Zenting. Leo Ritzinger ist stolz, sehr stolz. Mit einem Lächeln auf den Lippen zückt er sein Handy und spielt ein Video ab. Zu hören ist die Zentinger Heimathymne, produziert von einem Radiosender, der dazu extra an den Fuß des Brotjacklriegels gekommen ist. „Unser Chorleiter und ich haben dann das Lied eingesungen“, erzählt „da Poidl“, wie er in seiner Heimatgemeinde genannt wird. Solch überregionales Interesse verbreitet Zenting ansonsten nur selten.
Das Mauerblümchen des Landkreises Freyung-Grafenau fristet ein Schattendasein – ein Grund dafür ist die geographische Lage am äußersten, westlichen Zipfel FRGs. Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ spricht der 55-Jährige Bürgermeister (Freie Wähler) über diese Randlage und deren Folgen, über ausgedünnte Wahllisten in seiner Gemeinde – und über die vorbildliche Integration von Asylbewerbern, die im Dorfzentrum eine neue Heimat gefunden haben.
Herr Ritzinger, wie toll ist es für einen Bürgermeister, wenn seine Gemeinde, die ansonsten vielleicht nicht so im Mittelpunkt steht, durch ein Lied überregional „berühmt“ wird?
Das ist ein Treffer wie ein Sechser im Lotto. Dadurch hatten wir die einmalige Chance, unsere Gemeinde endlich mal einem breiten Publikum vorzustellen. Das macht einen Bürgermeister natürlich stolz.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Zenting nicht so bekannt ist?
… vor allem an der Geographie, wir sind eben der äußerste Westen des Landkreises. Zudem sind wir eine sehr kleine Gemeinde. Als Bürgermeister von Zenting bin ich außerdem der einzige Vertreter unserer Gegend im Kreistag. Außer den Straßen hat der Kreis keine Einrichtungen bei uns – keine Schulen oder Krankenhäuser. Kurz gesagt: Wir sind ein bisschen außen vor. Und darüber sind wir alles andere als glücklich.
„Nach meiner Wahl hat es in Zenting einen Erdrutsch gegeben“
Wünscht man sich da als Bürgermeister nicht manchmal, zum Landkreis Deggendorf, der unmittelbar an die Gemeinde angrenzt, zu gehören?
(lacht) Ich denke, die Sache ist gegessen, obwohl ich zugeben muss, dass wir schon mehr Richtung Westen, also Deggendorf, orientiert sind. Aber diese Frage hat schon ihre Berechtigung. Vor der Gebietsreform Mitte der 70er tendierte die Mehrheit der Gemeinde dazu, zu Schöllnach und somit zum Landkreis Deggendorf zu gehören. Diese Wünsche wurden jedoch politisch abgeschmettert.
Eine Besonderheit in der Gemeinde Zenting: Es hat bei den Kommunalwahlen nur einen Bürgermeister-Kandidaten und eine Gemeinderats-Liste gegeben. Warum?
2002, nach meiner Wahl hat es in Zenting einen Erdrutsch gegeben. In Folge dessen wurde 2008 keine weitere Liste nominiert und es ist zu einer Einheitsliste gekommen – was dann auch 2014 der Fall war.
Die Chance in den Gemeinderat gewählt zu werden ist also sehr groß?
Ja. Insgesamt haben sich 21 Kandidaten aufstellen lassen, zwölf haben den Einzug in den Gemeinderat geschafft.
Ist es bei den Sitzungen ein Vor- oder Nachteil, dass es nur eine Fraktion gibt?
Nur Vorteile. Solche Verhältnisse würden sich viele meiner Kollegen wünschen. Ein parteipolitisches Geplänkel – wie sonst in den Gemeinden üblich – gibt es bei uns dadurch nicht.
Parteipolitik – gibt es sowas auf der Kommunalebene überhaupt?
Freilich. In Nachbargemeinden gibt es das durchaus in heftiger Form. Doch was bringt sowas dem Bürger und der Gemeinde? Garnichts.
Böse Zungen könnten behaupten, in Zenting wird alles durchgewunken, was der Bürgermeister möchte.
Nein, so ist es nicht. Bei uns wird viel über die einzelnen Themen diskutiert. Auch ein Bürgermeister hat nicht immer recht. Ich bin sehr dankbar, wenn mich jemand verbessert – und andere, bessere Vorschläge hat. Die Arbeit im Gemeinderat ist vertrauensvoll und unkompliziert. Es werden Themen intensiv beraten und diskutiert, bevor es zu Abstimmungen kommt.
Holzvergaser: „Ein Gewerbegebiet ist dazu da, bebaut zu werden“
Da hilft Ihnen die Erfahrung als Mediator beim Bayerischen Bauernverband. Was machen Sie da genau?
Ich vermittle bei Generationen-Konflikten, Vermögensverteilungen nach Scheidungen und Nachbarschaftsstreitigkeiten. Nebenbei habe ich als studierter Landwirt auch noch einen Lehrauftrag an der Höheren Landbauschule in Rotthalmünster.
Wegen einer Holzvergasungsanlage ist Zenting vor einigen Jahren in den Schlagzeilen gestanden. Was war damals genau los?
Auf einem von der Gemeinde ausgeschriebenen Gewerbegebiet hat ein Investor Hallen errichtet, die er mit PV-Anlagen ausgestattet hat – was sofort zu Diskussionen innerhalb der Bevölkerung geführt hat, ob denn das Sinn mache. Doch ein Gewerbegebiet ist dazu da, bebaut zu werden. Ist doch logisch.
