Passau/Tittling. „Leben lassen, das können viele seit 2015 eben nicht mehr, wegen dieser scheiß Kulturbereicherung“, findet Ralf Stadler, AfD-Landtagsabgeordneter für den Stimmkreis Passau Ost. Auch das Tragen eines Kopftuches ist für den Tittlinger offenbar zu viel der kulturellen Bereicherung – ein Stück Stoff um ein Gesicht birgt offenbar mehr Andersartigkeit als der Neu-MdL verarbeiten kann. Grund genug für Stadler die Passauer Saturn-Filiale zu boykottieren, um sein „Radio woanders“ zu kaufen, wie er auf seiner Facebook-Seite kurz vor Jahreswechsel bekannt gab. Und Grund genug ein paar Tage später nochmals nachzulegen: Der Islam, ein Volk von Männern, die „mehr Ehefrauen haben als Zähne“, heißt es in einem von ihm geteilten Beitrag. Nicht das erste Mal, dass sich der 54-Jährige für ein Mandat in einer demokratischen Institution selbst disqualifiziert.
„Wieder mal ein Erlebnis zum Thema Integration“ -so beginnt der AfD-Rechtsaußen seine grammatikalisch wie logisch eher diffus erscheinende Facebook-Mitteilung. Eine Verkäuferin des Passauer Elektrofachgeschäfts „Saturn“ habe Stadlers Unmut geschürt, da sie seiner Wahrnehmung nach „glaubt, sie müsse unbedingt mit ihrem Kopftuch auftreten“. Eine – wie der AfD-Politiker es nennt – „Integrationsscheiterung“, die ihm zufolge von der Geschäftsleitung auch noch hingenommen werde.
Ideologische Banalität in steter Wiederkehr
Bemerkenswert an Stadlers Facebook-Posting erscheint, wie dieser in seinen semiphilosophischen Erlebnisbericht mit dem „Thema Integration“ einsteigt – und über das „Kopftuch“ nur ein paar Zeilen weiter in eine „Integrationsscheiterung“ mündet. Die Gleichung „Integration + Kopftuch = Integrationsscheiterung“ ist eine, die wohl in Sachen ideologischer Banalität ihresgleichen sucht – und eine Argumentationsform, die sich in Stadlers islamfeindlichen sowie teils menschenverachtenden Äußerungen regelmäßig wiederfindet.
Doch offenbar fühlt sich der Landtagsabgeordnete durch Verhaltensformen, die auch nur im Geringsten von seiner selbst auserkorenen Norm abweichen, derart emotional aufgewühlt, dass dieser nicht anders reagieren kann wie im Saturn-Fall. Menschen mit anderer Hautfarbe als der weißen, anderer Religion als dem Christentum oder anderer politischer Auffassung als seiner eigenen haben in Stadlers Weltbild augenscheinlich keinen Platz.
Michael Korotczuk, Geschäftsführer des Passauer „Saturn“, sieht die Sache eher gelassen, wie dieser auf Hog’n-Nachfrage mitteilt. Stadlers Beobachtung sei „korrekt“, sagt er – und ergänzt: „In unserem Saturn-Markt arbeiten Menschen unterschiedlicher Herkunft – und das finden wir richtig und gut!“ Der AfD-Mann sei der erste, dem dies offensichtlich ein Dorn im Auge zu sein scheint.
Wenn „A“, dann „B“, wenn „Islam“, dann „böse“
Weniger gelassen zeigt sich in dieser Angelegenheit Stadler selbst: Auf Hog’n-Anfrage präsentiert dieser ein Bild des Islams sowie ein Verständnis von Kulturen und nicht zuletzt von Demokratie, das schwer an die kultur-chauvinistischen Diskurse der 1930er erinnert. Über den Weg des staatlichen „Neutralitätsgebotes“, so Stadlers Befürchtung, würden „über zugewanderte Muslime heute das Kopftuch, morgen die Burka und übermorgen die Scharia eingeführt“.
