„Mama, der da hängt im Kindergarten auch!“ Als mein vierjähriger Sohn diesen Satz im Badezimmer ausspricht, verstehe ich erst mal nicht, wen er meint. Ich folge seinem Blick und entdecke den Jesus am Holzkreuz über der Tür. Es ist ein Vermächtnis des bereits verstorbenen Ur-Opas, das wir nie entfernt haben. Sonst findet sich kein Kreuz, kein Jesus-Abbild in unserem Haus, denn wir sind nicht gläubig. Doch die Bemerkung des Sohnes macht mir deutlich: Es ist Zeit, mit ihm über Glaube und Religion zu sprechen.
Wir leben im „christlich geprägten Abendland“, wie viele es in letzter Zeit gerne wieder betonen. Kinder wachsen mit Kreuzen im Kindergarten, mit zum Gebet gefalteten Händen vor dem Essen oder dem Schlafen gehen und mit regelmäßigen Kirchenbesuchen an Allerheiligen, Sankt Martin oder Weihnachten auf. Für viele ist das selbstverständlich. Für andere nicht. Ich selbst mache mir viele Gedanken über Glaube, Toleranz und Ehrlichkeit.
Kinder wollen wissen: Wo kommt die Welt her?
Ich bin schon lange kein Mitglied der katholischen Kirche mehr. Meine Eltern ließen mich taufen, ich war bei der Kommunion. Doch bereits vor der Firmung habe ich in den Ethik-Unterricht gewechselt. Es ist nicht immer einfach, den eigenen Weg zu gehen und ganz klar zu sagen: Ich glaube nicht an Gott. Aber für mich ist es der einzig richtige Weg: Ich will ehrlich sein und murmle deshalb bei einer Beerdigung auch nicht das Glaubensbekenntnis oder den Rosenkranz.

Die katholische Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Menschheit. Symbolbild: pixabay.com/Andres Nassar
Das ist mein Weg, mein Nicht-Glaube. Nun habe ich Kinder. Sie stellen schon unglaublich früh unglaublich große Fragen: Was passiert, wenn jemand stirbt? Wo kommt die Welt her? Diese Fragen ließen sich einfach beantworten: Wer stirbt, kommt in den Himmel. Gott hat die Welt erschaffen.
Ich aber brauche länger, um solche Fragen zu beantworten. Denn ich bin auch meinen Kindern gegenüber ehrlich und sage, dass es dazu verschiedene Antworten gibt. Ich glaube nicht, dass ich sie damit überfordere – oder sie aus der christlichen Gemeinschaft von vorneherein ausschließe. Denn ich sage nicht: Es gibt keinen Gott. Was ich meinen Kindern von Anfang an beibringen will, ist: Es gibt viele verschiedene Erklärungen für die großen Fragen. Und keine davon ist „falsch“. Glaube heißt Glaube, weil er sich nicht beweisen lässt. Jeder muss seinen eigenen Glauben, seine eigene „Wahrheit“ finden – und darf andere nicht dafür verurteilen, dass sie eine andere gefunden haben.
Bin ich ein Schwarzes Schaf, wenn ich mein Kind nicht taufe?
Welchen Glauben meine Kinder einmal finden, will ich ihnen nicht vorgeben. Auch wenn sie zu Hause das Beten nicht lernen, kommen sie automatisch in Kontakt mit dem katholischen Glauben. Zu wissen, warum wir Weihnachten feiern und wer der Heilige Nikolaus war, ist nicht nur Religion. Es ist Bildung. Und wer es weiß, kann irgendwann ganz bewusst sagen: Daran glaube ich. „Ich glaube an die heilige katholische Kirche.“ Dieses Glaubensbekenntnis allerdings bei jedem Kirchenbesuch vor sich hin zu grummeln, weil man es einst in der Grundschule auswendig gelernt hat – und nicht, weil man sich bewusst mit den Worten identifiziert –, ist in meinen Augen falsch.

Ein Kind taufen lassen, nur damit es kein Außenseiter wird? Symbolbild: pixabay.com/keskieve
Ehrlich und aufrichtig zu sich selbst und zu seinem Kind ist man auch dann nicht, wenn man es nur deshalb taufen lässt, damit es Teil der christlichen Gemeinschaft sein kann. Die Angst, ein Kind werde zum Außenseiter, wenn es nicht kurz nach der Geburt in die katholische Gemeinschaft aufgenommen wird, ist immer noch allgegenwärtig. Doch diese Angst ist zumeist nur eine Projektion der Eltern auf ihre Schützlinge. Wenn ich der Herde nicht angehöre, bin ich dann automatisch ein Schwarzes Schaf?
Dazu kommt die Angst: Wenn nicht mehr jeder mitmacht, wenn zu viele die Religion hinterfragen und sich für einen anderen Weg entscheiden: Ist dann unsere christliche Kultur, unsere Gemeinschaft bedroht? Wenn aus dem Sankt-Martins-Fest ein „Lichterfest“ oder ein Laternenumzug wird, wenn Kinder Nikolaus und Weihnachtsmann verwechseln oder gar dem Weihnachtsmann statt dem Christkind ihre Wünsche aufschreiben: Wackelt dann das Fundament der katholischen Kirche?
Christliche Werte leben – auch ohne an Gott zu glauben
Es wackelt vor allem dann, wenn der Glaube an Gott und die Bibel nur deshalb nach außen hin verteidigt wird, weil es sich eben so gehört. Wenn der Glaube nicht mehr wirklich von innen kommt. Wenn man an Allerheiligen nur am aus dem einen Grund am Grab steht, weil bei Abwesenheit das ganze Dorf über einen reden könnte. Wenn man sein Kind nur dann taufen lässt, damit die Oma nicht schimpft. Wenn man nur deshalb kirchlich heiratet, weil das Ambiente in der Kirche so schön festlich ist…

