Freitag, 29. Mai: „Hey! Iatz hed i Di fast net kennt mid da Mask’n.“ Oder: „Iatz muas i nochfrog’n: Helmut, bist as Du?“ Sätze wie diese hört man seit Beginn der Coronakrise bzw. der Einführung der sog. Mund-Nase-Schutzverpflichtung immer wieder – sei’s beim Einkaufen, beim Friseur, beim Metzger oder auch auf der Straße. Ja, sie haben die Gesellschaft verändert, all die unterschiedlichen Typen von Schutzmasken. Sie haben die „öffentlichen Gesichter“ der Menschen verkleinert, minimiert, auf die Augenpaare reduziert. Manch einer hat sich daran gewöhnt – manch anderer wird sich wohl nie damit arrangieren können.
Es ist irgendwie faszinierend und erschreckend zugleich, was all diese Masken in den öffentlichen Verkehrsmitteln, an Schulen, in den Supermärkten und überall dort, wo sie getragen werden, bewirken. Erschreckend deshalb, weil es vieles unwirklich erscheinen lässt. Weil man sich manchmal wie in einem Science-Fiction- oder Endzeit-Film vorkommt, den man vor wenigen Monaten wohl noch mit dem Gedanken „Das wird bei uns sicher nie der Fall sein“ belächelt hat – unabhängig von all den Bildern aus asiatischen Metropolen, wo deren Bewohner sich „maskierterweise“ tagtäglich durch trübe Smogwolken hindurchkämpften…
Einziges äußeres Gesichtsmerkmal nonverbaler Kommunikation
Faszinierend ist es aus dem Grund, da all die Mundschutzträger und Augenpaare eine ganz besondere, außergewöhnliche Atmosphäre schaffen. Man selbst fühlt sich hinter der Maske viel anonymer als sonst, die anderen erachtet man als geheimnisvoller. Vielleicht sogar als anziehend. Ein Hauch von Karneval in Venedig. Fast so, als wenn man in geheimer Mission unterwegs wäre – inkognito. Großstädter wie die Münchner dürften sich generell (also ohne Corona) so fühlen, wenn sie sich durch die Straßen und U-Bahnhöfe drängen, wenn sie sich nach der Arbeit bei Aldi oder Norma noch schnell ihr Abendessen besorgen.
Die Gesichtsmimik entfällt ja nahezu komplett: Das Gegenüber weiß daher nicht, mit welchem Minenspiel der jeweilige Maskenträger sich gerade mit seinem Einkaufswagen an einem vorbeischiebt. Ob dieser schmunzelt, schmollt, lächelt, Angst hat, traurig ist – oder einem mit grimmiger Abweisung begegnet? Vielleicht einem sogar die Zunge herausstreckt? Eine Bekannte meinte vor Kurzem erst: „Der Mundschutz ist ganz okay – da muss ich nicht immer so freundlich schauen.“
Wobei „schauen“ ja genau genommen wieder etwas mit den Augen zu tun hat. Das einzig übrig gebliebene äußere Gesichtsmerkmal nonverbaler Kommunikation in diesen Tagen, das mehr denn je als Indikator innerer Gefühlsregungen dient. Wenn sich die kleinen Fältchen an den äußeren Rändern nach oben oder nach unten bewegen. Wenn sie zu strahlen beginnen. Oder wenn sie sich verengen, zusammenkneifen.
Die Fenster zur Seele
Doch irgendwie ist es auch schön, dass sich die Menschen dadurch wieder mehr in die Augen schauen, sich dadurch auch wieder mehr wahrnehmen. Die Augen gelten ja gemeinhin als Fenster zur Seele, als ihr Spiegelbild, das ganz unbewusst Signale aus dem Innersten nach draußen sendet. Durch den Wegfall der einen Hälfte der Gesichtsmimik könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Welt nun etwas gefühlsärmer, weniger kommunikativ wird. Oder es tritt genau das Gegenteil ein: Durch den gegenseitigen Blick in die Augen des jeweils Anderen rücken die Menschen – trotz Social Distancing – näher zusammen, treten mehr denn je in wahrhaftige Verbindung.
Stephan Hörhammer