Waldkirchen. Spannend und auf Messers Schneide war sie allemal, die Entscheidung, was aus dem alten Pfarrhaus in Waldkirchen werden sollte. Grundlegende Veränderungen im Bereich der Kirche und damit dringend erforderliche Maßnahmen zur Umstrukturierung der kirchlichen Verwaltung ließen es bereits seit geraumer Zeit als sinnvoll erscheinen, mehrere Pfarreien zu Verwaltungsgemeinschaften zusammenzuschließen. Nach den Vorstellungen der Diözese Passau sollte Waldkirchen der Sitz einer solchen Zentralverwaltung werden. Allerdings schien, nach Ansicht der Verantwortlichen, der historische Pfarrhof den dafür nötigen Platzbedarf nicht decken zu können.
So entschieden sich also der damalige Pfarrherr Bruno Pöppel und die Kirchenverwaltung einmütig dafür, den Abriss des denkmalgeschützten Pfarrhofs voranzutreiben und durch einen modernen Neubau zu ersetzen. Auch die Vertreter der Diözese stünden dem Vorhaben durchaus positiv gegenüber, wurde behauptet. Selbst die Mitglieder des Bauausschusses der Stadt Waldkirchen hatten nichts gegen einen Abbruch des denkmalgeschützten Gebäudes einzuwenden. Der Abriss schien unvermeidlich und beschlossene Sache zu sein – zumal nach der fachmännischen Untersuchung der Bausubstanz durch Kirchenpfleger Manfred Heidl, seines Zeichens Bauingenieur und ehemaliger Stadtbaumeister von Waldkirchen, der bauliche Zustand des seiner Ansicht nach „maroden Gebäudes“ eine Renovierung nicht als sinnvoll erscheinen ließ.
Die Geschichte des Gebäudes reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück
Außerdem, so konstatierte Heidl, würde von dem durch ihn festgestellten „massiven Schimmelbefall“ eine massive gesundheitliche Gefährdung sowohl für den Pfarrherrn als auch für die Angestellten ausgehen. Obendrein, so war im Pfarrbrief zu lesen, bezifferte Heidl ein etwaiges Renovierungsvolumen auf zwei Millionen Euro – ein Betrag, der wohl nur schwerlich zu stemmen sei. Seiner Meinung nach kämen Abriss und Neubau erheblich günstiger.
Nach der Veröffentlichung dieses Ansinnens in der Tagespresse regte sich aber ein entschiedener und unerwartet massiver Widerstand in der Bevölkerung. Man wollte dieses für die Geschichte Waldkirchens so bedeutsame Gebäude, das in verschiedenen Teilen bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht, nicht verlieren, nicht widerspruchslos einem zweifelhaften Modernisierungsdrang geopfert wissen. Eine Bürgerinitiative unter Anton Süß sammelte Unterschriften gegen das umstrittene Vorhaben, Christian Seidel lud als Vorsitzender des Heimat- und Museumsvereins zu Vorträgen ein und äußerte seine Besorgnis. Der damalige Kreisheimatpfleger Rupert Berndl hatte längst das Landesamt für Denkmalpflege in München um Unterstützung gebeten. Auf sein Betreiben hin besuchte eine Delegation von Fachleuten Waldkirchen und unterzog das historische Pfarrhaus einer eingehenden, fachmännischen Untersuchung.
Die Gesamtkosten beliefen sich auf 1,34 Millionen Euro
Julia Ludwar und Stephanie Eiserbeck nahmen, begleitet von Reinhard Meisl aus dem Kreisbauamt, allerhand Messungen vor, kratzten an verdächtigen Putzstellen, prüften das alte Mauerwerk und untersuchten das Gebälk im Dachstuhl. Dabei stellte sich ganz schnell heraus, dass der Zustand des Gebäudes bei weitem nicht so marode war, wie von Pfarrer und Kirchenpfleger angegeben. Der Dachstuhl zeigte sich keineswegs als so schlecht, wie behauptet. Auch auf einen Schimmelbefall an den Gewölben im Erd- und Untergeschoss des Gebäudes wiesen die Messungen nirgendwo hin. War man Fehleinschätzungen aufgesessen, oder waren es gar wohlüberlegte Fake-News, wie sie heute leider üblich sind und gezielt eingesetzt werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen? An ein bewusstes Streuen von zweckdienlichen Fehleinschätzungen, ausgerechnet hier in unmittelbarer Nähe zur Kirche, mag man schon gleich gar nicht denken.
Das abschließende Urteil der Sachverständigen vom Landesamt für Denkmalpflege sprach jedenfalls eindeutig für den Erhalt des vielleicht kunstgeschichtlich wichtigsten Gebäudes im Waldkirchener Stadtgebiet. Nun wendete sich das Blatt. Offensichtlich hatte man auf maßgebender Seite nicht mit so viel Gegenwind aus der Bevölkerung gerechnet. Das Diözesanbauamt stimmte letztlich einer umfassenden, sachgerechten Renovierung und den nötigen Umbaumaßnahmen zu. Die Innensanierung ist aktuell abgeschlossen, die Außenrenovierung folgt demnächst. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 1,34 Millionen, also weniger als zunächst geunkt.
Vom Saulus zum Paulus
Allerdings reibt man sich ein wenig verwundert die Augen, wenn man in dem Pressebericht über die gelungene Renovierung liest, dass sich selbst die ehedem entschiedensten Abrissbefürworter plötzlich immer schon für eine Sanierung ausgesprochen hätten. So bewahrheitet sich eben wieder einmal eindrucksvoll, wie schnell aus einem Saulus ein Paulus werden kann. Der Erfolg hat eben immer viele Väter. Egal. Hauptsache der altehrwürdige Pfarrhof in Waldkirchen bleibt erhalten und erstrahlt in neuem Glanz.
Rupert Berndl
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