FRG/REG. Was ist eigentlich aus dieser SPD geworden? Jener am längsten existierenden Partei Deutschlands, die sich von Anfang an für die Interessen der Arbeiterschaft einsetzte. Die sich nach dem Krieg zur stolzen Volkspartei aufschwang und mit Willy Brandt und Helmut Schmidt überaus republikprägende Kanzler hervorbrachte. Die einst die Sozialdemokratie und deren Werte verkörperte wie keine andere. Und die heute in Umfrage- und Wahlergebnissen mehr und mehr an Zustimmung verliert, ja auf profillose Weise in der Versenkung zu verschwinden droht. Ist ihr Ende noch abwendbar? Und wenn ja: Wie?
Wir haben mit SPD-Politikern über den Zustand ihrer Partei gesprochen. Den Anfang machen die regionalen Vertreter der Sozialdemokratie: Bettina Blöhm (SPD-Kreisvorsitzende im Landkreis Freyung-Grafenau), Andreas Kroner (SPD-Ortsvereinsvorsitzender der Stadt Regen sowie deren Bürgermeister) und Rita Röhrl (SPD-Urgestein und amtierende Landrätin des Landkreises Regen).
Röhrl: „Müssen klar definieren, für was wir denn stehen“
Ganz allgemein: Wie betrachten Sie den derzeitigen Zustand der SPD (auf Bundesebene)?
Blöhm: Meiner Ansicht nach hat sich die SPD auf Bundesebene stabilisiert. Natürlich ist da noch Luft nach oben. Wenn man die Arbeit unserer Minister*innen betrachtet, finde ich, dass sie gerade in dieser Zeit einen wirklich guten Job machen.
Kroner: Als nicht zufriedenstellend.
Röhrl: Genau betrachtet leistet die SPD in der Koalition gute Arbeit. Warum es der Partei nicht gelingt, dies auch darzustellen, ist mir rätselhaft.
Laut Umfrage- und Wahlergebnissen befindet sich die einstige Volkspartei augenscheinlich auf dem absteigenden Ast. Ist ihr Ende noch abwendbar? Und wenn ja: Wie?
Blöhm: Ich neige nicht zu dieser Art der Dramatisierung. Die Sozialdemokratie hat in ihrer Geschichte ganze andere Dinge überstanden und ist nie verschwunden. Die Idee die Welt ein Stück weit besser und gerechter zu machen, wird nie sterben – und eine Partei ist schon noch mehr als Umfrage- oder Wahlergebnisse.
Kroner: Ja. Aber wir müssen auch die Leute ran lassen, die auch in der Kommunalpolitik einen guten Job machen. Ich würde zehn Jahre kommunalpolitische Erfahrung voraussetzen, bevor ich auf Bezirksebene oder noch höher ein Amt bekommen kann.
Röhrl: Sorge um die Zukunft der SPD mache ich mich durchaus. In anderen europäischen Ländern ist sie bis zur politischen Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Überflüssig ist die Arbeitnehmerpartei aus meiner Sicht keineswegs. Es gibt genügend Themen der Arbeitnehmer, für deren Lösung eine starke SPD erforderlich ist. Wir müssen vielleicht einmal klar definieren, für was wir denn stehen.
Kroner: „Keiner kann die Werte mehr an die Leute bringen“
Welche Ursachen liegen dem seit Jahren anhaltendem Negativ-Trend zugrunde?
Blöhm: Da gibt es viele und darüber könnte man wohl ganze Abhandlungen schreiben. Von der SPD wird in meiner Wahrnehmung immer mehr erwartet als von anderen Parteien. Das ist an sich gut, macht es allerdings auch schwerer. Darüber hinaus gibt es nun mal gesellschaftliche Entwicklungen – wie die Individualisierung –, die das Parteiensystem verändern. Es gibt auch mehr kleine Parteien zur Auswahl – und die langfristige Bindung an eine Partei nimmt ab. Viele Dinge, die heute als selbstverständlich gelten – wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz, etc. – musste damals hart von der SPD und den Gewerkschaften erkämpft werden. Nun geht es darum klar zu machen, wofür wir kämpfen wollen. Natürlich haben wir als Partei auch Fehler gemacht und große Koalitionen sind zwar vielleicht gut für das Land, aber weniger gut für uns als Partei. Wir müssen wieder deutlich machen, wie wir uns die Gesellschaft von morgen vorstellen – und dass wir dafür streiten wollen.
Kroner: Dass wir zu wenig Typen haben.
Röhrl: Das hat wirklich vielfältige Ursachen. Um nur einige zu nennen: Einmal die Entwicklung der C-Parteien in Richtung Mitte und damit auch eine gewisse Verdrängung der SPD; dann die nicht erfüllte Erwartungshaltung der Mitglieder und Wähler etc.
Wie sehr sehen Sie die ursprünglichen Werte, für die die SPD einst stand, heute noch vertreten?
Blöhm: Also wenn es um den Kampf gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus geht, sind es doch mitunter unsere Leute, die sich hinstellen und dem etwas entgegensetzen. Gerade im Bereich der Arbeit bin ich wirklich froh, dass mit Hubertus Heil ein Sozialdemokrat Arbeitsminister ist. Der macht einfach – und er kennt alle zu erwartenden Widerstände. Siehe Tönnies. In Zeiten einer Pandemie mit all den wirtschaftlichen Auswirkungen wie Kurzarbeit möchte ich mir eine schwarz-grün-gelbe Regierung aus Sicht der Beschäftigten lieber nicht vorstellen. Die haben es ja nicht mal geschafft, zumindest im Ansatz einen Koalitionsvertrag zu formulieren.
