Dienstag, 14. April. Im Vergleich zu den beiden Vorwochen verzeichnete ebay-Kleinanzeigen in der letzten Märzwoche rund 25 Prozent mehr Inserate. Seit dem Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen und den damit verbundenen Ladenschließungen gehe das Online-Verkaufsportal „durch die Decke“, wie ein ebay-Sprecher mitteilte. Insbesondere seien Fahrräder, Gartenzubehör, Fahrzeugteile, Bücher und Filme gefragt. Auch Second-Hand-Webseiten wie „Kleiderkreisel“ befinden sich derzeit im Aufwind. Der Grund: Die Menschen haben während der Coronakrise mehr Zeit zum Ausmisten – und sich von längst überfälligen Dingen zu trennen. Ein durchaus (selbst-)reinigender Vorgang.
„Ich räum‘ den Keller aus, wenn ich demnächst Urlaub hab‘, versprochen!“ Oder: „Die ganzen Sachen auf dem Dachboden müssten längst mal aussortiert werden – wenn nicht mehr so viel los ist, erledige ich das.“ Oder: „In der Garage hat sich mittlerweile so viel angesammelt, da könnte man einen Flohmarkt veranstalten. Wenn ich Zeit hab, mach ich’s.“ Sätze und Situationen wie diese kennen wohl die meisten nur zu gut. Der gute Vorsatz war schon längst vorhanden, nur an der Umsetzung hat es bislang gehapert. Das schlechte Gewissen holte einen immer wieder dann ein, sobald man Keller, Dachboden oder Garage – mehr oder weniger unfreiwillig – einen „Besuch“ abstatten musste. Und auch der allseits bekannte „Schweinehund“ trug sein Übriges dazu bei.
Die „Leichen im Keller“ lassen grüßen
Doch nun, in der Coronakrise, in der sich der eigene Bewegungsradius auf ein überschaubares Maß beschränkt, finden viele von uns endlich die Zeit, all die Dinge zu erledigen, die sie sich schon so lange vorgenommen hatten – und die (warum auch immer) bis dato liegengeblieben sind. Jetzt können viele all das umsetzen, was sie schon lange vor sich hergeschoben haben, können der sonst allgegenwärtigen Prokrastination endlich die Stirn bieten.
Es geht buchstäblich ans Eingemachte. Kleiderschränke werden ausgemistet, Kellerabteile und Dachböden entrümpelt, Gartenhäuschen leergeräumt, Speisekammern aussortiert – und vieles Unnötige, nicht mehr Brauchbare wird einfach weggeworfen. Und ja, es tut richtig gut, sich von dem ein oder anderen Gegenstand endgültig zu trennen. Nicht umsonst ist er dort gelandet, wo er teilweise über Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – hinweg vor sich hinvegetierte und ein äußerst passives Dasein fristete. Die „Leichen im Keller“ lassen grüßen…
Es ist ein regelrechter Akt der Befreiung, der sich dahinter verbirgt. Ein Akt nicht nur der äußeren, sondern auch der inneren Reinigung. Denn es geht bei der ganzen Sache auch ganz stark darum, die eigenen, alten „Geister“ loszuwerden. Es geht darum, den Ballast, den man bereits seit vielen Jahren (meist unbewusst) mit sich herumschleppt und in den Garagen und Speichern zwanghaft zu konservieren versucht, abzuwerfen. „Ich könnte das hier vielleicht irgendwann noch einmal brauchen“ – ein Satz, dem die Angst davor zugrunde liegt, alte und längst ausgetretene Wege zu verlassen und neue zu gehen. Ein Sinnbild dafür, dass es einem scheinbar leichter erscheint an gewohnten, in der Regel längst überholten und nicht mehr zeitgemäßen Gedanken- und Handlungsmustern festzuhalten, anstatt sich zu von ihnen loszulösen.
Zwei Fliegen mit einer Klappe
Sich selbst aufräumen, die eigenen Schatten, die sich über all die Jahre hinweg angesammelt haben, ausmisten. Während der Dachboden entrümpelt wird, auch den eigenen Dachboden, sprich: den eigenen Geist, die eigene Seele säubern. Durchatmen. Psychohygiene betreiben, wie man auf Neudeutsch so schön sagt. Das Ergebnis, das dabei herauskommen kann: Zum einen ein sauberer und abgespeckter Keller, in dem man wieder gerne und ohne schlechtes Gewissen hineingeht. Zum anderen ein befreites, aufgeräumtes „inneres Haus“, das man ebenso gerne wieder betritt. Ein inneres Haus, in dem ein gesunder Geist wohnt. Ein Geist, der sich nun – vielleicht zum allerersten Mal – so entfalten kann, wie dieser es möchte. Und wie es ihm selbst gut tut.
Stephan Hörhammer