Ein Medium hat neutral zu berichten, den Verlauf der Dinge objektiv darzustellen – und steht ausschließlich im Dienste der Wahrheit. Und jedes Medium berichtet ausschließlich die Wahrheit, objektiv und neutral. Die taz, die FAZ und die Bild. Da Hog’n sowieso. Oder zumindest wäre es offensichtlich unklug, sich das Gegenteil auf die Fahnen zu schreiben. Und in der Politik gilt dasselbe: Die Linken, die Sozialdemokraten, die Grünen, die Union oder die AfD, von der Antifa bis zu Pegida, reklamiert jeder die Wahrheit für sich. In unruhigen Zeiten wie diesen, in der sich der gesellschaftliche Konsens mehr und mehr zerstreut, wird dieses Nebeneinander einer Vielzahl von Wahrheiten besonders offenbar. In den Redaktionsstuben dieses Landes stellt sich – ob gewollt oder ungewollt – die Frage: Wie damit umgehen? Darf ein Journalist Haltung zeigen? Muss er es gar? Oder kann „falsch verstandener Aktivismus der Medien“ gar zur Gefahr werden?
Während jene Debatte in den Redaktionen schon länger zu brodeln schien, entfachte Georg Restle, Leiter der „Monitor„-Redaktion der ARD, dieses Streitthema erneut, indem er im Gespräch mit dem journalist für einen „werteorientieren Journalismus“ plädierte. Ganz explizit kritisiert er den Umgang einiger Kollegen mit der AfD, die deren teils völkische Äußerungen oftmals unhinterfragt übernehmen würden: „Anders kann ich es mir nicht erklären, wie unkritisch eine Ideologie toleriert und verharmlost wird, die in diesem Land in den Vernichtungswahnsinn der Nationalsozialisten geführt hat“, erklärte Restle in besagtem Interview.
Damit war die Debatte in vollem Gange. Was darf ein Journalist? Was muss er?
Diese Gesellschaft hat sich massiv verändert
Zwei Aspekte sind hierbei zur Beantwortung dieser Fragen ganz entscheidend:
- Welche Rolle nimmt der Journalist in einer Gesellschaft ein?
- Und wie hat sich diese Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Zu letzterer lässt sich sagen: Diese Gesellschaft hat sich massiv verändert! Nach einem jahrzehntelangen Konsens und einem klaren Bekenntnis zur „sozialen Marktwirtschaft“, die sicherstellte, dass zumindest die meisten etwas vom sog. Wohlstandskuchen abbekommen, scheint die nationenübergreifende Einigkeit zu zerbröseln. Arbeitsplätze werden unsicherer, Wohlstands- und Einkommenszuwächse in den unteren bis mittleren Schichten bleiben aus. Soziale Sicherungsnetze werden durchlässiger, Jobs prekärer. Die Welt wird undurchsichtiger, komplexer, schneller, globalisierter. Die Gesellschaft alles in allem fragmentierter.
Diese Entwicklungen gehen auch an der Politik nicht spurlos vorbei: Einstige Volksparteien drohen in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. An deren Stelle treten neue politische Organisationen wie etwa die AfD. Die Bildung stabiler parlamentarischer Mehrheiten wird zunehmend schwieriger. Jener verloren gegangene Konsens spiegelt sich demnach auch im Parteiensystem wider.
Was derzeit stattfindet, ist ein Ringen um die Deutungshoheit dieser Entwicklungen. Ist es auf der linken Seite des politischen Spektrums etwa das globale Finanzkapital, so ist es auf der Rechten die Migration, die angeblich Schuld an der Misere ist. Das Angebot an Wahrheiten wird dadurch – von links bis rechts, von der Roten Flora bis zum Dritten Weg – ungleich größer, ungleich undurchsichtiger.
Gewalttat nur deshalb berichtenswert, weil sie von einem Asylbewerber begangen wurde?
Wie hat nun ein Journalist mit diesen Herausforderungen umzugehen? Seine Aufgabe ist zunächst einmal, „Wichtiges“ von „Unwichtigem“ zu trennen. Was ist gesellschaftlich relevant? Was interessiert den Leser? Oder warum sollte es ihn interessieren? Schon hier zeigt sich, dass es sich bei diesem Auswahlverfahren zwangsläufig um ein subjektives handeln muss. Da ein Medium nicht jedes Thema behandeln kann (bzw. will), wird bereits vor jeder Veröffentlichung aussortiert. Ist eine Gewalttat nur deshalb berichtenswert, weil sie von einem Asylbewerber begangen wurde? Hätte man über dieselbe Tat auch berichtet, wäre sie von einem Bundesbürger begangen worden? Jedes Medium setzt hier einen jeweils eigenen, subjektiven Maßstab.