Der Investor wollte dann freilich seine Hallenflächen vermieten. Und ist auf die damals neue Technologie eines Holzvergasers, also verstromen von Holz mit dem Abfallprodukt Wärme, aufmerksam geworden. Gemeinsam mit einem Betreiber wurde diese Anlage dann auch errichtet und betrieben. Wegen Differenzen beider Parteien ist das Projekt dann aber letztlich gescheitert. Leider. Wir hatten nämlich schon Pläne, das Dorfzentrum mit einem Nahwärmenetz auszustatten.
Und die Hallen sind wieder leer.
Nein. Ein örtlicher Bauunternehmer nutzt inzwischen die Flächen. Guter Nebeneffekt: Die Gemeinde bekommt Gewerbesteuereinnahmen im unteren fünfstelligen Bereich.
Ihr Resümee dieser Angelegenheit?
Es gibt noch einige wenige Personen, die noch immer ein bisschen beleidigt sind, weil sie damals ihre Meinung nicht durchsetzen konnten. Letztlich hat aber mittlerweile der Großteil kapiert, dass dieses Projekt nicht unbedingt ein Nachteil für die Gemeinde ist.
Weiteres großes Thema: Asylbewerber. Zenting gilt in dieser Hinsicht als landkreisweites Vorbild. Warum?
Ich bin meiner Bevölkerung dankbar, dass sie die Flüchtlinge so gut aufgenommen haben. Als einer der ersten Gemeinden, die Asylbewerber zugewiesen bekommen hat, hatten wir praktisch keine Vorkenntnisse. Sie sollten ihm Gasthaus „Alter Wirt“ untergebracht werden. Zugegeben, im ersten Moment schon ein Schock.
„… und dann ist der Rettungsanker Asylbewerber gekommen“
Wie gingen Sie dann weiter vor?
Wir organisierten eine Informationsveranstaltung hier im Rathaus. Obwohl es durchaus Bedenken gegeben hat, war er Großteil gegenüber diesem Thema sehr aufgeschlossen. Negative Stimmen gab es vor allem, weil dadurch auch bekannt geworden ist, dass der Wirt zumachen wird – unser Vereinslokal mit Dorfsaal. Dessen Nutzung ist aber weiterhin möglich, was viele dann wieder beruhigt hat. Und dann sitzen halt bei den Veranstaltungen die 24 Asylbewerber mit am Tisch. Ist doch schön.
Die Integration ist also bestens gelungen?
Kann man so sagen. Der Gemeinde war es auch ein Anliegen, dass sie möglichst schnell im Bauhof beschäftigt werden können. Sofort haben sich einige Asylbewerber freiwillig gemeldet, sie möchten bei den Arbeiten mithelfen. Auch das hat zu einer besseren Integration beigetragen.
Wie schätzen Sie die Asylthema im Landkreis Freyung-Grafenau generell ein?
Wir sind gefordert. Wir müssen uns dieser Problematik stellen.
Warum musste das Wirtshaus eigentlich zusperren?
Das Gebäude stand bereits zum Verkauf, es war einfach nicht mehr rentabel. Gott sei Dank hat sich kein Käufer gefunden und dann ist der Rettungsanker Asylbewerber gekommen.
Also ein Projekt mit rein privatem Nutzen?
Nicht unbedingt. Auch die Gemeinde profitiert davon. Wir haben mehr Einwohner, bekommen so mehr Schlüsselzuweisung. Außerdem werden auch unsere Geschäfte besser frequentiert.
In erster Linie aber ein „gutes Geschäft“ für die Wirtin?
So kann man es sagen. Aber nur so konnte das Wirtshaus gehalten werden, nur so können die Vereine den Saal weiter nutzen.
Asylpolitik in Zenting: „Besser könnte es nicht laufen“
Neid spielt also keine Rolle?
Es gibt welche, die diese Tatsache kritisieren – klar. Aus meiner Sicht ist es aber besser, eine Einheimische profitiert davon. Es hätte ja auch sein können, dass ein Auswärtiger dieses Objekt kauft.
Hätte es der Gemeinde Zenting nicht auch gut getan, die örtliche Unterkunft auf eigene Faust zu betreiben?
Ich glaube, dann hätten wir Probleme seitens der Bevölkerung bekommen. Wir wären verantwortlich dafür gewesen, dass das Wirtshaus schließen muss, dass die örtlichen Vereine keine Heimat mehr haben. Anders wäre es gewesen, wenn das Gebäude schon über längere Zeit ein Leerstand gewesen wäre. Denn dann hätten wir den Ortskern wiederbeleben können. Eine Übernahme durch die Gemeinde ist, ehrlich gesagt, auch nie zur Debatte gestanden.
Ein wichtiges Argument, warum die Asylbewerber so hervorragend aufgenommen worden sind, ist Wirtin Helga. Warum?
(lacht) Sie wird von den Flüchtlingen „Mutti“ oder „Frau Merkel“ genannt. Sie kümmert sich um die Asylbewerber als wären es ihre eigenen Kinder. Besser könnte es nicht laufen.
Themawechsel: Wie zufrieden sind Sie mit dem ÖPNV und dem Straßennetz in der Region?
Der Status quo ist sehr schlecht. Doch gerade für uns am äußersten Rand des Landkreises wäre eine Anbindung sehr wichtig. Vor zwei Jahren haben wir eine Linie Zenting-Thurmansbang-Saldenburg-Tittling durchgesetzt. Diese wird sehr gut angenommen. Daran sieht man, dass das Interesse nach solchen Verbindungen durchaus da ist.
Gibt es ein schlüssiges ÖPNV-Konzept für Zenting und Umgebung?
Ja. Darüber wurde im Kreistag bereits diskutiert, demnächst soll es im Ilzer Land einen ersten Ausbau geben. Von dort aus soll nach und nach der komplette Landkreis erschlossen werden.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer