Haidmühle. Münchner Merkur, Focus Online, Der Westen: Bundesweit verbreitete sich am gestrigen Donnerstag innerhalb weniger Stunden die Schlagzeile, in Haidmühle habe es ein Todesopfer des Sturms „Sabine“ gegeben. Der „Ex-Politiker“, von dem unter anderem auch die Berliner Morgenpost berichtet, ist Franz Weiboltshamer aus Bischofsreut, ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Haidmühle. Der 90-Jährige verstarb am Mittwoch, nachdem er am Montag vor dem Rathaus in Haidmühle gestürzt war und sich den Oberschenkel gebrochen hatte.
Wie war es überhaupt zu dieser Schlagzeile gekommen? Man habe die Passauer Neue Presse über den Tod des ehemaligen Bürgermeisters informieren wollen, um einen Nachruf zu veranlassen, berichtet Johannes Jung, Geschäftsleiter der Gemeinde Haidmühle, auf Hog’n-Nachfrage. Im Telefonat mit dem Mitarbeiter der Lokalredaktion sei man auch auf den Unfall zu sprechen gekommen sowie auf Jungs Beobachtung, dass genau zu diesem Zeitpunkt die heftigsten Böen des Sturms durch Haidmühle wehten.
Todesumstände werden zur Schlagzeile
Dass aus diesen Informationen wenig später eine boulevard-trächtige Schlagzeile wird, hatte er so nicht vermutet, sagt Jung. Die Lokalzeitung hatte sich offensichtlich dazu entschieden, in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung zu stellen, auf welch „tragische Weise“ der Tod „Franz Weiboltshamer holte“, wie es im Lokalteil heute heißt.
Und man hat sich dazu entschieden, eine Kurzversion als aktuelle Meldung mit den Schlagworten „Sturm Sabine“ und „Todesopfer“ noch am Donnerstag online zu stellen. Die verkürzte Variante des Artikels machte sofort die Runde – statt des ausführlichen Nachrufes, der heute im Waldkirchener Lokalteil der PNP zu lesen ist. In jener Kurzmeldung steht geschrieben: „Der Wind erfasste den schmalen Greis und streckte ihn zu Boden.“ Ein Satz, der so nicht im Internet hätte landen dürfen, findet Hog’n-Redakteurin Sabine Simon.
Diese Art der Berichterstattung befeuert Kritik an Medien
Im Internet gilt auch unter Journalisten viel zu sehr die Devise: Schneller, schneller – immer schneller als die Konkurrenz. Man muss der Erste sein, der eine Nachricht verbreitet. Ein ausführlicher Nachruf kostet Zeit – eine Kurzversion tragischer Todesumstände dagegen ist schnell angefertigt. Zu guter Berichterstattung gehört es aber, Geschehnisse richtig einzuordnen und sich nicht zuletzt der Wirkung seiner Worte und Überschriften bewusst zu sein. Die Schlagzeile „Sturm Sabine fordert Todesopfer“ erfüllt diese Kriterien nicht.
Der Orkan „Sabine“ verlief in Haidmühle im Vergleich zu „Kolle“ aus dem Sommer 2017 eher harmlos. Es gab umgestürzte Bäume und ein verwehtes Bushäuschen. Trotzdem war man sich in der Gemeinde einig: Diesmal war man sehr glimpflich davongekommen.
Wenn nun allerdings ein „Todesopfer“ auftaucht, verbreitet sich die Nachricht aus dem kleinen Grenzort deutschlandweit – und erweckt den Anschein, die Naturgewalten hätten unerbittlich gewütet im Bayerischen Wald. Es ist Wasser auf die Mühlen derer, die bereits seit Tagen kritisieren, die Medien würden es mit den Warnungen vor Orkan-Böen und mit der Katastrophen-Berichterstattung maßlos übertreiben.
Todesfälle hochsensibel behandeln
Zu guter journalistischer Berichterstattung gehört es auch, gewisse Interessen genau abzuwägen: Wiegt das Informationsinteresse der Öffentlichkeit höher als die persönlichen Interessen derjenigen, die von der Berichterstattung betroffen sind? Speziell bei Todesfällen gilt es, jedes Wort bewusst abzuwägen.
Die Abwägung in der Lokalredaktion der Passauer Neuen Presse hat augenscheinlich ergeben, dass die Todesumstände so „tragisch“ seien, dass dies von öffentlichem Interesse ist. Letzteres kann man so sehen – oder man teilt die Meinung der Autorin dieses Textes: Franz Weiboltshamer soll als interessierter, engagierter und beliebter Bischofsreuter in Erinnerung bleiben – und nicht als schmalgreisiger „Ex-Politiker“ oder „Sturmopfer“…
Kommentar: Sabine Simon