In seinem „Brief an die deutschen Journalisten“ konstatiert der renommierte amerikanische Medienwissenschaftler Jay Rosen, die „größte Stärke des deutschen Journalismus“ sei, dass es die Schreiberlinge der Republik als eine ihrer wesentlichen Aufgaben betrachten, „für die Rechte von Minderheiten einzutreten und zu verhindern, dass Links- oder Rechtsextreme den öffentlichen Raum kapern. Nicht nur in ihrer privaten Meinung, auch in ihrer journalistischen Arbeit verteidigen sie Demokratie und Menschenwürde“. Dies impliziert jedoch auch, dass derlei Bemühungen gelegentlich in ein Spannungsverhältnis zum Objektivitätsanspruch geraten.
Besonders deutlich wird das in der politischen Berichterstattung: In der Politik gibt es kein „neutral“ und kein „objektiv“. Beim Thema progressiver Einkommenssteuer beklagen Besserverdiener sie sei zu hoch, Geringverdiener sie sei zu niedrig. Es gibt hier keinen Mittelweg. „Objektiv richtig“ liegt in diesem Fall derjenige, der den Kampf um die Deutungsmacht im gesellschaftlichen Diskurs für sich entscheiden konnte: Reiche als „Leistungsträger“ der Gesellschaft oder“ schamlose Ausbeuter“? Dass Einkommenssteuersätze je nach Zeit und Ort deutlich variieren, zeigt wie sich dieses „rechte Maß“ stetig verändert.
Wenn die Demokratie unter Beschuss gerät: Haltung zeigen!
Nun hat sich, wie beschrieben, unsere gesellschaftspolitische Situation verändert. Mit der AfD sitzt eine Partei im Parlament, die nichts unversucht lässt, etablierte Medien zu delegitimieren und deren Berichterstattung in Zweifel zu ziehen. Die „Lügen-“ bzw. „Systempresse“ stehe ohnehin nur im Dienste der herrschenden „Eliten“. Alles gleichgeschalteter Einheitsbrei.
Anscheinend bekam die #ARD nicht die gewünschten Bilder, mit denen sie die #AfD in Verruf bringen konnte – also verwendete man einfach Aufnahmen der vorangegangenen Hooligan-Veranstaltung… https://t.co/RYiY31Gru6 #Medienhetze #Manipulation #Chemnitz0109 #Schweigemarsch pic.twitter.com/TRAEP66Fo1
— Björn Höcke (@BjoernHoecke) September 3, 2018
Dass die Pressearbeit derart unter Beschuss gerät, ist zumindest für die heutige Generation von Journalisten ein Novum. Genau wie die Herausforderung, dass plötzlich eine Vielzahl neuer, alternativer Medien jenseits der Etablierten existiert. Dass heutzutage jeder mit zwei, drei Klicks einen Blog eröffnen oder seinen Senf via Facebook und Twitter unter die Leute bringen kann, ist ein Zeichen für mediale Vielfalt – aber noch lange keines für Qualität. Mehr ist nicht immer gleich besser.
Als Journalist trägt man maßgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Als Journalist im Besonderen verpflichtet man sich der Aufrechterhaltung demokratischer Institutionen. Gerät der Journalismus unter Beschuss, gerät auch unsere Demokratie unter Beschuss. Also: Haltung zeigen! Dabei geht es nicht um die Bewertung einzelner politischer Sachfragen, sondern um die Bewahrung demokratischer Werte, Institutionen und Rechte. Nicht zuletzt um das Recht einer Gesellschaft auf verlässliche, demokratisch gesteuerte Information. Deshalb: Haltung zeigen!
Journalismus ist ein subjektives Handwerk, das Kriterien wie Objektivität maximal als anzustrebende, jedoch unerreichbare Norm zur Hilfe ziehen kann. Um die eigene Zunft sowie die demokratischen Institutionen einer Gesellschaft zu bewahren, braucht es subjektive Eingriffe, braucht es Haltung!
Keine leichte Aufgabe
Nicht der Journalismus hat sich verändert, sondern unsere Gesellschaft. Und ein Schreiberling tut gut daran, diesen Entwicklungen etwas entgegen zu setzen. Die Zeit, in der „das Alte stirbt und das Neue noch nicht zur Welt kommen kann“, ist die „Zeit der Monster“, notierte der italienische Philosoph Antonio Gramsci in seine Gefängnishefte. In dieser Zeit, in der die Hegemoniefrage offen ist, die Zeit der Salvinis, Trumps und Straches, muss sich auch der Journalismus überlegen, wie mit diesen Monstern umzugehen ist. Dass diese Aufgabe keine leichte ist, erklärt sich von selbst.
Johannes Greß
Zum Weiterlesen:
- „Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht“, Elisabeth Wehling
- Haltungsschäden: Falsch verstandener Aktivismus der Medien kann gefährlich werden
- Soziale Medien als Wegbereiter zur digitalen Basisdemokratie?
- Jay Rosen: Brief an die deutschen Journalisten