Kroner: Die sind immer noch vorhanden, aber keiner kann sie mehr an die Leute bringen.
Röhrl: Die sehe ich immer noch vertreten.
Blöhm: „Wir sind mitten im Prozess der Modernisierung“
Die SPD wird von vielen als relativ profillose Partei betrachtet – welche Gründe gibt es für diese Betrachtungsweise?
Blöhm: Sicherlich haben die große Koalition und auch Angela Merkels Politikstil damit zu tun. Wir waren in der Vergangenheit manchmal zu defensiv, aber gerade in diesem Punkt sehe ich eine Veränderung. Wir setzen Schwerpunkte und die Menschen bekommen das auch mit. Wir sind mitten im Prozess der Modernisierung unserer Strukturen und so werden wir wieder zugänglicher auch für junge Menschen. Eine Gegenfrage würde ich schon auch gerne mal stellen: Welcher Gesetzesentwurf fällt Ihnen denn ein, wenn Sie an die Union denken? Welche Minster*innen treiben was voran?
Kroner: Weil wir sehr viel zerreden. Probleme erkennen und Lösungen präsentieren. Das muss der Weg sein. Und auch mal für etwas einstehen, auch wenn es Gegenwind gibt.
Röhrl: Weil sich die Welt ändert und auch die Probleme. Hier den richtigen Platz zu finden ist nicht einfach. Die neuen Medien machen es ebenfalls nicht einfacher.
Ist das Duo Esken/Walter-Borjans die richtige Besetzung an der Parteispitze?
Blöhm: Ja. Norbert Walter-Borjans hat den ökonomischen Sachverstand und das ist gerade in Steuerfragen sehr wichtig. Als Finanzminister in NRW hatte er damals – allen Unkenrufen seiner Unionskollegen zum Trotz – die Steuer-CDs angekauft und uns so riesige Summen zurückgebracht. Saskia Esken ist eine Frau, die Debatten anstößt und den Finger auch mal in die Wunde legt. Außerdem traue ich beiden zu, unsere Partei weiter zusammenzuführen. Dass es um mehr als um einen Flügel innerhalb der SPD oder persönliche Befindlichkeiten geht, zeigt sich darin, dass Vizekanzler Olaf Scholz einstimmig als Kanzlerkandidat vorgeschlagen wurde.
Kroner: Naja. Mit Ruhm bekleckert haben sie sich nicht zu Beginn. Aber man muss ihnen auch mal Zeit geben. Persönlich hätte ich mir jemand anders gewünscht.
Röhrl: Ich werde nicht an der Spitze rummeckern, hätte allerdings lieber Olaf Scholz an der Position gesehen.
„Wer arbeitet, muss mehr haben, als jemand der nicht arbeitet“
Was ist mit Kevin Kühnert – wäre er einer, der die SPD wieder auf Kurs bringen könnte?
Blöhm: Kevin ist ja bereits stellvertretender Bundesvorsitzender und er ist talentiert. Er hat die SPD wieder interessant für junge Menschen gemacht und scheut auch keine Debatte. Das schätze ich an ihm, auch wenn ich nicht jede Position eins zu eins teile. Falls er in den Bundestag nach der nächsten Bundestagswahl einziehen wird, wird er bestimmt einen guten Job machen. Ich bin da ganz zuversichtlich.
Kroner: Nein.
Röhrl: Hm.
Ich werde nicht an der Spitze rummeckern, hätte allerdings lieber Olaf Scholz an der Position gesehen
Wenn Sie Vorsitzender der (Bundes-)SPD wären – wie würden Sie das Ruder noch herumreißen wollen?
Blöhm: Gut, dass ich das nicht bin und auch nicht anstrebe. Aber mal ganz im Ernst, ich bin nicht so pessimistisch. Wir haben so viele tolle Menschen innerhalb unserer Partei, die alle ehrenamtlich für eine bessere Gesellschaft arbeiten, denen sollten wir einfach mal Danke sagen. Diese Menschen bringen sich ein, investieren viel ihrer Freizeit auf den unterschiedlichsten Ebenen – ohne dafür bezahlt zu werden. Wo wären wir denn ohne die? Es gibt viele, die sich darauf beschränken, vom Sofa aus zu kommentieren oder was in den sozialen Medien zu schreiben – davon alleine wird nichts besser.
Kroner: Mit klaren Botschaften an die Menschen. Man bezeichnet sich ja selber gern als Arbeiterpartei, dann muss man das auch zeigen. Wer arbeitet, muss mehr haben, als jemand der nicht arbeitet. Punkt. Dafür sollten wir wieder stehen.
Röhrl: Es gibt Kelche, die Gott sei Dank an mir mit Sicherheit vorübergehen.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Im zweiten Teil haben wir mit den überregional tätigen SPD-Politikern Rita Hagl-Kehl (Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2018 Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz) sowie Christian Flisek (ehemaliges Bundestagsmitglied, aktueller Abgeordneter im 18. Bayerischen Landtag) über den Zustand ihrer Partei gesprochen.