auf das, was jetzt im Moment ansteht.
Im Oktober gab’s die Mammut-Sitzung im Gemeinderat, die bis Mitternacht gedauert hat.
… die haben wir dann abgebrochen. Wir hatten noch zwei Tagesordnungspunkte, die wollten wir jedoch nicht mehr anreißen. Das Gehirn hat sich irgendwann verabschiedet, ich konnte kaum noch lesen (lacht)… Ja, wir diskutieren viel im Gemeinderat – und zwar meist solange, bis alle von einem Vorschlag überzeugt sind und es zu einem einstimmigen Beschluss kommt. Jeder soll mit einer Entscheidung leben können. Und da kann es passieren, dass man bei einen Tagesordnungspunkt auch mal eine Stunde lang debattiert.
„Der Zusammenhalt hier ist einmalig“
Stichwort: Flüchtlingssituation. Wie gestaltet sich diese momentan in Zenting?
Aktuell sind noch fünf Flüchtlinge hier. Sie wohnen in der dezentralen Unterkunft im ehemaligen Wirtshaus in Zenting. Einer lebt hier seit 2015. Den kennt auch jeder in der Gemeinde, er ist im Sportverein und gut integriert. Die Vereine waren damals nicht begeistert, als feststand, dass die Unterkunft im Wirtshaus untergebracht wird, weil es ein regelmäßiger Treffpunkt für sie war. Aktuell befindet sich das Vollath-Hanse-Haus im Bau, dort wird es auch Räume für etwaige Zusammenkünfte der Vereine geben. Der Förderbescheid dafür beläuft sich auf 2,8 Millionen Euro. Die Fertigstellung ist für Ende dieses bzw. Anfang nächstes Jahr geplant.
Mit der Unterbringung der Geflüchteten hatte die Gemeinde durchaus finanziellen Profit geschlagen, oder?
Nein, das möchte ich so nicht sagen, weil die Gemeinde das Haus erst vor zweieinhalb Jahren von der Wirtin gekauft hat – als der Großteil der Belegschaft bereits wieder draußen war. Anfangs, als uns das Haus noch nicht gehört hatte, waren bis zu 30 Leute dort untergebracht – das war finanziell interessant. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt von den fünf Bewohnern zwei ausziehen würden, müssten wir schließen, weil das Ganze nicht mehr kostendeckend ist.
Abschließende Frage: Was wünschen Sie sich für ihre Gemeinde? Hierbei dürfen Sie ihren Visionen gerne freien Lauf lassen.
Ich wünsche mir einen wunderschönen Ortskern, den wir im Rahmen der Dorferneuerung realisieren wollen. Ich wünsche mir, dass die Vereine im Zuge von Corona alle am Leben bleiben und keiner Federn lassen muss. Zenting ist ein tolles Dorf mit tollen Leuten, der Zusammenhalt hier ist einmalig. Ich möchte gerne einen Kulturverein gründen, damit Künstler zu uns kommen und wir Veranstaltungen machen können. Ich möchte, dass Zenting sich zum Highlight entwickelt. Es gibt Dörfer in unserer Gegend, die sind eingeschlafen. Das könnte man von Zenting auch denken, aber wir befinden uns mittendrin im Umstrukturierungsprozess. Es ist Leben in der Gemeinde. Und ich hab das auch in den Wahlversammlungen immer wieder betont: Ich möchte, dass die Leute in Zenting und allen dazugehörigen Ortsteilen leben – und nicht nur wohnen.
Vielen Dank für das Gespräch – und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer