Sonntag, 22. März: Schon den dritten Tag in Folge lassen mich meine Kinder ausschlafen. Bedeutet in meinem Fall: Ich darf bis mindestens sieben Uhr im Bett liegen bleiben. Wir sind – was das betrifft – im Ferienmodus angekommen. Hektik kommt den ganzen Morgen über nicht auf: Nicht nur am heutigen Sonntag, auch an allen anderen Wochentagen müssen wir nicht um kurz nach acht startklar für den Kindergarten sein. Der Alltag entschleunigt sich.
So ergeht es aber längst nicht allen: Wer im Krankenhaus, in der Pflege oder in einer Arztpraxis arbeitet, hat eine mehr als anstrengende Zeit vor sich. Genauso diejenigen, die im Supermarkt, in der Logistik oder als Landwirt dafür sorgen, dass die Vorräte nicht knapp werden. Es sind die, die weitermachen müssen. Für sie ist keine Entschleunigung in Sicht – im Gegenteil. An sie sollten wir immer dann denken, wenn wir uns eingesperrt oder eingeschränkt fühlen.
Die Gesellschaft konzentriert sich auf das Wesentliche
Nicht alle arbeiten weniger seit Corona unseren Alltag verändert. Doch viele arbeiten anders. Im Homeoffice, flexibler, mit weniger Termindruck – ohne das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen. Es ist, als habe der Virus der Wirtschaft zugerufen: Konzentriere dich endlich mal darauf, was wirklich wichtig ist! Jeder Einzelne ist jetzt gezwungen, sich darüber Gedanken zu machen: Ist das, was ich mache, so unaufschiebbar und wichtig, dass ich dafür das Haus verlassen muss? Dass ich andere Menschen treffen und damit meine und ihre Gesundheit gefährden muss?
Mir selbst wird in diesen Tagen immer bewusster, dass ich meine persönliche Entschleunigung bereits lange vor der Krise in Gang gesetzt habe: Als ich mich gegen ein „Höher, Schneller, Weiter“ als Fernsehjournalistin in München – und für den Bayerischen Wald und die Kinder entschieden habe. Ich arbeite nicht mehr Vollzeit – und spüre den Druck nicht mehr, dem ich durchaus einmal ausgesetzt war.
Umso mehr denke ich jetzt, in der Krise, an Freunde, Bekannte und ehemalige Kollegen in München: Wie schwer muss es sein, in einer engen Stadtwohnung zu leben anstatt im Eigenheim mit großem Garten? Wie groß muss die Sorge sein, die nächste Miete nicht bezahlen zu können, wenn man als Selbständiger keine Aufträge mehr bekommt?
Hier im Bayerischen Wald konnten wir in der vergangenen Woche bei bestem Wetter lange Spaziergänge durch den Wald unternehmen. Dass ich mein Auto zuletzt am Montag benutzt habe, ist dabei gar nicht aufgefallen. Die Krise zeigt mir, dass die Entscheidung für das Leben weit weg von der Metropole goldrichtig war.
Lagerkoller? Bei uns hoffentlich nicht
Aber auch bei uns gibt es Dinge, die in unserer Tages- und Freizeitplanung bis vor wenigen Tagen noch viel Zeit in Anspruch genommen haben – und nun schlicht und einfach keine Rolle mehr spielen: Urlaubsplanung? In diesem Jahr bleiben wir lieber daheim. Ausflüge in die Therme oder in den Zoo? Bis auf Weiteres verzichten wir darauf. Besuche bei Freunden und Familie? Auch das gibt es momentan nicht. Der Gedanke daran, dass das noch ziemlich lange so bleiben wird, ist seltsam. Angst vor einem „Lagerkoller“, weil ich mit meiner Familie die Zeit nun zu Hause verbringe, habe ich nach dieser ersten Woche aber nicht.
Sabine Simon
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