Freitag, 17. April: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Dieses oft leicht dahergesagte Sprichwort gewinnt in diesen Corona-Tagen an Wertigkeit – zumindest nehme ich persönlich das so wahr. Angekommen im inzwischen fünften Wochenende der Ausgangsbeschränkung habe ich mich gewissermaßen mit der Situation abgefunden. In den vergangenen Wochen habe ich einen alternativen, den Gegebenheiten angepassten Alltag entwickelt, der mich inzwischen – nach anfänglichen Schwierigkeiten – sogar zufrieden stellt. Ich bin angekommen in der unnormalen Normalität.
Jüngst durfte meine Oma ihren 90. Geburtstag begehen. Eigentlich war deswegen eine große Feierlichkeit mit Zusammenkunft der gesamten Familie geplant. Doch die Party fiel – vernünftigerweise – der aktuellen Corona-Lage zum Opfer, die Glückwünsche wurden auf eine sehr verhaltene, eher unpersönliche Art und Weise überbracht. Auch der von mir so heiß geliebte, überaus große Fußball-Anteil des Wochenendes fällt ein weiteres Mal weg – ganz zu schweigen vom Kontakt mit anderen Verwandten, Bekannten und Freunden. Anstatt jedoch mit jenen schwerwiegenden Einschnitten zu hadern, wie ich es Ende März/Anfang April noch tat, habe ich mich nun damit abgefunden, eine Art Gleichgültigkeit entwickelt – und mit fortgeschrittener Zeit quasi ein neues Leben auf die Beine gestellt.
Ich bin ein neuer Mensch!
Kontaktlose Waldläufe haben das Gemeinschaftserlebnis Fußball ersetzt, bewusstere Mahlzeiten innerhalb des eigenen Haushaltes die Zusammenkünfte im größeren Familienrahmen. Das „frühere“ Leben, die vielen Menschen um mich herum, die ich mal bewusst und mal unbewusst wahrgenommen habe, liegen mittlerweile eine gefühlte Ewigkeit zurück. Der Griff zum Handy und eine kurze WhatsApp an mir wichtige Personen, bei denen ich mich vielleicht seit Längerem nicht mehr gemeldet habe, ist hingegen zum festen Bestandteil meines Alltages geworden. Ich erlebe Tage, die für mich vor Corona als unerfüllt eingestuft worden wären – und die nun mehr als nur zufriedenstellend sind. Überspitzt dargestellt: Ich bin ein neuer Mensch.
Ein zuverlässiger Indikator dafür, dass diese Bewusstseins-Entwicklung nicht ausschließlich mir vorbehalten ist: mein Sohn. Auf unserem zeitlich noch recht überschaubaren, gemeinsamen Weg habe ich festgestellt, dass Kleinkinder Gefühle und Stimmungslagen viel bewusster wahrnehmen als wir Erwachsene. War es für ihn anfangs noch eine Art „Alptraum“ bei unseren Frischluft-Touren ohne (ansonsten planmäßige) Einkehr an den Wohnhäusern meiner Großeltern vorbei zu schlendern, ist dies mittlerweile zur Normalität geworden. Auch wenn Omas und Opas am Fenster stehen, was vorher einer verpflichtenden Einladung gleich kam, hat der Filius – wenn überhaupt – jetzt nur noch ein müdes Winken übrig. So traurig es ist, aber seine Anpassungsgabe scheint noch ausgeprägter zu sein als meine eigene.
Mein Sohn, mein Vorbild
Herzlichen Willkommen in der Realität des Jahres 2020, dem neuen, hoffentlich zeitlich begrenzten „Miteinander“. Die ersten Lockerungen der teils recht drastischen Corona-Maßnahmen haben uns ja bereits erreicht. Bleibt abzuwarten, wann wir wieder gänzlich in unsere gewohnten Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zurückkehren können – und vor allem, wie wir diese wiederum gravierende Umstellung dann meistern. Mein Rezept: Ich orientiere mich einfach an meinem Sohn…
Helmut Weigerstorfer
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Im Rahmen des Hog’n-Corona-Tagebuches beschreiben die Hog’n-Redakteure Sabine Simon, Helmut Weigerstorfer und Stephan Hörhammer abwechselnd die Auswirkungen der sog. Corona-Krise auf ihr Privatleben, auf ihr Umfeld und die generelle Situation im Bayerischen Wald.