Passau. Ein kleiner Raum, ganz in der Nähe der Ortspitze. In der Mitte steht ein Tisch, darum herum sitzen Frauen verschiedenen Alters. Vorne, direkt neben dem Übergang zu einem weiteren Zimmer, befindet sich ein Whiteboard. Es dient als Tafel, darauf zu lesen sind einzelne Begriffe. Aber auch Sätze wie: „Ich habe Schmerzen. Mein Bauch tut weh. Können Sie meinen Blutdruck messen.“
Perdita Wingerter, Gründerin des Vereins „Gemeinsam Leben und Lernen in Europa e.V.„, ist froh, dass so viele Frauen hier sind: „Die Idee des Vereins ist es, einen Ort der Begegnung zu schaffen. Die Frauen, die die Deutschkurse besuchen, lernen ja nicht nur die Sprache. Wir wollen ihnen die Chance geben, auch die Kultur und andere Menschen kennenzulernen. Gleichzeitig möchten wir auch etwas über ihre Kultur erfahren.“
„Man merkt schnell, dass sie Spaß an ihrer Tätigkeit haben“
Seit der Gründung des Vereins vor zehn Jahren setzen sich dessen Mitglieder mit verschiedenen Projekten dafür ein, Menschen einander näher zu bringen. Das Angebot ist dabei genau so vielfältig wie die Teilnehmer selbst: Während sich der Aktionstag zur „Chancengleichheit für Jungs“ an männliche Jugendliche richtet, um ihnen den Zugang zu Pflegeberufen näher zu bringen, soll das Projekt „Koch mit mir“ eine Verbindung zwischen Alt und Jung schaffen, indem die Beteiligten gemeinsam kochen und so in Kontakt treten.
Weitere Angebote richten sich an Ehrenamtliche und Freiwillige, etwa um sie professionell auf ihre Tätigkeiten vorzubereiten. Denn ohne sie gehe nichts, wie Perdita Wingerter zu berichten weiß: „Soziales Engagement hat leider meist das Problem der Finanzierung. Ich bin so dankbar für die großartigen Freiwilligen, die uns dabei helfen, die Projekte umzusetzen.“ Dabei lächelt sie den beiden jungen Frauen, die sich bisher im Hintergrund gehalten haben, zu: Katja Stockinger und Julia Cihlars (beide 18 Jahre jung) sind im Rahmen ihres Bundesfreiwilligendienstes zum Verein gekommen. „Julia und Katja sind eine große Hilfe, wenn es um Organisatorisches geht. Es gibt immer viel zu tun und ich bin froh um jede helfende Hand“, sagt die Vorsitzende.
Vor allem aber schätze sie die Art und Weise des Miteinanders: „Ehrenamtliche bringen eine ganz andere Motivation mit ein. Man merkt schnell, dass sie Spaß an ihrer Tätigkeit haben.“ Und auch wenn sich Perdita Wingerter keine Gedanken über die Bezahlung der Angestellten machen muss, spiele die Finanzierung der Projekte eine ständige Rolle: „Die Miete für die Veranstaltungsräume muss ja trotzdem beglichen werden.“ Durch das Programm „Miteinander leben – Ehrenamt verbindet“ bekam der Verein für die Dauer von einem Jahr finanzielle Unterstützung zugesagt, um die Mietkosten des Gemeinschaftsraumes begleichen zu können. Dieses Jahr ist nun bald vorüber. Doch Perdita Wingerter gibt sich zuversichtlich: „Die aktuelle Kooperation ist ein großartiges Projekt und wir werden alles dafür tun, es aufrecht zu erhalten.“
Die Idee: Deutschunterricht und Kinderbetreuung in einem
„Gemeinsam Leben und Lernen in Europa e.V.“ arbeitet eng mit dem Verein „Alpha4u“ zusammen, der im September vergangenen Jahres in Büchlberg (Landkreis Passau) gegründet wurde und den Zusatz „Bildungsinstitut“ im Namen trägt. Deren Mitglieder setzen sich vor allem aus Lehrkräften zusammen, die Menschen einen Neuanfang ermöglichen wollen – u.a. mit Kursen zur Talentförderung und Persönlichkeitsentwicklung.