Deshalb wolle er auch an seiner Wort-Neuschöpfung der „Integrationsscheiterung“ weiterhin festhalten: Ein Begriff, unter den er etwa „Kinderehen, Polygamie, Harz IV von unwilligen, aber arbeitsfähigen Asylbewerbern“ subsumiert. Im Angesicht der angeblich allgegenwärtigen „schleichenden Islamisierung“, so Stadler weiter, werde er „Geschäfte und Unternehmen auch weiterhin meiden, bei denen Verkäuferinnen mit offensichtlich religiöser Kopftuchbedeckung beschäftigt sind“. Er betont dabei nochmals sein Unverständnis darüber, warum ein solches Verhalten seitens der Geschäftsleitung geduldet werde.
Offensichtlich scheint sich dabei der AfD-Politiker weder die Mühe machen zu wollen, sich mit dem Islam ernsthaft auseinanderzusetzen, noch erscheint es ihm fragwürdig, aus einer einfachen, kulturellen Zuschreibung ein konkretes Verhalten abzuleiten. Das Signalwort „Islam“ reicht offenbar aus, dass sich Stadler provoziert und bedroht fühlt. Wenn „A“, dann „B“, wenn „Islam“, dann „böse“, so der reflexartig ausgelöste wie nahezu infantile Zusammenhang, auf den der AfD-Politiker konditioniert zu sein scheint.
Zwischen einzelnen Personen zu differenzieren oder gar etwaige Versäumnisse mit konkreten (politischen) Inhalten zu konterkarieren, kommt im Stadler’schen Weltbild allem Anschein nach nicht vor. Um die eigene politische Legitimität zu rechtfertigen, muss der „Islam“ als oberstes Feindbild für fast alles herhalten, was nach Ansicht des AfD-Rechtsaußen gerade nicht rund läuft in Bayern und in der Welt. Eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft, eine Radikalisierung der Diskurse und eine Verrohung der Worte nimmt Stadler dabei bewusst in Kauf, indem er die Konstruktion eines öffentlichen Sündenbocks (der Islam und seine Anhänger) Tag für Tag – beinahe wahnhaft – vorantreibt.
Muslime als „hässliche Fratzen“ und „Sprenggläubige“
Dass der AfD-Abgeordnete mittlerweile vom Verfassungsschutz überwacht wird*, erscheint aufgrund etlicher Facebook-Kommentare sowie einem weiteren islamverachtenden Posting vom 3. Januar 2019 als evident und konsequent. „In manchen Kulturen“, schwadroniert dort der selbsternannte Islamexperte pauschalierend, gehöre „Vergewaltigung zur Tagesordnung“. Der von Stadler geteilte Beitrag – erschienen auf der rechtsextremen Plattform „bayernistfrei.com“, die laut Informationen der Süddeutschen Zeitung vom ehemalige NPD-Funktionär Stefan Werner betrieben wird – diffamiert Muslime in einer Art und Weise, die ihn für ein Mandat im Bayerischem Landtag eindeutig disqualifiziert.
Muslime werden in dem hochgradig rassistischen Beitrag als „Sprenggläubige“ und als „hässliche Fratzen“ beschimpft, die „ihren Hintern mit bloßer Hand abputzen, aber ein Schweinesteak für unrein halten“. Facebook löschte Stadlers Angaben zufolge den Post und sperrte seinen Account nur wenige Stunden später.
Menschen mit einer Gesinnung wie die von Ralf Stadler, die sich einer Wortwahl und einem Argumentationsmuster bedienen, das an dunkelste Zeiten erinnert, sind zu Recht ein Fall für den Verfassungsschutz. In einer demokratischen Institution wie dem Bayerischen Landtag hat Stadler sicher nichts verloren!
Kommentar: Johannes Gress
- *Anmerkung d. Redaktion (10.01.2019): Wie am 9. Januar 2019 in überregionalen Medien bekannt gegeben wurde, hat der bayerische Verfassungsschutz die Beobachtung von MdL Ralf Stadler (sowie Uli Henkel und Andreas Winhart) eingestellt. Grund dafür sei eine „erhöhte Schwelle“ bei der Beobachtung von Mandatsträgern (siehe dazu u.a. Süddeutsche Zeitung: „Bayerische AfD-Abgeordnete nicht mehr unter Beobachtung“).