Man muss nicht an Gott glauben, um an Sankt Martin über Nächstenliebe nachzudenken. Symbolbild: pixabay.com/worldvoyager
Christliche Werte sind wichtig für unsere Gesellschaft: Teilen wie Sankt Martin, Entscheidungen aus Liebe treffen wie Jesus, Notleidenden helfen wie der Heilige Nikolaus. Kirchliche Rituale geben vielen Menschen Halt, Worte eines Priesters bei einer Beerdigung können Trauernde auffangen. Aber nicht jeder muss dabei mitmachen. Wer wie ich den Zugang zum Glauben nicht findet, für sich selbst andere Wege geht, andere Antworten auf die großen Fragen über Tod, den Ursprung der Welt und den Sinn des Lebens gefunden hat, muss das offen sagen und leben dürfen.
Diese Toleranz erwarte ich von gläubigen Menschen. Ich nehme ihnen nichts weg, sage nicht, dass mein Weg der richtige ist. Ein Miteinander verschiedener Ansichten, Glaubensrichtungen und Lebensweisen – das ist es, was ich mir vor allem in der Vorweihnachtszeit wünsche.
An alle Eltern noch eine abschließende Bitte: Schreiben Sie das Glaubensbekenntnis und das Vater-Unser einmal auf. Lesen Sie es bewusst, Satz für Satz, Wort für Wort. Lassen Sie kein Kind Gebete oder ritualisierte Abläufe auswendig lernen, deren Hintergrund und Sinn es noch gar nicht verstehen kann. Bereiten Sie Glaube und christliche Geschichten kindgerecht auf. Ein Kind versteht viel mehr, als manche denken. Antworten Sie auf seine Fragen (und auch die Ihrigen) ehrlich – und flüchten Sie sich nicht in katholische Erklärungen, wenn Sie selbst nicht daran glauben.
Kommentar: Sabine Simon
Hallo Frau Simon,
mit Ihren Aussagen und Wünschen stimme ich voll überein. Ich arbeite viel mit Kindern und Kinder sind die größten Philosophen. Es ist schön mit ihnen die großen Fragen der Menschheit anzuschauen und Antworten stehen oder offen zu lassen. Kinder können das sehr gut aushalten und wir sollten es auch.
Ich bin schon 1974 mit 25 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten und habe mich dann völlig vom Christentum abgewandt. Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens, denn so gewann ich geistige Freiheit, und ohne diese geistige Freiheit gibt es keine wahre Erkenntnis. Sehr wertvolle Erkenntnisse wiederum fand ich dann im vorchristlichen alteuropäischen Heidentum, insbesondere im keltischen Heidentum mit seiner Großen Göttin im Zentrum.(Siehe dazu meine Bücher „Ceridwen. Die Rückkehr der dreifaltigen Göttin der Kelten“, „Die Botschaft der Druiden“ oder auch „Merlin. Leben und Vermächtnis des keltischen Menschheitslehrers“.)
Was die christliche Kindstaufe angeht, so ist sie einer der raffiniertesten Tricks der Kirchen. Unmündige Kinder, die noch gar keinen eigenen Willen äußern können, werden zwangsweise zu Kirchenmitgliedern gemacht, werden dann später durch christlichen Religionsunterricht gehirngewaschen und bleiben danach vielfach für ihr ganzes Leben geistig unfrei.
Allerdings gestehe ich zu, dass viele moderne Christen, die sich einzig an den humanitären Botschaften der Evangelien orientieren, sehr gute Menschen sind. Dem stehen aber furchtbare Verbrechen der christlichen Kirchen in der Geschichte und auch heutzutage (z. B. Kindsmissbrauch) gegenüber. Das wiederum gilt aber nicht für die Christenkirchen allein; im Islam ist solch kriminelle Menschenfeindlichkeit noch viel stärker ausgeprägt, und auch das orthodox-fanatische Judentum ist nicht frei von sehr üblen Tendenzen.