Alpha4u-Vorsitzende Ana Katarina Althammer ist selbst auch aktiv im Tagesgeschäft tätig. Als junge Mutter weiß sie wie schwer es sein kann, etwa eine passende Kinderbetreuung zu finden. Die Idee, Deutschunterricht und Kinderbetreuung zu verbinden, fand bereits nach kurzer Zeit Anklang: „Aktuell besuchen 14 Frauen den Kurs in Passau. Viele von ihnen sind junge Mütter, die ihre Kinder mitbringen.“
Für die Alpha4u–Gründerin spielt dabei die Professionalität eine wichtige Rolle: „Ich würde mein eigenes Kind ja auch nicht irgendjemandem überlassen. Deshalb sind unsere Ehrenamtlichen erfahrene Frauen, die die Betreuung der Kinder wunderbar handhaben.“ Während die Mütter demnach die deutsche Sprache beigebracht bekommen, kümmert sich das fachkundige Alpha4u-Personal um die Buben und Mädchen. „Kinder brauchen viel Aufmerksamkeit – wenn man keine Erfahrungen mit ihnen hat, kann dies einen schnell überfordern.“
Die 14 Teilnehmerinnen aus Italien, Kroatien, Syrien, Afghanistan, Somalia und dem Irak kommen zweimal wöchentlich zum Deutschkurs. Sie wollen die deutsche Sprache von Grund auf erlernen. Dabei startete das Projekt ursprünglich als Angebot, das sich an deutsche Analphabeten richtete. „Leider war das Interesse jedoch nicht groß genug.“ Deshalb habe die Adaption zum jetzigen Modell stattgefunden, wobei es sich – trotz der derzeit recht bunten Zusammenstellung der Gruppe – nicht um einen Integrationskurs handele, wie die Vorsitzende betont.
Beim Deutschkurs gehe es nicht darum, in einer bestimmten Zeit einen gewissen Lehrplan abzurarbeiten, sondern auf die Teilnehmer und deren Bedürfnisse einzugehen. „Alltagssituationen wie der Gang zum Arzt, ein Einkauf oder auch das Schreiben deutscher Briefe sind natürlich erstmal schwer, wenn man die Sprache nicht spricht. Darum frage ich bei den Frauen nach, ob sie ein bestimmtes Thema behandeln möchten“, erklärt Ana Katarina Althammer.
„Ich versuche, jeden dort abzuholen, wo er steht“
Ob es ein Problem sei, dass verschiedene Kulturen, Sprachen und Sprachniveaus im Rahmen des Unterrichts aufeinander treffen? „Ganz im Gegenteil“, meint Ana Katharina Althammer. „Eine der Frauen arbeitete in ihrem Herkunftsland als Lehrerin. Da sie Deutsch mittlerweile recht gut spricht, kann sie den anderen helfen. Außerdem profitieren wir alle davon: Letzte Woche haben wir das Thema Essen behandelt und vereinbart, dass jeder eine typische Spezialität seiner eigenen Kultur mitbringt. Viele Gerichte waren auch mir neu – aber lecker waren sie alle“, erzählt die Vereinsvorsitzende und lacht.
Neben dem Sprechen und Verstehen spielt vor allem das Schreiben eine große Rolle. „In einigen Kulturen gibt es ein ganz anderes Schriftbild – Arabisch schreibt man außerdem von rechts nach links.“ Aus diesem Grund sei der Kurs nach wie vor auch für Interessenten geeignet, die nicht schreiben und lesen können. „In Deutschland leben über sieben Millionen Analphabeten. Viele von ihnen verheimlichen dies jedoch und trauen sich nicht, um Hilfe zu bitten“, weiß Ana Katharina Althammer. Auch für sie möchte der Verein Alpha4u Hilfe anbieten. „Ich versuche, jeden dort abzuholen, wo er steht. Wenn jemand bereits sicherer ist, kann er anderen helfen – bei Bedarf setze ich mich aber auch gerne einzeln mit den Frauen zusammen und unterrichte sie“, sagt die Vorsitzende.
Die Tatsache, dass es sich derzeit um eine reine Frauengruppe handelt, sei Zufall: „An unseren anderen Standorten in Fürstenstein, Hutthurm, Wegscheid und Pocking finden auch gemischte oder reine Männer-Kurse statt. Das hat mit der Frage zu tun, welcher Bedarf gerade da ist“, erklärt Ana Katharina Althammer. Genau das mache ihre Arbeit auch so spannend: „Jeder Tag ist ein neues Abenteuer. Der Input kommt oft von den Gruppenteilnehmern, deshalb behandeln wir sehr viele verschiedene Themen. Neulich ging es um deutsche Kinderlieder – da wird dann auch mal gemeinsam gesungen.“
Perdita Wingerter: „Unser Raum ist immer offen für alle“
Durch die Kooperation der beiden Vereine „Gemeinsam leben und lernen in Europa e.V.“ und „Alpha4u“ begegnen sich Menschen, Projekte und Ideen. Mithilfe von ehrenamtlichen Mitarbeitern, neuen Konzepten und neugierigen Teilnehmern entsteht dabei ein einzigartiges Projekt. Und auch, wenn die Räumlichkeiten nicht die allergrößten sind, steht für Perdita Wingerter fest: „Wir haben Platz für jeden. Unser Raum ist immer offen für alle.“
Malin Schmidt-Ott